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Seit sieben Monaten im Amt: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 3. Oktober 2017.

© Arne Dedert/AFP

Nach Steinmeiers Rede: Der Wert der Heimat

Steinmeier gehörte einer Regierung an, der Teile der Bevölkerung abhandengekommen sind. Sie mit der Politik wieder zu versöhnen, könnte seine Aufgabe als Präsident werden.

Von Antje Sirleschtov

Wolf Biermann? Einen, der an seiner ersten Heimat, der DDR, zerbrochen ist und dem auch dieses Deutschland, seine zweite Heimat, so viele Kopfschmerzen bereitet; ausgerechnet Biermann, den Zerrissenen, nimmt sich der Bundespräsident zum Anker? In einer Zeit, in der die Deutschen mit ihrem Land hadern, mit ihrer Demokratie, in der jeder Schritt ins offene Europa zugleich die eigene Existenz infrage stellt.

Sieben Monate ist Frank-Walter Steinmeier nun der erste Mann im Staat. „Mut zur Demokratie“ hat er zu seinem Motto erhoben, als er gewählt wurde. Doch den Mut, uns den Spiegel schonungslos vorzuhalten, das Falsche zu benennen und die Kontroverse zu führen; diesen Mut, den hat Steinmeier noch nicht gefunden.

Die Deutschen haben in ihrer Geschichte mutige Präsidenten erlebt. Roman Herzog war so einer, auch Joachim Gauck. Und ja, auch Christian Wulffs Feststellung, der Islam gehöre zu Deutschland, hat eine streitige Debatte ausgelöst, die zutage förderte, was an Bekenntnissen in den Menschen schlummerte, aber nicht ausgesprochen wurde.

Präsidenten machen in diesem Land keine aktive Politik. Wir messen sie an ihrem Wort. Wer von Steinmeier erwartet hat, dass er nach dieser Bundestagswahl die verunsicherte Republik in ein lichtes Morgen führt, den Wählern der AfD kraftvoll die Leviten liest und den Parteien mit markigen Worten ins Stammbuch schreibt, was sie versäumt haben, der wird sich nach seiner Rede zum 27. Jahrestag der Wiedervereinigung enttäuscht abwenden. Doch was durfte man von einem Mann erwarten, der bis vor Kurzem selbst Teil einer Bundesregierung war, die zwar die Herausforderungen dieser Welt angenommen hat, der aber Teile der Bevölkerung abhandengekommen sind?

Hört man Steinmeier zu, dann heiß das auch: Grenzt die AfD-Abgeordneten nicht von vornherein aus

Ihnen, vor allem ihnen, stellt sich dieser Präsident zunächst einmal an die Seite. Den Menschen, denen die große Politik zu schnell geht, die sich verloren fühlen, nicht geachtet in ihrem Anspruch, das tägliche Leben zu meistern. Die nicht wissen, welchen Wert ihr kleines bisschen Heimat neben der Globalisierung und den Massenwanderungen der Welt noch hat. Heimat ist für Steinmeier ein Ort, wo man versteht und zugleich verstanden wird.

Das klingt auf den ersten Blick banal. Aber das ist es nicht. Denn Heimat ist weit mehr als Traditionspflege, Vertrautheit und Abgrenzung. Es ist ein Ort von Sicherheit, den wohl jeder braucht, um sein Leben selbstbewusst zu führen. Und wer wollte bestreiten, dass erst Selbstbewusstsein einen Weg aus Unmündigkeit möglich macht.

Die Diskussion darüber, wohin dieses Land gehen soll, wie viel Veränderung es ertragen kann, heißt, die Demokratie mit Leben zu erfüllen. Heimat, dieses alte Wort, holt Steinmeier jetzt aus der Ecke der Muffigkeit heraus. Und das ist doch schon etwas in einer Zeit, in der viele Menschen glauben, die Geschicke ihres Lebens werden „da oben“, fern der Heimat, gelenkt. Und sie „da unten“ nimmt keiner ernst.

Präsident zu sein, das heißt vielleicht nicht immer an erster Stelle, im Schloss Bellevue mit kraftvollen Visionen zu glänzen. Manchmal tut es not, herabzusteigen und auch bei denen zu stehen, die gerade erst AfD gewählt haben.

Hört man Steinmeier zu, dann heißt das aber auch: Grenzt die Abgeordneten der AfD, die jetzt ihren Platz im Bundestag einnehmen werden, nicht von vornherein aus. Hört ihre Argumente, wenn es in dieser Legislaturperiode darum gehen wird, Maß und Geschwindigkeit dafür zu finden, wie viele Zuwanderer die Deutschen in ihr Land lassen wollen.

„Ehrlich machen“ hieße mithin, auch diesen demokratisch Gewählten Gelegenheit zu geben, an der Zukunft des Landes mitzubauen. Auf der Grundlage unserer Verfassung, in Anerkennung unserer Geschichte. Aber ohne Empörung im „moralischen Kampfgebier“, wie Steinmeier es nennt. Leicht wird das nicht. Aber vielleicht versöhnt es und wir können später sagen, dass genau darin der Wert dieses Präsidenten gelegen hat.

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