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Shermin Langhoff ist seit 2012 Intendantin des Gorki-Theaters in Berlin-Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas

Offener Brief von Shermin Langhoff in Berlin: "Das Ende der Demokratie in der Türkei"

Die türkischstämmige Intendantin des Gorki-Theaters in Berlin-Mitte ist entsetzt über die Entwicklungen in der Türkei. Deshalb hat Shermin Langhoff Angela Merkel einen Brief geschrieben.

Liebe Bundeskanzlerin Angela Merkel, liebe Nachbarin des Maxim-Gorki-Theaters,

lassen Sie mich Ihnen meinen Dank ausdrücken für die Worte der Solidarität, die Sie wegen der drastischen Entwicklungen in der Türkei mit den Verhaftungen der "Cumhuriyet"-Journalisten vor wenigen Tagen fanden, als Sie sagten: "Die Journalisten können sich unserer Solidarität gewiss sein, genauso wie all diejenigen, die in der Türkei für Presse- und Meinungsfreiheit eintreten."

Sie wollen die Gespräche mit der Türkei fortsetzen, aber wenn Sie weitersprechen, müssen Sie deutlicher werden und die neuerlichen Verhaftungen auf das Schärfste verurteilen, zumal es spätestens seit gestern nicht nur meine KollegInnen aus Presse und Kunst betrifft, sondern auch gewählte ParlamentarierInnen und damit Ihre KollegInnen.

Dies ist keine "alarmierende Situation" mehr, es handelt sich auch nicht mehr um Gleichschaltung der Medien und Maßnahmen gegen die sogenannte 4.Gewalt, sondern bedeutet faktisch die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. Seit geraumer Zeit werden die rechtsstaatlichen Prinzipien in der Türkei mit Füßen getreten, Kritiker der Regierung zahlen den Preis mit Anfeindungen, Geldstrafen, Gefängnis, Gewalt und mit ihrem Leben.

Nicht wenige müssen aus diesen Gründen ihr Land verlassen, so auch Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet", der Kolumnen für "Die Zeit" schreibt und seit Kurzem auch Kolumnist und Kollege am Gorki-Theater ist und damit auch Ihr Nachbar. Er steht stellvertretend für viele weitere Nachbarn von Ihnen, denn gerade als Theater mit vielfältigen künstlerischen Verbindungen in die Türkei spüren wir die Konsequenzen dieser nicht hinzunehmenden Entwicklungen hautnah.

Jeden Tag kommen neue KollegInnen bei uns an, die in der Türkei durch Missachtung der Presse- und Meinungsfreiheit schweren Repressalien ausgesetzt sind und unserer Unterstützung bedürfen. Andere sitzen bereits in Gefängnissen, wie die Schriftstellerin Asli Erdogan, die aktuell einen eindringlichen Appell an die europäische Öffentlichkeit formuliert hat, in dem sie Europa zu Recht vorwirft, "den totalen Verlust der Demokratie in der Türkei zu unterschätzen". Sie fordert Europa und damit Sie und uns auf, Verantwortung zu übernehmen.

Neben Worten der Solidarität sind Sie und wir dringend aufgerufen zu handeln, damit das faktisch existierende totalitäre Regime in der Türkei nicht gänzlich in eine islamofaschistische Diktatur abdriftet. Alle wirtschaftlichen und politischen Beziehungen von Deutschland und Europa mit der Türkei müssen spätestens jetzt grundsätzlich überprüft werden. Denn die Dissonanzen zwischen unseren Worten und Taten sind unerträglicher denn je.

Es grüßt Sie aus der ehemaligen Singakademie, erbaut im Zeichen der Aufklärung und universeller Werte,

Ihre Nachbarin

Shermin Langhoff

Shermin Langhoff

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