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Die britische Regierungschefin Theresa May.

© Chris J. Ratcliffe/AFP

Neuwahlen in Großbritannien: Premierministerin May spielt eiskalt

Das britische Parlament hat den Plan von Theresa May abgesegnet, Neuwahlen abzuhalten. Doch wenn May im Wahlkampf die englische Karte spielt, droht sie die Nation zu spalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Lange Zeit haben die Briten der Europäischen Union den Vorwurf gemacht, eine Art Diktatur zu sein. Seit Mittwoch muss sich allerdings die britische Regierungschefin Theresa May ihrerseits den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die Möglichkeiten, die ihr die Demokratie bietet, auf fragwürdige Weise ausnutzt. Auf ihren Wunsch hat das Londoner Unterhaus möglicherweise der Quasi-Alleinherrschaft der britischen Konservativen für die nächsten fünf Jahre die Tür geöffnet. Es wird vorgezogene Neuwahlen am 8. Juni geben, und als Ergebnis ist dabei die totale Übermacht der Tories durchaus vorstellbar. Den politischen Willen aller Briten im Vereinigten Königreich dürfte sie allerdings auch nicht widerspiegeln.

Rein formal ist gegen Mays Schachzug zwar nichts einzuwenden, sich mit der Unterstützung der Bevölkerung ein eigenes Mandat zu sichern und dabei das Umfragetief der oppositionellen Labour-Partei gnadenlos auszunutzen. Auch der konservative Premierminister John Major entschied sich Anfang der Neunzigerjahre dafür, vorzeitige Neuwahlen abzuhalten, nachdem er als Nachfolger der gestürzten Margaret Thatcher zunächst ohne die ausdrückliche Billigung der Wähler ins Amt gekommen war. Ähnlich ist nun auch das Kalkül der konservativen Regierungschefin May: Nachdem sie im vergangenen Jahr die Geschäfte von ihrem gescheiterten Vorgänger David Cameron übernahm, will sie sich nun bei den Wählern eigens die Unterstützung für die anstehenden schwierigen Brexit- Verhandlungen holen.

Nach der Neuwahl muss May bei den EU-Austrittsverhandlungen Farbe bekennen

Für die Gespräche zwischen den verbliebenen 27 EU-Mitgliedstaaten und London muss es kein Schaden sein, wenn die Neuwahlen dazu führen sollten, dass die britische Regierungschefin endlich eine klare Verhandlungsposition bezieht. „Brexit heißt Brexit“ – ein frisches Mandat der Briten könnte die Regierungschefin in die Lage versetzen, ihr wolkiges Mantra auch mit Leben zu erfüllen. Auf der Seite der EU-27 warten sie nämlich schon lange genug darauf, dass London darlegt, wie man sich auf der Insel die Scheidung von der Europäischen Union genau vorstellt. In Brüssel will niemand die Briten davon abhalten, die Gemeinschaft zu verlassen – womit übrigens auch das von populistischen EU-Feinden gern gepflegte Vorurteil entkräftet wird, dass die Gemeinschaft die Mitglieder zu ihrem Glück zwinge. Die EU ist keine Diktatur. Wer will, kann gehen.

Die Brexit-Gegner könnten weiter an den Rand gedrängt werden

Da sich aber nicht alle Briten beim Brexit-Referendum für den Ausstieg aus der EU aussprachen, befand sich May von Anfang an in einer heiklen Lage. Engländer und Waliser stimmten für den Brexit, Schotten und Nordiren dagegen. Die Tory-Chefin ahnte bereits im vergangenen Jahr, dass ihr mit den Brexit-Verhandlungen eine kaum lösbare Aufgabe bevorstehen würde: einerseits die Mehrheit der Brexiters zufriedenstellen und auf der anderen Seite die Wünsche derjenigen zu berücksichtigen, die eine möglichst sanfte Scheidung von der Europäischen Union wollen. Nach Lage der Dinge dürften Schotten, Nordiren, Liberaldemokraten – oder wer bis jetzt auch immer Einspruch gegen einen harten Brexit erhob – demnächst unter Mays Regierung noch weiter an den Rand gedrängt werden.

"Starke und stabile Führung" - für Schottland verheißt das nichts Gutes

Für den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs verheißt das nichts Gutes. Die „starke und stabile Führung“, die nach den Worten von May aus der Parlamentswahl im Juni erwachsen soll, dürfte in erster Linie die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon zu spüren bekommen. Eine Wiederholung des Unabhängigkeitsreferendums von 2014, das Sturgeon in den vergangenen Monaten wieder ins Spiel brachte, kommt für May nicht in Frage. Die Schärfe, mit der die britische Regierungschefin am Mittwoch die vermeintlichen „Spalter“ um die schottischen Nationalisten angriff, gibt einen Vorgeschmack auf einen Wahlkampf, in dem vor allem die nationale – im Zweifelsfall englische – Karte gespielt werden dürfte. Fragt sich nur, ob Theresa May damit nicht zur Spaltung der gesamten Nation beiträgt.

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