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Brennpunkt. In den Slums von Nairobi sind schon am Mittwochabend die ersten Krawalle ausgebrochen. Nun warten alle auf das amtliche Wahlergebnis.

© Khalil Senosi/dpa

Opposition gegen Regierung: Angst nach der Wahl in Kenia

Der Präsident Kenias scheint gewonnen zu haben, die Opposition gibt nicht auf – die Lage ist angespannt. Hinweise auf Wahlbetrug mehren sich.

Nach weitgehend friedlichen Wahlen in Kenia am Dienstag steigt die Spannung seit Mittwochabend an. Nachdem die Wahlergebnisse am Dienstagabend noch relativ zügig ins elektronische Auszählsystem eingelaufen sind, hing es zunächst bei etwas mehr als 80 Prozent der ausgezählten Stimmen und bis zum Donnerstagvormittag bei rund 97 Prozent der ausgezählten Stimmen fest. Das Wahlergebnis stand auch am Freitagmorgen noch nicht fest. Aber nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen lag der amtierende Präsident Uhuru Kenyatta mit rund 1,4 Millionen Stimmen in Führung vor seinem ewigen Gegenspieler Raila Odinga.

Schon am Mittwoch hatte Odinga den Verdacht geäußert, das elektronische Zählsystem sei gehackt worden. Vor etwas mehr als einer Woche war der IT-Chef der Wahlkommission IEBC, Chris Msando, gefoltert und ermordet worden. Odinga geht deshalb davon aus, dass mit Msandos Passwörtern das Auszählsystem manipuliert worden sei. Bei einer Pressekonferenz präsentierte er 50 ausgedruckte Seiten, die das beweisen sollen. Wie er selbst an das Material gekommen sei, wollte er nicht sagen.

Internationale Wahlbeobachter loben die Wahl

Die internationalen Beobachtermissionen sagten am Donnerstag dennoch alle übereinstimmend, dass diese Vorwürfe vorläufig nicht überprüft werden könnten. In ihren ersten Berichten hoben sie den friedlichen Verlauf der Abstimmung hervor. Marietje Schaake, die Chefin der Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union, sagte am Donnerstag zwar: „Die Wahlen haben in einem sehr polarisierten Klima stattgefunden.“ Dennoch zeigten sich die europäischen Beobachter mit dem Verlauf der Abstimmung zufrieden. Weder die internationalen Beobachter noch die Abgesandten der Parteien oder aus der Zivilgesellschaft hätten bei der Beobachtung der Auszählung Beschränkungen beklagt, stellt Schaake heraus.

Der frühere US-Außenminister John Kerry, der für das Carter-Center als Wahlbeobachter in Nairobi ist, rief Odinga dazu auf, das Wahlergebnis „zu akzeptieren“. Auch der Chef der Beobachtermission der Afrikanischen Union, der frühere südafrikanische Präsident Thabo Mbeki, erhöhte den Druck auf Odinga, seine Niederlage einzugestehen.

Die Opposition sieht Raila Odinga als Sieger

Allerdings will die Opposition nicht aufgeben. Musaila Mudavadi, der zu Odingas Bündnis gehört, trat am späten Donnerstagnachmittag vor die Presse und berichtete von anderen Zahlen. Ein Mittelsmann der IEBC habe der Opposition die „richtigen Zahlen“ genannt. Demnach soll Odinga um ein paar hunderttausend Stimmen vor Kenyatta liegen. Mudavadi forderte die IEBC auf, Odinga zum Präsidenten auszurufen. Daraufhin begannen in Odingas Hochburg Kisumu im Westen des Landes bereits die Siegesfeiern.

Abdullahi Abdile, der für die International Crisis Group die Wahlen beobachtet, sagt, dass der große Abstand zwischen den beiden Konkurrenten dafür spreche, dass Kenyatta die Wahl wirklich gewonnen habe. „Die Opposition hat es nicht geschafft, eine überzeugende Wahlkampagne zustande zu bringen“, sagt er. Dabei gab es eine enorme Unzufriedenheit mit der als korrupt wahrgenommenen Regierung. Doch das reichte nicht, um die Mehrzahl der Wähler zu überzeugen. Denn Wahlen, sagte Abdile dem Tagesspiegel, „sind in Kenia Identitätspolitik“. Damit meint er: Es geht nur darum, die eigene Ethnie an der Macht zu halten oder sie an die Macht zu bringen. In der politischen Ökonomie Kenias ist das entscheidend, um sein Auskommen zu finden - oder eben nicht.

Ungereimtheiten im Auszählungsverlauf

Abdullahi Abdile findet es zwar auch seltsam, dass seit Beginn der Auszählung der Abstand zwischen Kenyatta und Odinga konstant bei etwa einer Million Stimmen lag. Dennoch hofft er, „dass Raila Odinga die Gerichte anruft und nicht zu Massendemonstrationen aufruft“. Das hatte das Land zum Jahreswechsel 2007 und 2008 an den Rand eines Bürgerkriegs getrieben. „Alles hängt nun von Raila Odinga ab“, sagt er.

John Githongo, der frühere Anti-Korruptionsbeauftragte der Regierung, der zwischenzeitlich fliehen musste, weil er einen Korruptionsskandal aufgeklärt hatte, sagt: „Es gibt ein paar Dinge, die überhaupt nicht zu erklären sind.“ Der dauerhaft gleiche Abstand zwischen den Kandidaten gehört für ihn dazu. Noch merkwürdiger: Die Wahlkommission hatte am Donnerstag als mehr und mehr Kritik aufkam, angefangen, die Rückmeldebogen aus den 44.000 Wahllokalen ins Internet einzustellen. Dabei fanden sich dann Rückmeldebogen aus Kisumu, in denen Raila Odinga angeblich Null Stimmen bekommen haben soll, während der in Kisumu extrem unbeliebte Uhuru Kenyatta alle Stimmen auf sich vereinigt haben soll. Das kann nicht nur John Githongo nicht glauben.

Raila Odingas letzter Kampf

Deshalb glaubt Githongo auch nicht, dass Odinga klein beigeben wird. „Er steht in der Ecke und kann nicht mehr anders.“ Denn seinen Leuten im Westen Kenias hatte er versprochen, dass es diesmal ganz sicher klappen würde, und dass er nicht ein zweites Mal vor Gericht ziehen wolle. Vom obersten Gericht sah sich Odinga schon 2013 verraten, und seither hat Uhuru Kenyatta alle Richter benannt. Die Opposition erwartet von den Gerichten weniger als nichts. Githongo sagt: „Raila Odinga ist der Wahlsieg gleich zwei Mal gestohlen worden. Das ist schwer zu ertragen.“ Er meint damit die Wahlen 2007 und 2013. Odinga ist 72 Jahre alt – er kämpft seinen letzten großen politischen Kampf. Als er gemeinsam mit Mudavadi vor der Presse stand, sagte er kein Wort. Nur das hält seine Anhänger noch ruhig.

Die Kenianer sind auf Chaos vorbereitet

Am Donnerstag waren die Straßen in den großen Städten fast menschenleer. Frauen und Kinder sind schon vor der Wahl aus Nairobi geflüchtet. Supermärkte waren ausverkauft. Die Kenianer haben sich auf Chaos vorbereitet, sagt Abdile. Auch John Githongo berichtet staunend, dass er morgens und abends kaum ein Auto auf den Straßen gesehen hat. Der Menschenrechtler Njonjo Mue bedauert in einem Eintrag auf Facebook, dass Wahlen in Kenia seit Jahrzehnten „Angst und Schrecken auslösen“.

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