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NSA-Untersuchungsausschuss.

© Reuters

NSA/BND-Affäre: Ein Skandal ohne Publikum

Die stumpfen Waffen des Parlaments: Der NSA-Untersuchungsausschuss zeigt, wie zäh sich das System gegen Veränderungen wehrt. Ein Essay

Ein Essay von Anna Sauerbrey

Wie ein Technobeat wummert der Takt des Tages noch in den Ohren, unerbittlich, maschinengetrieben. Jetzt, am späten Nachmittag, nach den Beratungen und Befragungen wirken alle adrenalindurchtränkt. Stephan Mayer stemmt seine hünenhafte Gestalt gegen das Rednerpult. „Scharlatanerie“ sei getrieben worden „mit unserem Innenminister“, ruft der CSU-Abgeordnete, „unanständig“ sei das Verhalten der Opposition. „Vielleicht wurden Fehler gemacht, aber nicht jeder Fehler ist automatisch ein Skandal.“

Es ist Mittwoch, der 6. Mai 2015. Seit zwei Wochen redet das politische Berlin über den Bundesnachrichtendienst. Der hat im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit der NSA Suchbegriffe der Amerikaner verwendet, die sich auf europäische Unternehmen, Regierungen und Politiker beziehen sollen. Der „Spiegel“ hat das öffentlich gemacht. Was wusste das Bundeskanzleramt, fragt die Opposition, was der heutige Bundesinnenminister? Rücktritt!, rufen einige.

Es ist ein voller Tag: Thomas de Maizière stellt sich an jenem Mittwoch dem Parlamentarischen Kontrollgremium, auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier wird gehört, der Rechtsausschuss zitiert den Generalbundesanwalt heran. Das Parlament holt zur großen Geste aus und die Medien verbreiten sie. De Maizière war Kanzleramtschef, als dem BND 2013 verdächtige Begriffe auffielen. Als die Mitglieder des Kontrollgremiums nach der Sitzung vor die Kameras treten, boxen sich breitschultrige Kameramänner den Blick auf ihn frei. Doch im gleißenden Licht zerplatzt der Ministerrücktritt an einem Aktendeckel. Aus den vorgelegten Vermerken ist de Maizière keine Kenntnis der strittigen Suchbegriffe nachzuweisen.

Eine Stunde später, in der Aktuellen Stunde des Bundestags, beginnt mit der Rede von Stephan Mayer die Skandalisierung des Skandals. In der Folge warnt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vor „Erkenntnis- und Sicherheitsdefiziten“, weil die Deutschen nicht mehr vertrauenswürdig erschienen. Unionsfraktionschef Volker Kauder wirft dem Untersuchungsausschuss vor, Geheimes durchgestochen zu haben. Auch die Veröffentlichung der Ausschuss-Protokolle durch Wikileaks schafft Verdruss.

Skandal-Skandalisierung? Ganz im Gegenteil

Skandale haben seit einigen Jahren einen schlechten Ruf, spätestens seit die Medien von Dezember 2011 bis Februar 2012 den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff wegen angeblicher Vorteilsnahme jagten – Wulff wurde mittlerweile gerichtlich vollständig entlastet. In ihrem 2012 erschienenen Buch „Der entfesselte Skandal“ schreiben die Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel, im Zeitalter der sozialen Medien habe sich die Größe der Empörung von der Größe des Gegenstands gelöst. Noch nie schien der Skandal so relativ. Und doch taugt die Empörung über den BND nicht zur Skandal-Skandalisierung. Ganz im Gegenteil.

Die Zusammenarbeit von NSA und BND stellte die Deutschen von Anfang an vor Probleme. Für rechtlich saubere Operationen im Internetzeitalter fehlen die gesetzlichen Grundlagen, weshalb der Geheimdienst umstrittene Hilfskonstruktionen zusammenschusterte. Zumindest rechtliche Bedenken von Unternehmen, die unter diesen Umständen kooperieren sollten, waren bis in die Ebene des Geheimdienstkoordinators im Bundeskanzleramt bekannt. Praktisch hat das Internetzeitalter die Geheimen auf einen gigantischen Datenberg gesetzt. 1,3 Milliarden Verbindungsdaten liefert der BND nach Erkenntnissen von „Zeit Online“ jeden Monat an die NSA, herausgefischt aus den internationalen Datenströmen aufgrund von Suchbegriffen, die die NSA liefert. Wie die Dienste da einwandfrei zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen unterscheiden wollen, konnten BND-Mitarbeiter dem NSA-Untersuchungsausschuss bisher nicht plausibel machen. Nun also noch 25 000 Suchbegriffe, die deutschen und europäischen Interessen widersprechen, und mit denen dennoch Daten erhoben wurden.

Ein Skandal? Sicher ist: Der BND wurde in eine rechtliche Grauzone getrieben, von der Digitalisierung, vom politischen Druck der Post-9/11-Ära und als kleiner Partner in einer Koalition mit der NSA. Dort fühlt er sich dem Vernehmen nach selbst nicht mehr wohl.

Umso bemerkenswerter ist es, dass der politische Wandel in Deutschland bisher ausgeblieben ist. Wäre das nicht so bitter, könnte man sagen: Es zeugt von Angela Merkels politischem Talent. Im Wahlkampf 2013 dehnte Ronald Pofalla die Wahrheit bis zum Zerreißen – und konnte das Thema „wegdrücken“, wie es im Politjargon heißt. Dass die Strategie aufging, hat aber auch damit zu tun, dass die Waffen des Parlaments in Bezug auf die Geheimdienstkontrolle stumpf sind. „Die Bundesregierung“, heißt es im Kontrollgremiumsgesetz, „unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium.“ In vielerlei Hinsicht ist das eine Rechtsfiktion.

"Hätten Sie das genehmigt?" „Nein“

Am 13. Mai 2015, eine Woche, nachdem Stephan Mayer den Skandal zum Skandal erklärt hatte, sitzt der Grüne Hans-Christian Ströbele in einem Sessel mit einem braunen Schaffell. Ströbele ist seit beinahe zwei Jahrzehnten Mitglied des Bundestags, in seinem Büro sieht es wohnlich aus. Im Regal stehen Akten-Memorabilia aus den fünf Untersuchungsausschüssen, in denen er Mitglied war: „UA Schreiber“ ist einer beschriftet, da ging es um den Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber. Ströbele ist Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium.

Das „Kontrollgremiumsgesetz“ verleiht den Mitgliedern ein Recht auf Akteneinsicht und darauf, Geheimdienstmitarbeiter und Regierungsangehörige vorzuladen. Die Regierung ist verpflichtet, sie über „Vorgänge von besonderer Bedeutung“ zu „unterrichten“. In der Regel tragen Beamte vorbereitete Erklärungen vor, im Anschluss gibt es eine Fragerunde. Oft haben die Abgeordneten im Anschluss andere Termine. Ein ehemaliger BND-Präsident, der sich damit nicht namentlich zitieren lassen möchte, sagte einmal in einem Hintergrundgespräch, in seiner Zeit sei es ihm nie gelungen, alle Punkte vorzutragen, die er auf seiner Liste hatte. Ströbele sagt, seit er Mitglied sei, habe die Bundesregierung dem Gremium von sich aus keinen der besonderen Vorgänge mitgeteilt, die zum Skandal wurden. Darüber, ob er von den jüngsten Vorwürfen gegen den BND schon einmal gehört habe, darf er nicht sprechen. Er sagt nur, ihm sei „vieles neu“. Hinter vorgehaltener Hand aber berichten mehrere Mitglieder übereinstimmend: Nie sei ein Wort über die Operation „Eikonal“ gefallen, nie eines darüber, dass die NSA problematische Suchbegriffe geliefert hat.

Es ergibt sich das Gesamtbild aus vielen Klein-Skandalen

Am 26. März 2015, einige Wochen vor dem Beginn der derzeitigen Affäre, tagt im Paul-Löbe-Haus der NSA-Untersuchungsausschuss. Gehört wird Hans de With, ehemaliger Vorsitzender der G10-Kommission, die über „die Notwendigkeit und Zulässigkeit“ der durch die Nachrichtendienste durchgeführten „Beschränkungsmaßnahmen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“ entscheidet. Es ist schon 19 Uhr. Die Abgeordneten löffeln Linsensuppe. Die Besuchertribüne hat sich geleert. Beinahe ein Jahr nach dem medial viel beachteten Auftakt der Untersuchung ist der Ausschuss zu einer Veranstaltung für Insider geworden. „Wann hatten Sie Kenntnis von Eikonal?“, fragt die CDU-Abgeordnete Nina Warken. „Davon habe ich aus der ,Süddeutschen Zeitung’ erfahren“, antwortet de With. Die G10-Kommission, bestätigt er, hat das Erfassen von Internetdaten in Frankfurt, das der umstrittenen Operation „Eikonal“ zugrunde lag, genehmigt. Dass auch die NSA die Daten erhielt, davon wussten die Mitglieder nichts. „Wenn Ihnen das gesagt worden wäre, … hätten Sie das genehmigt?“, fragt André Hahn von der Linken. „Nein“, sagt de With.

Die Öffentlichkeit, sagt Ströbele, erwarte immer, dass in der parlamentarischen Aufklärung irgendwann der eine Zeuge komme, in Tränen ausbricht und die ganze Wahrheit gesteht. Doch meist ergibt sich das Gesamtbild am Ende aus vielen Klein-Skandalen. Das Problem der parlamentarischen Arbeit ist es, das Publikum so lange bei der Stange zu halten. Als Thomas de Maizière am 6. Mai 2015 nach seiner Anhörung im Parlamentarischen Kontrollgremium vor die Kameras tritt, ist das Publikum da, aber der Skandal nicht. Als Hans de With sagt, der BND habe ihm unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eine G10-Genehmigung entlockt, ist der Skandal da, aber das Publikum abwesend. Der kathartische Moment bleibt aus.

Dafür, dass das Publikum oft weg ist, wenn es Erkenntnisse gibt, sorgt auch die Geheimhaltung. Immer wieder berufen sich Bundesregierungen im ewigen Streit um verweigerte, geschwärzte, ausgedünnte Akten und eingeschränkte Aussagegenehmigungen auf den „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung“, den Paragraf 6 Kontrollgremiumsgesetz vor dem Einblick der Parlamentarier schützt. Der Begriff ist nirgends definiert. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2009, er umfasse ein legitimes Geheimhaltungsrecht für den „innersten Bereich der Willensbildung“ der Regierung, besonders für noch laufende Vorgänge und wenn das „Staatswohl“ berührt ist. Doch dieser „Kernbereich“ könnte auch Zufluchtsorts ein.

Am 13. November 2014 hört der Ausschuss den BND-Unterabteilungsleiter W. K. Was er sagt, ist inzwischen durch die Wikileaks-Veröffentlichungen auch nachzulesen. Er wird gefragt, wie der BND die von den Amerikanern gelieferten Suchbegriffe kontrolliert. „Es geht kein Suchkriterium in die Erfassung, bevor es nicht überprüft wurde …“, sagt W. K. „Über all die Jahre zu versuchen, uns Selektoren unterzujubeln, um Wirtschaftsspionage zu betreiben, ich glaube, das ist nicht möglich. Das ist uns auch nie aufgefallen.“ SPD-Obmann Christian Flisek fragt, ob die Begriffe daraufhin überprüft würden, ob deutsche Interessen, zum Beispiel Wirtschaftsinteressen, berührt wären. W. K. antwortet: „Solche Dinge werden natürlich beachtet, … wenn Sie jetzt deutsche Firmen annehmen; auch europäische würden wir aussortieren nach unserer Kenntnis.“

Die Zahl der Selektoren nennt W. K. nur in geheimer Sitzung, obwohl nur so klar werden würde, ob seine Behauptung, die Selektoren würden „einzeln“ geprüft, überhaupt plausibel ist. Die Größenordnung sei „nicht abschreckend“, sagt W. K., es sei „nicht unmöglich, das zu prüfen, und das tun wir in der Tat“. Damit bleibt das Publikum zurück.

Heute heißt es: Es sind Millionen. War W.K.s Aussage ein Täuschungsmanöver? Oder glaubte er, was er im November 2014 sagte?

Die Vorschläge für eine Verbesserung der Parlamentarischen Kontrolle liegen auf dem Tisch

Zum Schutz der Geheimnisse soll jeder Geheimdienstmitarbeiter nur das wissen, was er für die unmittelbare Erfüllung seiner Aufgabe braucht – „Need-to-know“ nennt sich das Prinzip – und die Selektorenprüfung war nicht W. K.s Aufgabe. Doch „Need-to-know“ hat auch eine politische Schutzfunktion. Die Behörden und die politisch Verantwortlichen werden vor brisanten Informationen geschützt, um im Krisenfall Öffentlichkeit und Parlament nicht belügen zu müssen.

Montag, 4. Mai 2015, der BND-Skandal köchelt seit vier Tagen, hektisches Telefonieren in den Abgeordnetenbüros der Opposition. Eine Sitzungswoche steht an und es gilt, aus den Veröffentlichungen des „Spiegel“ maximales politisches Kapital zu schlagen. Grüne und Linke beantragen eine Sondersitzung des NSA-Untersuchungsausschusses mit Thomas de Maizière. Die Opposition will ihn auch öffentlich, solange das Publikum noch wach ist. Die Koalitionsfraktionen lehnen die Sondersitzung zunächst ab. Am vergangenen Freitag haben Grüne und Linke sie erneut beantragt, für den 22. Mai. Ist das politische Scharlatanerie, wie Stephan Mayer im Plenum sagt?

Anfang Juni jähren sich die Snowden-Enthüllungen zum zweiten Mal. Sicher, der Skandal kennt viele übergroße Wörter: Überwachungsstaat ist so eines. Die Aufarbeitung aber zeigt, wie zäh sich das System gegen Veränderungen zu sträuben vermag und wie wichtig die punktuelle Skandalisierung für die demokratische Hygiene ist. Skandale bleiben der Treibstoff des Wandels.

Die Vorschläge für eine Verbesserung der Parlamentarischen Kontrolle liegen seit Langem auf dem Tisch. Hans-Christian Ströbele sagt, das Gremium brauche mehr Mitarbeiter, vor allem solche mit besseren IT-Kenntnissen, Sanktionsmöglichkeiten, von denen auch die Öffentlichkeit erfahre und Kontrollen vor Ort. Auch die Geheimdienstgesetzgebung wird seit Jahren in Fachkreisen kritisiert. Doch aus den Koalitionsfraktionen war bisher zu hören: In dieser Legislatur wird das nichts.

Nun fordern prominente CDU-Innenpolitiker einen „Geheimdienstbeauftragen“. Sigmar Gabriel tritt Angela Merkel vors Schienenbein. Und Justizminister Heiko Maas sagt, man müsse darüber diskutieren, ob die Kontrollmechanismen und die rechtlichen Grundlagen ausreichen: „Es darf weder für ausländische noch für inländische Nachrichtendienste rechtsfreie Räume geben.“

Am Montag, den 11. Mai, steigt Ströbele in einen Zug und fährt nach Pullach, zur BND-Zentrale. Man führt ihn in einen Konferenzraum und serviert Kaffee. Die Computersysteme, so heißt es, könne man so kurzfristig nicht vorführen. Darum ging es aber wohl ohnehin nicht. Es ist der Beginn einer Woche ohne erkennbares Skandalfutter. Und es gilt, das Publikum wach zu halten.

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