zum Hauptinhalt
Beim nächsten Mal wird alles besser. Bestimmt auch die Wahlplakate.

© dpa

Nach dem Jamaika-Aus: Mit Neuwahlen einen echten Neuanfang schaffen

Neuwahlen sind nicht nur eine Chance zur Regierungsbildung, sondern auch für einen neuen Ressortzuschnitt und neue Kandidaten. Ein Gastkommentar.

Die sogenannte Jamaika-Koalition ist nicht zustande gekommen. Zumindest jetzt nicht. Das hat viele überrascht – auch mich. Schließlich verfolgte ich seit Jahren die sogenannte Pizza-Connection, quasi den Vorläufer des Jamaika-Dreiers bestehend aus einzelnen CDU-, FDP- und Grünen-Politikern mit einem gewissen Staunen. Waren die Grünen damals nicht angetreten, um eine Alternative zu den alteingesessenen, altbackenen (konservativen) Mainstream-Parteien zu sein? Was bewog sie also, mit dem damals erklärten „Feind“ ins Bett zu steigen? Ein Realo erklärte es mir damals so: „Wir müssen irgendwann auch mal regieren. Und wenn die SPD uns nicht will, dann machen wir es eben mit der CDU.“ Das klang zwar logisch, aber politisch korrekt fand ich das nicht. Mir schien, als ginge es den Pizza-Connectoren nicht um Inhalte. Im Prinzip ging es ihnen schlicht um Macht.

Ein zweites Erlebnis, das mich ins Staunen versetzte, war das Grün-Schwarze Regierungsbündnis in Baden-Württemberg. Nicht, dass mich diese Konstellation verwunderte, im Gegenteil. Es waren eher die Argumente, mit denen 2016 das Integrationsministerium aufgelöst wurde, um anschließend mit einem enormen Personal- und Staatssekretärs-Zuwachs den vorgegebenen Spar-Effekt zunichte zu machen. Wo war der Sinn und wo die Moral? Ausgerechnet die Grünen, denen Integration doch so wichtig war. Am Ende war ihnen das eigene Personal aber wichtiger und nicht so sehr das „Sparen“.

Wer will immer dieselben Politiker im Fernsehen?

Schon früh merkte ich, dass es um die eigene politische Moral mancher nicht so gut bestellt ist wie die moralischen Ansprüche, die man anderen gegenüber erhebt. Ich fing an, den Menschen einen Spiegel vorzuhalten. Als Journalisten mich damit konfrontierten, dass die Grünen mein Ministerium am liebsten auflösen würden, um Geld zu sparen, fragte ich forsch zurück: „Warum nur mein Ministerium? Warum so zurückhaltend? Wenn man schon Ministerien einsparen will, dann sollte man das Verkehrsministerium doch wieder in das Innenministerium überführen und Umwelt und Landwirtschaft zusammenlegen. Die Grünen haben Recht, wozu braucht man so viele Ministerien?“ Manche fanden meine Antwort frech. Ich nannte es: Spiegeln.

Nun kann man sicher mit dem Zeigefinger auf die FDP zeigen und sie für alles verantwortlich machen bzw. ihnen Verantwortungslosigkeit vorwerfen. Aber warum eigentlich? Ist es nicht legitim, dass die FDP eigene Ziele verfolgt? Und was sollte an Neuwahlen so schlimm sein? Warum scheut man sich, mit möglicherweise neuen Kandidat/innen in Neuwahlen einzusteigen? Ist das Wahlergebnis nicht auch Ausdruck dessen gewesen, dass die Wähler/innen einfach keine Lust mehr auf Mainstream-Parteien haben mit Politikern, die man schon seit der Geburt kennt? Ungelogen: Seit ich Politik verfolge, sind es immer dieselben Politiker, die man im TV sieht. Darauf haben die Menschen einfach keinen Bock mehr. Ein bisschen erklärt das vermutlich auch den Wahlerfolg der FDP und AfD. Neue Parteien und neue Gesichter. So einfach ist das manchmal.

So könnte man Vertrauen zurückgewinnen

Mit Neuwahlen hätte man jetzt die einmalige Chance, sich neu aufzustellen und neu zu sortieren, auch mit neuen Kandidat/innen. Egal, was jetzige Umfragen sagen, ich sage, es würde dadurch deutliche Veränderungen geben; und bisher habe ich in meinen Prophezeiungen immer Recht behalten. Man sollte dann auch den Mut haben, über den Ressortzuschnitt von einigen Ministerien nachzudenken. Meine grünen Freunde haben mich damals auf die Idee gebracht. Also wozu braucht es ein Verkehrsministerium, wenn das Innenministerium doch auch für die Verkehrssicherheit zuständig ist? Wie groß könnten die Synergieeffekte sein, wenn man das Umweltministerium mit dem Landwirtschaftsministerium zusammenlegte? Und wozu braucht es eigentlich ein Justizministerium? Können nicht Frauen, Familie und Justiz zusammengelegt werden, wenn es doch um gleiche Rechte geht? Ich frage nur.

Neuwahlen kosten Geld, ohne Frage. Aber Dreierbündnisse, in denen man alle Parteien personell befrieden will, kosten auch Geld, viel Geld. Vom Zeitaufwand für Absprachen und für die Konsensfindung will ich gar nicht sprechen. Die Grünen in Baden-Württemberg jedenfalls stellten damals zusammen mit der CDU zusätzlich 150 Mitarbeiter ein, um dem hohen Absprachebedarf gerecht zu werden. War es das wert, das Integrationsministerium mit nur einer einzigen Ministerstelle aufzulösen? Nein, aber es war ihnen egal. Hauptsache, die eigene Macht und der eigene Personalstamm konnte gesichert und ausgebaut werden.

Vor diesem Hintergrund kann ich das Gejammer um Neuwahlen wirklich nicht verstehen. Neuwahlen mit neuen Kandidat/innen und neuem Ressortzuschnitt der Ministerien – das wäre ein echter Neuanfang. Auch um das verloren gegangene Vertrauen der Bürger/innen wieder zu gewinnen. Deutschlands Verwaltung ist effektiv und schafft viel. Da bin ich sicher und deshalb weiß ich: Neuwahlen und Change, we can. Let´s do it.

Bilkay Öney, SPD, war von 2011 bis 2016 Landesministern für Integration in Baden-Württemberg. Zuvor war sie von 2006 bis 2011 Abgeordnete im Abgeordnetenhaus von Berlin.

Bilkay Öney

Zur Startseite