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Premierminister Netanjahu (l.) hat Avigdor Lieberman vor zwei Wochen zum Verteidigungsminister gemacht.

© REUTERS

Nach den Anschlägen von Tel Aviv: Warum Israel einen neuen Krieg um jeden Preis verhindern will

Israel wurde von einem Terroranschlag erschüttert. Einen neuen Schlagabtausch mit der Terrororganisation Hamas will Jerusalem indes zu vermeiden - aus guten Gründen.

Avigdor Lieberman hat seinem Land zwar bereits zwei Mal als Außenminister gedient, auf diplomatische Höflichkeiten legt der Israeli dennoch keinen Wert.

Wäre er Verteidigungsminister, sagte er im April, blieben Hamas-Chef Ismail Hanija genau 48 Stunden, um zwei 2014 gekidnappte Soldaten freizulassen und die sterblichen Überresten von zwei weiteren Soldaten an die israelischen Behörden zu übergeben. „Entweder er lässt die Soldaten frei und übergibt uns die Leichen der beiden anderen – oder er ist tot. Wenn es nach mir geht, sollte er sich schon mal einen Platz auf dem Friedhof suchen.“

Lieberman zeigt sich handzahm

Seit zwei Wochen nun ist Lieberman tatsächlich Verteidigungsminister – Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte Liebermans Partei Israel Beitenu („Unser Haus Israel“) Ende Mai nach einer wochenlangen Regierungskrise ins Kabinett geholt, um seine knappe Mehrheit im Parlament auszubauen.

Sein Ultimatum an den Chef der Terrororganisation allerdings ließ Lieberman dennoch verstreichen. Das zeigt: Lieberman mag ein Mann der starken Worte sein, wenn es aber hart auf hart kommt, wird der Konservative zum Pragmatiker. Und weil er derzeit weder in der Regierung noch in der israelischen Armee auf Unterstützung für eine Auseinandersetzung mit der Hamas zählen kann, zeigt sich seit Amtsantritt geradezu handzahm.

Furcht vor dem Machtvakuum

Daran hat auch der jüngste Terroranschlag in Tel Aviv nichts geändert, bei dem vier Israelis ermordet wurden. Israel werde diese Situation nicht hinnehmen und alles notwendige unternehmen, um den Terror zu stoppen, sagte Lieberman am Mittwoch. Nach einer offenen Kriegserklärung klang das nicht.

Die Armee will nun zwar zwei weitere Bataillone im Westjordanland stationieren, ein größerer Schlagabtausch mit den Terroristen im Gaza-Streifen ist derzeit aber unwahrscheinlich. Das hat einen einfachen Grund: Mehr noch als die Raketenattacken und Terroranschläge der Hamas fürchtet die israelische Regierung ein Machtvakuum, das in Gaza entstehen könnte, sollten die Terroristen geschlagen werden.

Denn die Extremisten können keinesfalls sicher sein, dass sie einen erneuten Waffengang überstehen. Schon bei der Auseinandersetzung 2014 gab es auf israelischer Seite Überlegungen, die Hamas ein für allemal zu vernichten und Gaza wieder zu besetzen. Hinzu kommt, dass die Islamisten Konkurrenz bekommen haben. Die Salafistenszene einschließlich des „Islamischen Staats“ (IS) wird im Küstenstreifen immer stärker und stellt so indirekt die Machtfrage. Kurzum: Die Hamas ist für Israel zwar eine Bedrohung, eine Machtübernahme durch den IS dürfte aber noch weitaus schwerwiegendere Folgen haben.

Freunde und Verwandte nehmen Abschied von Ido Ben Aryeh, der beim jüngsten Terroranschlag ermordet wurde.
Freunde und Verwandte nehmen Abschied von Ido Ben Aryeh, der beim jüngsten Terroranschlag ermordet wurde.

© AFP

Und die Hamas? Die seit 2007 im Gazastreifen herrschenden Islamisten fordern zwar bei jeder Gelegenheit, die verhassten „Zionisten“ zu ermorden und den jüdischen Staat zu zerstören. Auch werden Anschläge auf Israel stets als „Märtyrertaten“ verherrlicht und gerade jetzt zu Ramadan (wie von allen islamistischen Fanatikern) als gottgefälliges Werk ausdrücklich gelobt.

Aber das heißt nicht zwingend, dass die Hamas alles daran setzt, Israel wieder in einen Krieg um Gaza hineinzuziehen.

Hamas wird auf Provokationen nicht verzichten

Auch den Islamisten ist klar, dass ein Krieg gegen Israel die eigene Position schwächen würde. Nicht zuletzt, weil die humanitäre Lage in Gaza nach wie vor dramatisch ist. Die Menschen dort leben teilweise in bitterer Armut, ganze Regionen gleichen noch einer Trümmerlandschaft. Würde Israel wieder seine ganze Militärmacht einsetzen, könnte das durchaus der Hamas angelastet werden.

Das heißt aber nicht, dass die Islamisten auf Provokationen verzichteten. Immer wieder werden Raketen auf israelisches Territorium abgefeuert. Auch soll es inzwischen wieder Tunnel geben, die es Terroristen ermöglichen, Anschläge etwa auf jüdische Siedlungen zu verüben. Die Regierung in Jerusalem signalisiert deshalb getreu ihrer Sicherheitsdoktrin mit gezielten Luftangriffen, dass man sich nichts gefallen lässt.

Dabei achten die Verantwortlichen aber bisher sorgsam darauf, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft. Krieg gilt nur als allerletzte Option. Militärisch wäre dieser zwar zu gewinnen. Doch politisch bedeutete er ein Desaster. Die Staatengemeinschaft würde vermutlich aufschreien.

Hisbollah bedroht den Judenstaat

Israel hat auch aus einem anderen Grund, wenig Interesse an einer Eskalation des Konfliktes mit der Hamas: Es gibt noch einen weiteren Todfeind im Norden – die Hisbollah. Anders als die Radikalislamisten in Gaza gleicht die Schiitenmiliz mittlerweile einer richtigen Armee. Israelische Militärexperten zählen die vom Iran massiv unterstützte „Partei Gottes“ mit Blick auf die Feuerkraft zu den Top-Ten-Streitkräften weltweit. Sicherheitsdienste gehen davon aus, dass die Hisbollah über zehntausende Raketen verfügt. Darunter sind auch solche mit großer Reichweite, die jedes Ziel im Judenstaat erreichen könnten.

Doch Beobachter gehen davon aus, dass die Schiitenmiliz eine Eskalation vermeiden möchte. Zum einen, weil ein großer Teil ihrer Kämpfer im Syrienkrieg aktiv ist, um Baschar al Assad das politische Überleben zu sichern. Bis zu 1000 Hisbollah-Mitglieder sollen dabei bereits ums Leben gekommen sein.

Zum anderen will die Führung um Hassan Nasrallah vermeiden, dass der Libanon wieder in einem verlustreichen Krieg verwickelt wird. Denn das könnte den Plänen der Hisbollah, noch mehr Einfluss im Zedernstaat zu gewinnen, erheblich schaden.

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