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Türkiye first! Was verbindet die Lage in der Türkei mit dem Situation in den USA.

© . REUTERS/Umit Bektas

Nach dem Türkei-Referendum: "Herr Erdogan braucht die weitere Polarisierung"

Knappes Ergebnis, Manipulationsvorwürfe, gespaltene Bevölkerung: Wie geht es jetzt weiter und was verbindet das Referendum mit der US-Wahl? Fragen an Alexander Görlach, Gastwissenschaftler an der Havard Universität

Ist es unzulässig, wenn einen die Abstimmung in der Türkei an die Wahl von Donald Trump erinnert?

Im Westen wird gern vergessen, dass der erste Populist unter den Politikern Recep Tayyip Erdogan war, nicht etwa Silvio Berlusconi. Erdogan hat schon 2002 die Parlamentswahlen gewonnen, weil er behauptet hat, die Interessen der Landbevölkerung, die der schwarzen Türken, gegen die kemalistischen Elite, die weißen Türken, zu verteidigen. Er hat schon immer die Konfrontation innerhalb der Bevölkerung betrieben. Diese gibt es auch in den USA, die Gesellschaft ist in Lager gespalten. Und das nicht erst seit heute, denken Sie an die Tea Party bei den Republikanern.

Was gibt es noch für Ähnlichkeiten?

Die Narrative sind ähnlich. Es geht immer um ein Erwähltsein. Das sieht man in der Türkei, in den USA, in England und auch in Russland. Überall hört man dieselben Selbstüberschätzungelogen, die das Eigene, das Wir, gegen einen äußeren Gegner überhöht. Im Unterschied zur Türkei greifen in den USA die Checks and Balances, das Land ist eine Demokratie. Die Türkei hatte ausreichend Widerstandskraft, bis der Putsch alles veränderte.

Und die Spaltung der Bevölkerung in zwei etwa gleich große Lager?

Diese Spaltungen sieht man derzeit in sehr vielen Ländern. In den USA, im Vereinigten Königreich, bei der österreichischen Präsidentenwahl und jetzt Türkei. Alles knappe Ergebnisse. Die Polarisierungen nehmen zu und mit ihnen werden andere Meinungen dämonisiert. Die maximale Abgrenzung ist das Ziel. Solche Mechanismen bereiten einem Diktator den Weg: äußeren Feind festlegen und dann alle, die sich dagegen aussprechen, zu inneren Feinden erklären.

Sehen Sie das in den USA?

Nicht wirklich. Allerdings haben die rassistisch motivierten Übergriffe seit der Trump-Wahl zugenommen.

Und die Türkei, ist sie auf dem Weg in die Diktatur?

Es gab schon keine unabhängige Justiz mehr. Nun ist der Staatspräsident Parteivorsitzender und Gesetzgeber in einer Person. Es ist schwer, hier nicht das Anheben einer neuen Diktatur zu sehen.

Gibt es Parallelen zwischen „America first“ und „Türkiye first“?

Anders als etliche in der Republikanischen Partei ist Donald Trump ist nicht ideologisch aufgeladen oder festgelegt. Insofern unterscheidet er sich fundamental von Herrn Erdogan, der eine stringente Umsetzung seiner religiösen Weltanschauung zum Ziel hat.

Wie soll die EU auf das Abstimmungsergebnis reagieren?

Erdogan wird der EU sicher den Gefallen tun und bald über die Todesstrafe abstimmen lassen. Mit ihrer Wiedereinführung wäre klar, dass jede Beitrittschance zur EU für den Moment verwirkt ist. Herr Erdogan braucht genau diese weitere Polarisation, denn nur so kann er von dem wirtschaftlichen Niedergang der Türkei abzulenken. Dem Mann geht es nicht darum, die Situation zu entspannen.

Und wie sieht es mit der Nato aus?

Hier wird es schwieriger. Erdogan scheut sich nicht, Bündnispartner zu konfrontieren, das zeigt sein Umgang mit Deutschland. Aber ohne die Nato stünde er völlig ohne Verbündete da. Russland kann kein Partner sein, die Länder haben diametral entgegengesetzte Interessen. Zwischen China und der Türkei gibt es auch Spannungen. Die Türkei wäre also bei einem Ausstieg aus der NATO ohne Verbündete und völlig irrelevant.

- Alexander Görlach ist Gastwissenschaftler an der Harvard University, wo er am Center for European Studies im Bereich Politik und Religion forscht. Die Fragen stellte Ariane Bemmer

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