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Umstrittene Siedlungen. Nach wie vor entstehen im besetzten Westjordanland neue Wohnungen für Israelis.

© Ammar Awad/Reuters

Neues Gesetz zu israelischen Siedlungen: Zwei-Staaten-Lösung: Verbaut

Israel will illegale Siedlungen per Gesetz legalisieren. Steht die Zwei-Staaten-Lösung jetzt endgültig vor dem Aus?

An Warnungen und Protesten herrschte kein Mangel. Israels Parlament ließ sich dennoch nicht davon abhalten, am Montag mit knapper Mehrheit ein umstrittenes Gesetz zu billigen. Es sieht vor, dass „wilde“ jüdische Siedlungen auf palästinensischem Privatland nachträglich legalisiert werden. Die Entscheidung löste gleichermaßen Jubel und scharfen Protest aus. Israels nationalreligiöser Bildungsminister Naftali Bennett sprach von einem historischen „Wendepunkt“, PLO-Generalsekretär Saeb Erekat vom „Ende der Zwei-Staaten-Lösung“.

Was sieht der Parlamentsbeschluss vor?

Durch ihn werden israelische Gebäude, die illegal auf palästinensischem Privatland gebaut wurden, rückwirkend genehmigt. Vereinfacht gesagt: Ein bisheriges Unrecht wird für rechtens erklärt. Es geht derzeit um rund 4000 Wohnungen in 16 Siedlungen und Außenposten, die sich im besetzten Westjordanland befinden und selbst nach israelischen Gesetzen nicht hätten gebaut werden dürfen.

Um zu verhindern, dass die Bewohner – wie gerade bei der Siedlung Amona geschehen – einen Räumungsbefehl erhalten und ihre Häuser zerstört werden, soll das Gesetz solche Bauten legalisieren – sofern sie auf Anweisungen des Staates oder wider besseres Wissen errichtet wurden. Dafür würden die Grundstücke konfisziert und als staatlicher Besitz deklariert. Die rechtmäßigen palästinensischen Besitzer sollen mit Land an anderer Stelle oder finanziell entschädigt werden. Die eigene Führung erlaubt es Palästinensern jedoch nicht, Land an Israelis zu verkaufen.

„Das verändert das Konzept, wie bisher Siedlungsaktivitäten gesetzlich geregelt wurden“, sagt Juval Schani, Rechtsexperte des israelischen Demokratie-Instituts. Der Bau von Wohnungen im Westjordanland ist zwar mit internationalem Recht nicht vereinbar, war aber nach israelischem Recht bisher nicht völlig verboten. Genehmigungen gab es zum Beispiel für Siedlungen auf öffentlichem Land oder auf legal erworbenem Privatland. Seit den späten 90er Jahren, so Shani, seien aber immer öfter auch einzelne Häuser und „Außenposten“ auf palästinensischem Privatbesitz gebaut worden – wie Amona. Siedlungen, die bereits einen Räumungsbefehl erhalten haben, sind allerdings von dem neuen Gesetz ausgenommen.

Wer steht hinter dem Gesetz?

Es wurde vor allem von der ultrarechten Siedlerpartei „Jüdisches Heim“ durchgedrückt. Bildungsminister Bennett plädiert seit Langem für die komplette Annexion des Westjordanlandes. Der erste Entwurf des Gesetzes, der im vergangenen Jahr vorgelegt wurde, war nicht zuletzt der Versuch, die Räumung der Siedlung Amona zu verhindern. Der Teil des Gesetzesvorhabens, der das ermöglicht hätte, wurde allerdings nun gestrichen.

Für die Siedlerpartei "Jüdisches Heim" ist das Gesetz dennoch eine willkommene Möglichkeit, ihre aufgebrachten Wähler und Sympathisanten zu beruhigen. Deren Abgeordnete Shuli Muallem-Refaeli sagte laut Medienberichten vor der Abstimmung am Montagabend: Das Gesetz sei den tapferen Menschen von Amona gewidmet, die gezwungen wurden, etwas zu ertragen, was nun keine jüdische Familie jemals wieder durchmachen müsse.

Justizministerin Ajelet Schaked geht offenbar so weit, dass sie notfalls einen Anwalt engagieren würde, der die Regierung vertritt und das Gesetz verteidigt, sollte es zu einer Klage vor dem Obersten Gerichtshof kommen. Rechtsexperten halten das für wahrscheinlich. Opposition und Menschenrechtler sind ohnehin empört. So teilte die Organisation B'tselem mit, „diesem andauernden Akt der Plünderung“ werde jetzt der Schein der Legalität verliehen. Dies sei eine Schande für den Staat. Jitzchak Herzog, Vorsitzender des Zionistischen Lagers, sprach sogar von einer „großen Katastrophe für das israelische Volk“.

Jüdische Siedlungen im Westjordanland
Jüdische Siedlungen im Westjordanland

© Schilli

Wie steht Benjamin Netanjahu zu dem Vorhaben?

Grundsätzlich zählt der Premier zu den Befürwortern des Gesetzes. Doch das Timing lief für ihn nicht wie gewünscht. Es waren Bennett und seine Siedlerpartei „Jüdisches Heim“, die die Abstimmung am Montagabend durchdrückten. Noch am Sonntagabend hat Netanjahu Berichten zufolge Mitgliedern der Koalition mitgeteilt, er wolle die Abstimmung lieber auf die Zeit nach seinem Besuch bei Präsident Donald Trump am 15. Februar verschieben, weil er das Gesetz zunächst mit der neuen US-Regierung besprechen wolle.

Doch die Siedlerpartei ignorierte die Bitte des Regierungschefs. Bereits vergangenes Jahr war es Netanjahu, der auf eine Verschiebung weiterer Abstimmungsrunden pochte – aus Furcht, die Obama-Regierung könnte am Ende ihrer Amtszeit noch Schritte gegen Israel im UN-Sicherheitsrat einleiten. Bereits damals setzten Bennett und seine Partei alles daran, das Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden. Netanjahu nannte Bennett deshalb „kindisch und unverantwortlich“.

Dennoch hat man seit einiger Zeit den Eindruck, Netanjahu sei ein Getriebener. Einerseits will er es sich mit der neuen Regierung in Washington nicht verscherzen. Andererseits kämpft er mit Bennett um die gleichen Wählerstimmen – die der Siedler im Westjordanland. Netanjahu hat derzeit also die sehr schwierige Aufgabe, es möglichst allen rechtzumachen. Darüber hinaus bringen ihn die Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts immer mehr in Bedrängnis.

Kann das Gesetz noch scheitern?

Es besteht die Möglichkeit, dass der Oberste Gerichtshof das Vorhaben stoppt. Allerdings hat der Generalstaatsanwalt des jüdischen Staates, Avichai Mandelblit, bereits angekündigt, dass er nicht vorhat, das Gesetz vor Gericht zu verteidigen, weil es gegen geltendes israelisches Recht verstoße. Es beschneide ganz klar Eigentumsrechte der Palästinenser im Westjordanland. Mandelblit sieht außerdem die Gefahr, dass es Klagen gegen Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof geben könnte.

Dass das Gesetz bereits von Israels Oberstem Gerichtshof gestoppt wird, hält Juval Schani vom Demokratie-Institut für durchaus denkbar. Denn es verstoße gegen Grundrechte, allen voran das Recht auf Menschenwürde und das Recht auf Freiheit und Eigentum. Allerdings kann sich der Oberste Gerichtshof erst dann mit dem Fall beschäftigen, wenn eine Klage eingereicht wird. Bis zu einer Entscheidung könne es also noch viele Monate dauern.

Wie reagieren die Palästinenser?

Sie sind außer sich. Und sehen sich bestätigt, dass Israel entgegen aller Bekundungen kein ehrliches Interesse an einer Friedensregelung hat. PLO-Generalsekretär Saeb Erekat prangert den „Diebstahl“ palästinensischen Landes an. Ein Berater von Präsident Mahmut Abbas sieht in dem Gesetz gar das Ende aller Bemühungen, den Nahostkonflikt politisch zu lösen. Die palästinensische Politikerin Hanan Aschrawi warf der „rassistischen und extremistischen“ israelischen Regierung vor, „absichtlich die Chancen für einen Frieden zu zerstören“.

Wie bewerten die USA unter Trump den Siedlungsbau?

Für nationalreligiöse Siedler ist Donald Trump so etwas wie ein Gottesgeschenk. Vom US-Präsidenten versprechen sie sich quasi uneingeschränkte Solidarität. Das kommt nicht von ungefähr. Während des Wahlkampfs und kurz nach Amtsantritt hat der Republikaner mehrfach deutlich gemacht, dass er in den Siedlungen kein ernsthaftes Hindernis auf den Weg zum Frieden im Nahen Osten sieht. Solche Äußerungen und die Ankündigung, die US-Botschaft nach Jerusalem verlegen zu wollen, werten viele Siedler – 600.000 leben mittlerweile im seit 1967 besetzten Westjordanland und Ost-Jerusalem – als eine Art Freifahrtschein.

Doch ganz so einfach dürfte es nicht sein. Als Netanjahu vor Kurzem den Bau von mehreren tausend neuen Wohnungen genehmigte, war man in Washington wenig begeistert. Dies sei „vielleicht nicht hilfreich“, hieß es. Das Statement ist womöglich eine Warnung an Israel, es nicht zu übertreiben. Denn auch im Nahen Osten hat Trump Großes vor. Seiner Ansicht nach wäre ein Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern der „ultimative Deal“. Dazu gehört, die arabischen Staaten nicht zu brüskieren. Doch das passiert, wenn die Regierung in Jerusalem den Weg zum Frieden verbaut.

Hat die Zwei-Staaten-Lösung noch eine Chance?

Derzeit sieht es nicht danach aus. Und das neue Gesetz macht die Lage noch komplizierter. Das neue Gesetz wird denn auch unisono abgelehnt So erklärt das Auswärtige Amt in ungewohnt deutlichen Worten: „Das Vertrauen, das wir in das Bekenntnis der israelischen Regierung zur Zwei-Staaten-Lösung haben mochten, ist nachhaltig erschüttert.“ Und: „Viele in Deutschland, die in tiefer Verbundenheit an der Seite Israels stehen, lässt dieser Schritt enttäuscht zurück.“

Bei den Vereinten Nationen ist von „ breiten roten Linien“ die Rede, die überschritten werden. Doch Beobachter geben der Zwei-Staaten-Lösung ohnehin kaum noch eine Chance. Zu groß sind Misstrauen und Missgunst. In Israel sind die Friedensbefürworter längst eine Minderheit. Ein Großteil der Bevölkerung ist der Auffassung, viel investiert, aber im Grunde nichts von den Palästinensern als Gegenleistung erhalten zu haben. Die wiederum sind mehrheitlich überzeugt, dass der jüdische Staat auch nach 50 Jahren Besatzungsmacht bleiben will.

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