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Beim Verfassungsschutz gab es eine erneute Panne.

© dpa

NSU-Mordserie: Sonderermittler soll nächste Panne bei Verfassungsschutz untersuchen

Sechs Jahre bevor das NSU-Trio aufflog, wurde dem Verfassungsschutz von einem ehemaligen V-Mann offenbar eine CD übergeben, auf der der NSU erwähnt wird. Nun soll ein Sonderermittler klären, warum die Daten erst jetzt aufgetaucht sind.

Von Frank Jansen

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schien in der monströsen Geschichte um die Terrorzelle NSU aus dem Gröbsten heraus zu sein – nun gibt es einen Rückschlag. Das Bundeskriminalamt stieß nach Informationen aus Sicherheitskreisen bei der Sichtung von Unterlagen des BfV zum früheren V-Mann „Corelli“ auf eine CD, in der NSU und NSDAP als Begriffspaar genannt werden. Den Datenträger hatte offenbar der Rechtsextremist Thomas R. alias Corelli bereits im Jahr 2005 dem Bundesamt übergeben – sechs Jahre bevor die Terrorzelle NSU aufflog.

Thomas R. hatte jahrelang als V-Mann aus der braunen Szene berichtet, in der er „HJ-Thommy“ genannt wurde. Dass die CD erst jetzt bekannt wurde, knapp drei Jahre nach dem dramatischen Ende der Terrorzelle, ist für das BfV eine zumindest ärgerliche Panne. Die auch politische Folgen haben könnte.

Im Bundestag dürften sich vor allem die Oppositionsfraktionen von Grünen und Linkspartei in ihrer alten Forderung bestätigt sehen, wie in der vergangenen Legislaturperiode auch jetzt wieder einen NSU-Untersuchungsausschuss zu installieren. Und die SPD-Fraktion hat angekündigt, sie werde in dem für die Nachrichtendienste des Bundes zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium beantragen, dass sich ein Sonderermittler mit der CD befassen soll. Das Gremium kommt am Montag zu einer Sitzung zusammen, bei der BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen berichten soll.

Erklärungsbedarf nach weiterer Panne

Der Inhalt der CD ist jedoch nach Angaben aus Sicherheitskreisen wenig dramatisch. Er soll weitgehend identisch sein mit zwei weiteren Datenträgern, die im Frühjahr den Verfassungsschutzbehörden in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern zugingen, offenbar auch über einen Spitzel. In den beiden CDs wird ebenfalls ein „Nationalsozialistischer Untergrund der NSDAP (NSU)“ erwähnt. Auf den CDs, eine konnte der Tagesspiegel einsehen, sind aber vor allem historische Fotos aus der Nazizeit zu sehen. Die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tauchen genauso wenig auf wie die Hauptangeklagte im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München, Beate Zschäpe. Das sei auch bei der jetzt entdeckten CD so, heißt es in Sicherheitskreisen. Das Bundeskriminalamt habe signalisiert, für die weiterlaufenden Ermittlungen im NSU-Komplex bringe der Datenträger nichts.

Dennoch ist der Fall für das BfV unangenehm. Dass eine CD mit einem verbalen Bezug zum NSU, die seit 2005 im Bundesamt lag, erst jetzt wieder aufgetaucht ist, deutet auf eine weitere Panne hin. Das BfV hatte bereits harte Kritik einstecken müssen, als im Juli 2012 herauskam, dass ein Referatsleiter kurz nach dem Ende des NSU plötzlich Akten zu einer größeren V-Leute-Aktion in Thüringen schreddern ließ. Der damalige Präsident des Amtes, Heinz Fromm, zog die Konsequenz und trat zurück. Sein Nachfolger Maaßen, er kam aus dem Bundesinnenministerium, richtete das BfV neu aus. Vor allem die Beobachtung militanter Extremisten wurde verstärkt. Trotzdem muss Maaßen nun erklären, wie es in seiner Behörde zu einer weiteren Panne im NSU-Komplex kommen konnte.

Vergangene Woche hatte der BfV-Chef dem Innenausschuss des Bundestages berichtet, er habe erst im Frühjahr von CDs erfahren, auf denen von einem NSU die Rede ist. Damit meinte Maaßen die beiden Datenträger, die den Verfassungsschützern in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern zugeleitet worden waren. Von der CD im eigenen Haus wusste Maaßen offenbar noch nichts. Dass der BfV-Präsident dem Innenausschuss einen solchen Fund verschwiegen hätte, schließen Sicherheitsexperten aus.

Standen Thomas R. und Uwe Mundlos in Kontakt

Der einstige V-Mann Thomas R. alias Corelli, der die CD einst dem BfV zugespielt hatte, kann nicht mehr befragt werden. Im April wurde Thomas R. in einer Wohnung nahe Paderborn tot aufgefunden. Die Obduktion ergab, dass er an einer zuvor nicht erkannten Diabetes-Krankheit gestorben war. Wie Thomas R. bereits 2005 von dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ erfuhr und ob er wusste, was damit gemeint war, ist offenbar kaum noch zu ermitteln.

So bleibt auch unklar, ob Thomas R. einen Kontakt zu Uwe Mundlos unterhalten hatte. Auf einer von Mundlos handschriftlich erstellten Liste mit Namen wird Thomas R. erwähnt. Das Papier fand die Polizei im Januar 1998 in der von Zschäpe gemieteten Garage in Jena, neben Sprengstoff und halbfertigen Rohrbomben. Am Tag der Durchsuchung setzten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ab und blieben fast 14 Jahre verschwunden. Ob Thomas R. in Verbindung zu den drei Untergetauchten stand, ob er vielleicht sogar etwas von den zehn Morden und weiteren Verbrechen der Terroristen mitbekommen hatte und womöglich dem BfV vorenthielt, sind nur einige der vielen Fragen zum NSU, für die es bis heute keine Antworten gibt. Allerdings hat bislang auch niemand trotz der vielen Verschwörungstheorien über die Rolle der Nachrichtendienste belegen können, das Bundesamt habe von der Existenz der rechtsextremen Terrorzelle schon vor deren Ende im November 2011 erfahren.

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