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SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles, Vorgänger Thomas Oppermann.

© Kay Nietfeld/dpa

Neuer Bundestag: SPD und Linke sind zur Zusammenarbeit gezwungen

Um Minderheitenrechte durchzusetzen, werden SPD und Linke im Bundestag kooperieren müssen. Doch das Verhältnis der beiden Parteien bleibt angespannt.

Von Matthias Meisner

Der Auftakt ging schon einmal schief. Gleich nach ihrer Wahl vergangene Woche zur SPD-Fraktionschefin warb Andrea Nahles vor der Presse in Berlin für eine "wirksame Strategie" aller demokratischen Parteien, um sich mit den "üblichen Spielchen", "Tabubrüchen" und "Eskalationen" der AfD auseinanderzusetzen. Und attackierte dann gleich die Linke, mit der die SPD - sollte es eine Jamaika-Bundesregierung aus CDU/CSU, FDP und Grünen geben - künftig gemeinsam auf den Oppositionsbänken sitzen wird.

"Ich höre, dass in der Linkspartei eine Debatte darüber ausgebrochen ist intern, ob man nun mit der AfD zusammenarbeiten soll oder nicht", sagte Nahles. Bis das nicht geklärt sei, könne sie "überhaupt keine Verbindungslinien" zwischen SPD und Linken sehen. "Wir sind beide in der Opposition." Es müsse abgewartet werden, ob "die Linkspartei sich bewegt und die SPD nicht mehr als ihren Hauptgegner identifiziert", wie sie es in den vergangenen Jahren getan habe. Zu Gesprächen sei sie immer bereit, versicherte die Ex-Sozialministerin. "Aber ich sehe momentan keine Signale, die mich ermutigen würden, dass es da jetzt eine große Annäherung geben kann".

Die Wortmeldung verärgerte die Genossen um Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die voraussichtlich auch künftig an der Spitze der Linksfraktion stehen - gewählt wird am 17. und 18. Oktober auf einer Klausurtagung in Potsdam. Linken-Fraktionsvize Jan Korte bescheinigte Nahles den "denkbar schlechtesten Start als Oppositionsführerin". Sie habe nur ein paar Minuten gebraucht, um unter das Niveau ihres Vorgängers Thomas Oppermann zu sinken. "Die Linke ist bereit, auch mit Blödsinn quatschenden Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, mit Rassisten werden wir das aber niemals tun", sagte Korte: "Von den Groko-erprobten Sozen brauchen wir keine Nachhilfe in Oppositionsarbeit oder beim Kampf gegen Rassismus." Sein Fraktionskollege Stefan Liebich versicherte: "Ich kenne niemanden, der ,Zusammenarbeit' vorschlägt. Es geht um den Umgang im Parlament. Das ist nicht trivial und wird auf der Klausur beredet."

SPD: Linke muss lernen, dass der Feind rechts steht

Der Angriff von Nahles überraschte vor allem deshalb, weil SPD und Linke im neuen Bundestag zusammenarbeiten müssen - mindestens punktuell. Um Minderheitenrechte wie einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss durchzusetzen, ist keine der beiden Fraktionen allein groß genug. Ging es einfach darum, dass die neue SPD-Fraktionsvorsitzende Nahles den eigenen Genossen beweisen wollte, dass sie nicht so links ist wie allgemein angenommen?

Petra Sitte ist parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag.
Petra Sitte ist parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag.

© Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa

Wer Carsten Schneider fragt, den neuen parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, bekommt weniger scharfe Töne zu hören. Er sagt dem Tagesspiegel: "Wir sind eine eigenständige Partei und Fraktion. Wir werden die Oppositionsführerschaft beanspruchen und auch ausfüllen." Die SPD werde aber mit der Linken "professionell kooperieren - da, wo es notwendig ist", konkret also etwa bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. "Ich hoffe, dass es innerhalb der Linksfraktion zu einer Entspannung gegenüber der SPD kommt", erklärt der thüringische Bundestagsabgeordnete, der 2014 in seinem Bundesland die rot-rot-grüne Regierungskoalition mit ausgehandelt hat. Die Linke müsse verstehen lernen, "dass der Feind rechts steht und nicht die SPD ist". Die Abgrenzung zur SPD scheine ihm ein "Gründungsmythos" der Linkspartei zu sein, sagt Schneider in Anspielung auch auf Oskar Lafontaine, den Ex-Parteichef von Linken und SPD.

Wie sich die Zusammenarbeit perspektivisch entwickelt, mag Schneider noch nicht voraussagen. Die Linke habe bei der Wahl realpolitische Abgeordnete aus dem Osten verloren, viele der neuen Parlamentarier aus dem Westen könne er noch nicht einschätzen. Dennoch: "ich gehe da ohne Schaum vorm Mund rein und sehe, dass wir eine ordentliche Zusammenarbeit hinbekommen."

Carsten Schneider ist neuer parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag.
Carsten Schneider ist neuer parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag.

© Kay Nietfeld/dpa

Linke misstrauisch gegenüber der SPD

Schneiders Kollegin in der Linksfraktion, Petra Sitte, widerspricht dem Eindruck, ihrer Partei gehe es vor allem um die Auseinandersetzung mit der SPD. Die Linke habe die große Koalition seit Jahren kritisiert, "dabei insbesondere die Union", erklärt Sitte. Die SPD dagegen sei vor allem unter der Erwartung kritisiert worden, "dass diese eigentlich stärker ihre sozialdemokratischen Wurzeln einbringen müsste". Hier habe zuletzt vor allem SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz enttäuscht, sein "Rebelliönchen" gegen die Union sei ausgeblieben.

Die SPD habe sich auch unter Schulz bewusst von der Linkspartei abgegrenzt, sagt die Linken-Politikerin aus Halle. "Klar, dass nunmehr Misstrauen besteht, wenn jetzt soziale Verbalattacke geblasen würde. Ein offener und öffentlicher, selbstkritischer Umgang mit der eigenen Rolle in den letzten 20 Jahren wäre ganz sicher eine wichtige Grundlage, um Vertrauen wieder zu begründen." Und: "Gut wäre, ließen sich inhaltliche Schnittstellen als gegenseitiger Zugang ausbauen. Insofern bin ich gespannt auf das Auftreten der SPD im Bundestag und in der Gesellschaft."

Schneider schließt Zusammenarbeit mit AfD aus

Wie es künftig auf den Oppositionsbänken läuft, hängt nun auch ab von der AfD. Der SPD-Politiker Schneider versichert, anders als mit der Linken werde die SPD mit ihr nicht zusammenarbeiten. Dennoch werde er "nicht dazu beitragen, dass die AfD ihre Märtyrerrolle und Opferrolle spielen kann", versichert er. Auch die AfD habe grundsätzlich Anspruch auf ihre parlamentarischen Rechte. Das bedeute aber nicht, dass sie für wichtige Ämter wie das eines Parlamentsvizepräsidenten jeden Kandidaten durchsetzen dürfe. Gerade für repräsentative Posten wie die des Parlamentsvizepräsidenten müsse klar sein, dass die Bewerber "mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes" stehen. Offen rechtsradikale Kandidaten würden nicht gewählt. "Wenn die AfD da auf totale Provokation setzt, wird sie auf unseren Widerstand treffen."

Linken-Parlamentsgeschäftsführerin Sitte sagt, sie erwarte sowohl von der SPD als auch von ihrer eigenen Partei, dass diese sich "offensiv und aufklärend" mit Inhalten der AfD auseinandersetzen. "Das wird angesichts personellen Aufstellung der AfD-Fraktion schwer genug."

Linken-Chefin Kipping zweifelt an Jamaika

Dass in der Opposition nun der Weg bereitet wird für eine Regierungszusammenarbeit von SPD und Linken auch im Bund, nimmt in beiden Parteien derzeit fast niemand an. Trotz rot-rot-grüner Zirkel, die es seit Jahren gibt, fühlen sich die Protagonisten von #r2g nach dem 24. September wieder ganz am Anfang. Linken-Parteichefin Katja Kipping erscheint es sogar für zu früh, die Frage der Zusammenarbeit mit der SPD in der Opposition zu diskutieren. Einerseits werde in der SPD am Stuhl von Martin Schulz gesägt, andererseits sei auch eine Jamaika-Koalition "noch längst nicht sicher", sagt sie dem Tagesspiegel. Eine erneute große Koalition hält sie für nicht ausgeschlossen. "So lange die SPD nicht doch am Ende in einer Groko landet, stellt sich diese Frage noch nicht."

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