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NSU-Prozess. Angeklagte Beate Zschäpe mit ihren Anwälten

© dpa

NSU-Prozess: Ein obskurer Verfassungsschützer

Andreas T. ist zum sechsten Mal als Zeuge geladen und niemand glaubt ihm. Der ehemalige Verfassungsschützer trug bei einer Tat eine Plastiktüte mit sich, die eckig ausgebeult war. War es die Tatwaffe? Das ist reichlich Stoff für Verschwörungstheoretiker.

Von Frank Jansen

Der groß gewachsene Mann mit der monotonen Stimme hält einen makaberen Rekord. Kein Zeuge ist im NSU-Prozess öfter gehört worden als Andreas T., ehemaliger Verfassungsschützer in Hessen und mutmaßlich Zeuge des Mordes der Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an dem Migranten Halit Yozgat. Fünfmal hat Andreas T. bereits am Oberlandesgericht München ausgesagt, glaubwürdig klangen seine Angaben nie. Er habe von dem Mord nichts mitbekommen und auch die Leiche nicht gesehen, wiederholte Andreas T. immer wieder.

Am Nachmittag des 6. April 2006 hatte der damalige Verfassungsschützer in Kassel in Yozgats Internetcafé gechattet, vermutlich war T. bei dem von der Polizei ermittelten Zeitpunkt der Schüsse noch im Lokal. Der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl bezweifelt offenkundig, dass T. ahnungslos das Internetcafé verließ – und hat ihn jetzt zum sechsten Mal als Zeugen geladen.

Der Fall des früheren Verfassungsschützers, den die Polizei sogar eine Zeitlang für tatverdächtig hielt, ist ein bizarres Detail der monströsen NSU-Geschichte und Stoff für Verschwörungstheoretiker. Nun woll die Richter am 25. Juni erneut Andreas T. als Zeugen hören. Am selben Tag soll auch seine Ehefrau aussagen. Sie hat offenbar, ohne es zu wollen, die Zweifel an der Version ihres Mannes verstärkt.

Seine Frau hatte wegen der Plastiktüte gekeift und ihn indirekt beschuldigt

Drei Wochen nach dem Mord hatte die Polizei ein Telefonat mitgeschnitten, in dem sich die Frau bei einer Freundin in keifigem Ton über die Angewohnheit von T. beklagte, mit Plastiktüten herumzulaufen. Offenbar auch am Tag der Tat. Sie habe ihrem Mann gesagt, „willst du nicht mal auf mich hören? Ich sage noch, ne, nimm keine Plastiktüte mit!“ So geht es munter weiter in dem Protokoll, das die Anwälte der Angehörigen des Mordopfers im Beweisantrag zur Ladung der Ehefrau präsentieren.

Das Telefonat ist für T. unangenehm, weil daraus nicht hervorgeht, dass er seiner Frau widersprach, als sie ihm die Leviten las. Doch bei der Polizei und im NSU-Prozess hat Andreas T. angegeben, ohne Tüte in Yozgats Internetcafé gegangen zu sein. Und ein Zeuge vom Tatort hat ausgesagt, er habe einen großen Deutschen mit Tüte gesehen. Da kommt nur Andreas T. in Frage.

Beater Zschäpe, Angeklagte im NSU-Prozess.
Beater Zschäpe, Angeklagte im NSU-Prozess.

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So banal die Geschichte auch klingt, verstärkt sie doch die Zweifel, dass sich Andreas T. im Oberlandesgericht München wahrheitsgemäß zum Mord an Yozgat geäußert hat. Und das Gericht wird auch wissen wollen, was sich in der Tüte befunden hat, die T. offenbar ins Intercafé trug. Der Zeuge, der den großen Deutschen gesehen hat, will „was Eckiges“ erblickt haben. Der Gegenstand sei schwer gewesen und habe die Tüte nach unten ausgebeult.

Hinweise, der Verfassungsschützer könnte selbst mit einer Waffe zum Tatort gekommen sein, gibt es nicht. Die Bundesanwaltschaft sieht auch keine Anzeichen für einen Mordverdacht gegen Andreas T. Doch er erregt reichlich Unbehagen mit der ständig wiederholten Aussage, am Tresen des Internetcafés, nur ein Schreibtisch, niemanden gesehen zu haben, als er den Chat bei einer Website für Flirts mit fremden Frauen beendet hatte und ging. Andreas T. will 50 Cent auf den Tisch gelegt haben und weder eine Leiche noch Blutspritzer bemerkt haben. Obwohl er, wie er stets beteuert, sogar  auf der Straße nach Yozgat geschaut haben will und dann ins Internetcafé zurückgekommen sei, um das Geld zu hinterlassen. Die Angaben habe die Polizei bei den Ermittlungen als „sehr, sehr unglaubwürdig“ eingestuft, hat ein Beamter der Kasseler Polizei im Prozess gesagt.

Der Fall Andreas T. schadet dem Verfassungsschutz

Der Fall Andreas T. hat dem  Verfassungsschutz, der im NSU-Komplex wegen Pannen und Versäumnissen ins Zwielicht geriet, zusätzlich geschadet. Wenig überraschend halten mehrere Nebenkläger und ihre Anwälte im Prozess nichts davon, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nun das Bundesamt für Verfassungsschutz gesetzlich stärken will – als Konsequenz aus den Fehlern. Bei mehreren Familien von Ermordeten und bei überlebenden Opfern der zwei Bombenanschläge des NSU in Köln herrsche „Unverständnis und Wut“, heißt es in einem Gutachten, das der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer für den Innenausschuss des Bundestages über den Gesetzentwurf von de Maizière geschrieben hat. Das Papier hat Scharmer am Montag den Abgeordneten erläutert. Im NSU-Prozess vertritt der Anwalt die Tochter des von der Terrorzelle in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik.

Aus Sicht von Scharmer und der hinter ihm stehenden Nebenkläger und Anwälte geht de Maizière den falschen Weg. „Das System der Einsetzung von V-Personen und verdeckten Ermittlern wird durch den Gesetzentwurf eher gestärkt als geschwächt“, kritisiert Scharmer. Und so sei es weiterhin möglich, dass das Geld, das in die Finanzierung von „fragwürdigen Informationen von V-Leuten“ gesteckt werde, in rassistisch motivierte Terroraktivitäten fließe. Der Anwalt empfiehlt hingegen eine Radikalkur: Verzicht auf nachrichtendienstliche Mittel und Umbau des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu einer bundeseigenen Stiftung „zur Beobachtung, Erforschung und Aufklärung aller Erscheinungsformen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“.

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