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Der Norweger Erik Solheim (61) leitet das UN-Umweltprogramm Unep seit 2016.

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Neuer Unep-Chef Erik Solheim: "Ohne Wachstum gibt es kein Ende der Armut"

Der Norweger Erik Solheim, neuer Chef des UN-Umweltprogramms Unep, spricht über Kapitalismus und Entwicklung - und was Superreiche wie Bill Gates dafür tun.

Herr Solheim, Sie waren Umwelt- und Entwicklungpolitiker. Wie können Sie als neuer Chef des UN-Umweltprogramms Unep diese Themen verbinden?

Offensichtlich und ganz allgemein müssen Umwelt und Entwicklung vollständig verschmolzen werden, um die neuen gemeinsamen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zu erreichen.

Wie soll das funktionieren?

Das offensichtlichste Thema ist die Umweltverschmutzung. Wir waren bisher sehr erfolgreich darin, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen. Mit einem kleinen Stolperer in Nigeria haben wir Polio auf dem afrikanischen Kontinent ausgerottet. Die Pocken sind in der ganzen Welt ausgerottet und die Todesrate bei Malaria ist seit dem Jahr 2000 um 70 Prozent reduziert worden. Ein riesiger Erfolg. Die Umweltverschmutzung entwickelt sich zum wesentlichen Entwicklungshindernis. Es gibt mehr Tote durch Luftverschmutzung als durch Krebs. Jeder weiß vom Krebs, aber niemand weiß von den Folgen der Luftverschmutzung. Das Thema ist nah an den Menschen. Ein zweites Beispiel sind die Ozeane. Die Meere bieten vielen Menschen in der Fischerei eine Lebensgrundlage, aber diese wird durch Überfischung und Plastikmüll im Meer zerstört.

Und das lähmt Entwicklung?

Die größte Jobmaschine ist der Tourismus. Um auch nur ein kleines Hotel zu betreiben, braucht es eine große Belegschaft. In einer Autofabrik können wenige Experten die Roboter überwachen. Aber der Tourismus ist ein fantastischer Job-Produzent, wenn wir es nachhaltig tun. Wir müssen die Menschen mit weniger Verschmutzung durch Flugzeuge und Autos um die Welt bringen, und die Natur respektieren. Es gibt eine starke Verbindung zum Naturschutz. Die Leute reisen, um Elefanten zu sehen oder Löwen. Wenn es die nicht mehr gibt, kommt auch keiner mehr. Der Naturschutz verbindet Umweltschutz mit Wirtschaftsentwicklung im großen Stil. Es ist kein Zufall, dass Thailand in den vergangenen Jahrzehnten enorme Wachstumsraten hatte. Einer der Faktoren ist die Tatsache, dass Thailand eines der meist besuchten Reiseländer ist. In Afrika könnte es ähnlich sein.

Dafür müssen Sie auch das Nachhaltigkeitsziel im Auge behalten, das Frieden und Sicherheit anstrebt. Kein Touristenort überlebt, wenn es keine Sicherheit gibt...

Das ist ein weiteres Thema, das wir uns genau anschauen: den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Krieg, Konflikt und Migration. Umweltzerstörung kann Konflikte verstärken und Kriege können es sehr schwer machen, die Umweltprobleme zu lösen. Im Nahen Osten beispielsweise trägt die extreme Wasserknappheit zu den komplexen Konflikten bei. Auf der anderen Seite bürden die Millionen Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien ihren Nachbarländern wie Jordanien oder dem Libanon auch enorme Umweltlasten auf. Es gibt einige Kriege auf der Welt, bei denen die Umwelt keine Rolle spielte. Ich war beispielsweise in den Friedensprozess nach dem Bürgerkrieg in Sri Lanka eingebunden. Dort gab es keine Verbindung zur Umwelt. Aber in Somalia, im Südsudan und in der Region um den Tschadsee, wo Boko Haram Probleme macht, gibt es eine klare Verbindung zwischen Umweltzerstörung und Krieg.

Andererseits ist es dem langen Krieg im Südsudan zu verdanken, dass es den Sudd, das große Sumpfgebiet am Weißen Nil, noch gibt. Die Regenwälder im Kongobecken wären wohl nicht mehr da, wenn die lang anhaltende Unsicherheit in der Demokratischen Republik Kongo seine Ausbeutung nicht verhindert hätte...

Das ist das Paradox des Lebens. Der Kongo-Regenwald ist besser erhalten als der indonesische Regenwald. Indonesien ist wirtschaftlich eines der erfolgreichsten Länder, die Armutsrate sinkt, Gesundheitsversorgung, Bildung und Lebenserwartung sind verbessert worden. Aber die Möglichkeit, die Regenwälder zu zerstören ist auch viel größer gewesen.

Wie findet man da die richtige Balance?

Wir können Wälder nicht mit Konflikten schützen. Aber wir können brasilianische Waldexperten ins Kongobecken bringen. Brasilien hat den 20 Millionen Menschen, die im brasilianischen Amazonas-Regenwald leben, eine rasante Wirtschaftsentwicklung gebracht. Das sind so viele Menschen wie in allen skandinavischen Ländern zusammen. Wenn das in Brasilien möglich ist, ist es überall möglich. Ohne Wirtschaftswachstum sind die Armen nicht aus der Armut herauszuholen.

Dann ist Wachstum alles?

Nein, es gibt ein Problem mit der Verteilungsgerechtigkeit. Wir müssen den Reichtum des Planeten viel besser teilen als auf diese komplett lächerliche Weise, dass ein paar Superreiche mehr Zugang zu Ressourcen haben als die Hälfte der Weltbevölkerung. Das muss sich ändern. Es führt auch zu politischer Instabilität, wenn die Leute das ungerecht finden. Das kann nur auf der höchsten politischen Ebene gelöst werden. Wir müssen auf diesen politischen Willen drängen. Glücklicherweise haben das inzwischen sogar ein paar Superreiche verstanden, wie Bill Gates. Der Kapitalismus kann langfristig nur überleben, wenn er fair, integrativ und verantwortlich ist.

Wie kann man erreichen, dass Geld in den Erhalt der Umwelt investiert wird und nicht mehr in ihre Zerstörung?

Die chinesische Führung hat das Thema in ihrer G-20-Präsidentschaft sehr gut aufgegriffen. Deutschland wird die Präsidentschaft im kommenden Jahr übernehmen und hat schon angekündigt, das Thema weiterzuführen. Für mich ist die Sache ganz simpel: Es gibt unglaublich viel Geld auf der Welt. Auf der anderen Seite gibt es viele gute Ideen und Projekte, die von diesen Investoren übersehen werden. Viele dieser Projekte werden als nicht investierbar angesehen, weil die Banken oder Versicherungen Schwierigkeiten damit haben, die Risiken zu kalkulieren. Das Risiko scheint zu hoch. Deshalb sollten wir nach Wegen suchen, dass Regierungen oder die Weltbank oder andere Organisationen den privaten Investoren einen Teil dieses Risikos abnehmen.

Könnten Klimaversicherungen dafür ein Vorbild sein?

Es gibt seitens der Versicherungen großes Interesse. Aber wir bei den Vereinten Nationen tun uns immer noch etwas schwer, den richtigen Ton mit den privaten Investoren und ein gemeinsames Verständnis mit privaten Investoren zu finden. Deutschland ist die Nation, die das am besten kann. Es gibt gute Beziehungen zwischen Politik und Unternehmen, und es gibt viele Firmen, die es besser machen wollen, die sich als verantwortliche Kapitalisten profilieren wollen. Der globale Umbau der Energiesysteme, der Landwirtschaft und der Wasserinfrastruktur kann nur mit privaten Investitionen gelingen. Der französische Ölkonzern Total hat angekündigt, bis 2030 unter den drei größten Solarkonzernen der Welt sein zu wollen. Das ist für einen Ölkonzern ziemlich mutig. Und sie haben angekündigt, dass sie in der Arktis kein Öl fördern werden. Da sind sie weiter als viele skandinavische Politiker, die das immer noch tun wollen.

Shell hat in die Solarzellenproduktion investiert und alles wieder verkauft, als der Ölpreis wieder stieg. Oder BP, das sich für einige Zeit als "Beyond Petroleum" bezeichnete, als "nach dem Öl"...

Diese Art von Versprechen sind besser als nichts. Natürlich müssen alle liefern. Aber das gilt für alle: für die Politik, die Wirtschaft und die Vereinten Nationen.

Welche Reformmöglichkeiten sehen Sie für die UN?

Der Kern der UN ist, einer der moralischen Anführer der Welt zu sein. Es ist unsere Aufgabe, beste Lösungen für viele Probleme zu finden und Kampagnen zur Verbesserung der Welt zu machen. Unep sollte stärker an Kampagnen beteiligt sein, um das öffentliche Bewusstsein zu mobilisieren. Ein Beispiel sind Aufräumtage an den Meeresküsten. Damit wird die Verschmutzung mit Plastikmüll der Meere vermindert. Es braucht diese körperliche Arbeit am Strand. Aber die Plastikindustrie braucht auch mehr Regulierung, um das Problem zu lösen. Das Thema verbindet die große Politik mit dem privaten Handeln. Wir müssen die Bürger für die Umwelt mobilisieren, sonst scheitern wir.

Sie verbringen gerade Ihre ersten zusammenhängenden Arbeitstage am Unep-Sitz in Nairobi. Wie viel vom Nairobi-Nationalpark wird noch übrig sein, wenn Sie in ferner Zukunft Ihren Posten wieder verlassen. Die Stadt drängt schließlich von allen Seiten in den Park.

Ich sehe das ganz anders: Wo sonst gibt es einen Nationalpark mitten in der Stadt? Ich weiß um die Schwierigkeiten. Einer meiner größten Erfolge als Umweltminister war die Erhaltung des Waldes in der norwegischen Hauptstadt Oslo – und das war ein harter Kampf. Aber ist es nicht schon ein großer Erfolg, dass es Kenia bisher gelungen ist, den Nationalpark und den Karua-Wald, der ebenfalls teilweise auf Stadtgebiet liegt, zu erhalten?

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