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Der 386. NSU-Verhandlungstag: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe im Gerichtssaal neben ihrem Verteidiger Mathias Grasel

© Reuters/Michaela Rehle

Oberlandesgericht München: Der NSU-Prozess ist zäh und teuer - richtig so

Die Hinterbliebenen der Opfer des NSU warten ungeduldig auf ein Urteil. Das ist verständlich. Aber das Gericht muss die Schuldfrage fehlerfrei klären. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Sie bangen jetzt wieder. Wird es diesen Mittwoch endlich klappen? Können die überlebenden Opfer des Terrors und ihre Anwälte nun endlich im NSU-Prozess sagen, welche Schuld aus ihrer Sicht Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten auf sich geladen haben? Und welche Strafen notwendig wären? Und wie die seit viereinhalb Jahren dauernde Hauptverhandlung am Oberlandesgericht München auf sie, die Angehörigen der Ermordeten und die überlebenden Opfer und sie vertretenden Juristen, gewirkt hat und wirkt und noch lange wirken wird? Man weiß es nicht.

Mehr als zwei Monate nach dem Abschluss des Plädoyers der Bundesanwaltschaft stockt nun schon der Prozess. Ob die Nebenkläger jetzt zu Wort kommen oder doch wieder ein Befangenheitsantrag von Verteidigern den Gang des größten deutschen Terrorverfahrens seit der Wiedervereinigung bremst, ist offen.

Ein teurer Prozess

Das ist eine Zumutung. Auch für die Öffentlichkeit. Die Reaktionen, die der Tagesspiegel und andere Medien bekommen, signalisieren: Viele Menschen sehen den NSU-Prozess nur noch als Farce. Und als eine besonders teure.

Jeder Prozesstag kostet 150.000 Euro. Das sind die Kosten für die Richter und das weitere Personal von Justiz und Polizei, für die 13 Pflichtverteidiger, die 60 Anwälte der Nebenkläger, die mehr als 500 Zeugen, für die Sachverständigen.

Demnach muss der Steuerzahler bereits etwa 60 Millionen Euro für die schon 386 Tage dauernde Hauptverhandlung aufbringen. Und wann sie endet, ist schwer vorhersehbar. Irgendwann im kommenden Jahr, vermuten Anwälte und Journalisten. Konkrete Prognosen traut sich kaum noch jemand zu. Zu oft mussten sie korrigiert werden.

Mündet dieses Mammutverfahren doch noch in ein Desaster des Rechtsstaats? Sind der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und sein 6. Strafsenat überfordert? Droht der Prozess gar zu platzen? Die Antworten, die plausibel erscheinen, wenn man die 386 Verhandlungstage durchgängig beobachtet hat, mögen überraschen. Der Rechtsstaat steht in München keineswegs vor der Kapitulation.

Ein Scheitern ist kaum vorstellbar

Der kantige, bisweilen auch impulsive Götzl und sein Senat machen nicht den Eindruck, sie würden schwächeln. Götzl reagiert ruhig auf die Befangenheitsanträge, er lässt nicht zu, dass einige Verteidiger damit eine längere Unterbrechung der Verhandlung erzwingen können, als es die Strafprozessordnung erlaubt - damit der NSU-Prozess in der Endphase doch noch scheitert.

Ein solches historisches Desaster für den Rechtsstaat ist und bleibt dank Götzls energischer Verhandlungsführung unvorstellbar. Und so wird der NSU-Prozess höchstwahrscheinlich mit einem klaren Urteil enden, das auch den zu erwartenden Anträgen auf Revision standhalten dürfte. Dafür ist Götzl ein Garant.

Problematisch erscheint vielmehr die zunehmend negative Wahrnehmung in Teilen der Öffentlichkeit. Der Rechtsstaat verliert Ansehen, obwohl er in München funktioniert. Dass Verteidiger die Strafprozessordnung strapazieren, spricht nicht gegen die Rechtsordnung. Ein liberaler Staat hält das aus.

Der NSU-Prozess ist ein herausragendes Beispiel für die Zähigkeit eines Gerichts, das sein Ziel trotz aller Komplikationen nie aus den Augen verliert: eines Tages eine rechtlich fehlerfreie Antwort auf die Frage nach der Schuld der Angeklagten zu präsentieren. Gerade auch im Interesse der Nebenkläger, so verständlich ihre schmerzgetriebene Ungeduld auch ist. Wie viele Monate es noch dauern wird, und welche finanziellen Kosten sich dann ergeben, ist letztlich zweitrangig.  

In München wird seit Mai 2013 gegen Beate Zschäpe und andere verhandelt. Unser Autor Frank Jansen war an fast allen Prozesstagen dabei. Seine Chronik finden Sie hier.

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