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Trauer um die Opfer am Berliner Breitscheidplatz. Auch Muslime teilen sie, sehen sich aber immer wieder unter Generalverdacht gestellt.

© Michael Kappeler/dpa

Nach dem Terroranschlag in Berlin: Muslime für mehr Kontrolle von Islamisten

Geht es wieder gegen den Islam? Die deutschen Muslime fürchten es. Sie hoffen aber, dass ihre Fäden zu Politik, Kirchen und Gesellschaft inzwischen reißfest sind.

Die muslimischen Gemeinden kennen die Szenerie seit vielen Jahren: Nach jedem Anschlag eines behaupteten oder tatsächlichen Islamisten steht der Islam insgesamt erneut im Fadenkreuz des allgemeinen Interesses und Misstrauens. Und in den sozialen Netzwerken schlagen die Wellen der Hassposts noch höher als sonst schon.

"CSU stärkt den rechten Rand"

So auch diesmal. „Wir spüren klar, dass der Ton der Diskussion seit dem Terrorakt auf dem Breitscheidplatz wieder härter geworden ist. Und wir fürchten, dass sich das nicht so schnell ändern wird“, sagt Burhan Kesici, der Generalsekretär des Islamrats, eines der vier großen muslimischen Verbände. Dass gerade die traditionellen, größeren Verbände und die vielen zur Gesellschaft hin offenen und engagierten Moscheen eher Teil der Lösung sind und nicht Teil des Problems, gehe dabei meist unter.
Ohnehin habe der Druck seit dem Erstarken der AfD zugenommen, sagt Kesici. Der CSU wirft er vor, dass sie auf die Konkurrenz von rechts falsch reagiere: „Ihre Politik stärkt den rechten Rand auch noch.“ Dabei gebe es Alternativen dazu, dessen Parolen aufzunehmen: „Wir haben international Probleme mit Terror und Gewalt. Da müssten wir als Gesellschaft zusammenrücken und die Gewalttäter ächten, statt ihnen den Gefallen zu tun, uns spalten zu lassen. Würde die Politik das nicht zulassen, würde es auch nicht passieren.“

Expertin Spielhaus: Nicht die sichtbaren Moscheen sind problematisch

Polizei und Behörden können aus Kesicis Sicht dabei durchaus stärker gegen Moscheen vorgehen, in denen Gewalt gepredigt und für angeblich heilige Kriege geworben wird. „Da muss auf jeden Fall etwas gemacht werden." Dabei hat der Islamrat selbst nicht nur gute Erfahrungen mit Polizei und Justiz gemacht. Sein wichtigstes Mitglied Milli Görüs wurde

jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet; viele Kooperationspartner gingen deshalb auf Abstand. Bundesinnenminister Thomas de Maizière schloss den Islamrat zeitweise aus der Deutschen Islamkonferenz aus, weil gegen hohe Funktionäre Verfahren liefen - die später, nach Jahren, eingestellt werden mussten. Dennoch sagt Kesici: "Es ist gut, wenn solche Moscheen gut beobachtet und gegebenenfalls Verbote ausgesprochen werden. Und das findet ja auch statt.“

Womöglich noch nicht genug, findet die Riem Spielhaus. Die Göttinger Islamwissenschaftlerin und langjährige Kennerin vor allem der muslimischen Community in der Hauptstadt arbeitet gerade an der Neuauflage einer Studie zu Moscheen im Auftrag des Senats. Und fragt sich, warum manche Kleinst-Hinterhofmoschee mit dubiosen Besuchern und Personal nicht längst geschlossen ist. Es sei fast tragisch, dass die Debatte um Radikalisierung „in der Regel auf der völlig falschen Ebene“ spiele: „Die wenigen problematischen Moscheen sind kaum bekannt in Berlin - weder unter den Muslimen noch in der Stadtgesellschaft. Sie haben wenige Besucher und kein Interesse, sich am Tag der offenen Tür zu präsentieren. Das sind nicht die Gemeinden, die sich im interreligiösen Dialog oder der Radikalisierungsprävention engagieren."

Der Extremismusverdacht treffe allerdings die vielen offenen Gemeinden, die sich Kooperationen wünschten und daran arbeiteten, dass sich bei ihnen niemand radikalisiere. Mit einem paradoxen Ergebnis, wie Spielhaus weiß: "Mögliche Kooperations- und Dialogpartner werden vor ihnen gewarnt oder müssen schlechte Presse fürchten, wenn sie diese offenen Gemeinden besuchen.“

Es werde eben „leider zu wenig reflektiert, wie viel Druck die Arbeit in den Gemeinden auch aus dem Kessel nimmt“, sagt Burhan Kesici. Die Hauptaufgabe muslimischer Verbände sei aktuell, „uns gegen verbale Angriffe zu verteidigen. Die breite Masse der Muslime und der Gemeinden, die gute Arbeit machen, wird nicht gesehen.“

Mazyek: Gebete im Wohnzimmer machen noch keine Moschee

Sein Kollege Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime sieht allerdings auch positive Veränderungen. Das Reiz-Reaktions-Schema, nach dem ein Terroranschlag geschieht und danach Muslime kollektiv in moralische Haftung genommen würden, sei bereits nach den Anschlägen von Paris und Brüssel nicht mehr so stark gewesen wie bis dahin. „Man erwartet inzwischen in den europäischen Gesellschaften, dass zwar auch weiterhin die Muslime Stellung zum Terror beziehen, aber nicht mehr in der Weise, dass sie dies als Schuldige tun.“ Und beide Städte seien nun einmal nicht sehr fern von Berlin. „So tragisch das war: Danach musste sich Deutschland innerlich vorbereiten.“

Auch Mazyek äußert sich deutlich zum Verbot von gewaltverherrlichenden Vereinen und Moscheen: „Wer für den IS rekrutiert, gehört hinter Schloss und Riegel und kann sich nicht auf Religionsfreiheit berufen.“ Er frage sich manchmal, warum so genannte Gefährder zwar oft lange beobachtet würden, aber niemand einschreite – wie auch jetzt im Fall des Berliner Attentäters Anis. „Ehrlich gesagt, da bin ich etwas ratlos über unsere Sicherheitsbehörden.“

Was heikle Moscheen angehe, rät Mazyek zur Vorsicht im Umgang mit Begriffen: „Wer ein Wohnzimmer anmietet und dort betet, hat noch keine Moschee gegründet. Moscheen bieten klassischerweise ein breites Spektrum religiöser Dienstleistungen, die fünf täglichen Gebete und den Freitagsgottesdienst eingeschlossen.“

Muslime haben inzwischen gute Kontakte in die Politik

Wie Mazyek sieht auch Burhan Kesici nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz die Lage der Muslime in Deutschland nicht nur düster. „Bestimmte Strukturen sind inzwischen da. Die Deutsche Islamkonferenz gehört dazu, wir haben mittlerweile kurze Drähte in die Politik und können gut in die Zivilgesellschaft und mit den Kirchen und christlichen Organisationen kommunizieren.“ Auch die Worte des Bundespräsidenten nach dem Anschlag seien „sehr gut“ gewesen. „Es ist zu hoffen, dass all das hilft, den Druck etwas zu mildern.“

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