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Zahlreiche Menschen stehen am 22.12.2016 um die Blumen und Kerzen, die am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin abgelegt wurden.

© dpa/ Rainer Jensen

Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz: Berlin bemüht sich um Normalität

Der Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz ist wieder geöffnet, nun mit Betonschutz. Auch andere Märkte und Plätze werden geschützt. Allerdings: "Terror findet Wege", sagt eine Psychologin.

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Als der Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz am Donnerstag um 11 Uhr wieder öffnet, wirken die Schausteller zögerlich – als wolle niemand der erste sein, der drei Tage nach dem Anschlag wieder wie üblich verkauft. Es dauert eine halbe Stunde, bis fast alle Buden aufgemacht haben. Zwei bleiben geschlossen; warum, wissen die Nachbarhändler nicht. Von den Zerstörungen, die der Sattelschlepper des Attentäters hinterlassen hatte, ist nichts mehr zu sehen. Allerdings stehen nun zwei Gedenktafeln an der Stelle zweier Verkaufsstände, die stark beschädigt worden waren. Dort waren auch Menschen gestorben. Der Schaustellerverband hat diese Buden nicht ersetzt.

Am Vorabend hatten die Veranstalter erwogen, die Absperrung des Tatorts am nordwestlichen Platzrand beizubehalten, sich dann aber doch zur Öffnung des ganzen Markts entschlossen. Das missfällt einigen Besuchern wie dem Touristen Friedhelm Knoop aus dem Sauerland. „Ich hätte erwartet, dass wenigstens diese Gasse aus Pietät geschlossen bleibt.“ Er war schon vor dem Anschlag nach Berlin gekommen, um seine hier lebenden Kinder zu besuchen. Der Mann kann sich auch nicht vorstellen, einen Glühwein zu trinken. Aber warum ist er dann überhaupt auf dem Weihnachtsmarkt? „Aus Anteilnahme – ich habe mich in der Gedächtniskirche ins Kondolenzbuch eingetragen.“

Polizisten mit Maschinenpistolen patrouillieren über den Markt

In der Kirche gibt es zum Marktbeginn auch eine kurze Andacht. Mit dabei ist der Charlottenburg-Wilmersdorfer Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD). Er widerspricht „Kritikern, die sagen, der Markt gehe aus schnödem ökonomischem Interesse weiter“. Sein Motto laute: „Zurück ins Leben.

Doch das fällt manchen schwer. „Ich hatte hier schon immer Angst“, sagt eine Crêpes-Anbieterin, die schon oft auf dem Weihnachtsmarkt verkauft hat. „Ich bin 68, ab einem gewissen Alter ist man ängstlicher als die Jugend.“ Andererseits „muss es ja weitergehen“.

Die Veranstalter hatten versprochen, auf „Partymusik“ zu verzichten und nur Weihnachtslieder zu spielen. Zumindest in den ersten Stunden läuft gar keine Musik. Imbissstände sind schnell umlagert, Spielbuden dagegen völlig verwaist.

Polizisten mit Maschinenpistolen patrouillieren über den Markt. Das Technische Hilfswerk ist mit Kranwagen vorgefahren und stellt Betonelemente rund um den Platz auf. Zwei davon stehen schräg versetzt an der Feuerwehrzufahrt, durch die der Lkw auf den Markt gerast war. Nun verbleibt eine schmale, verschwenkte Durchfahrt, die Rettungswagen im Schritttempo passieren könnten.

Betonelemente schützen nun Weihnachtsmärkte und öffentliche Plätze

Die Betonelemente stammen vom Formel-E-Rennen. „Wir haben etwa 1250 davon und helfen gerne“, sagt David Gil von der Eventagentur Gil und Weingärtner, die das Rennen ausgerichtet hat. „Jedes Element wiegt vier Tonnen und ist vier Meter lang; insgesamt können wir eine Strecke von fünf Kilometern damit absperren.“ Für die Leihgabe will Gil kein Geld haben. Den Transport aus dem Lager in Köpenick zu den jeweiligen Einsatzorten muss die Polizei allerdings selbst bewerkstelligen.

Die wiederum hat bereits einen Kran gemietet und das Technische Hilfswerk zu Hilfe geholt. Geprüft wird allerdings noch, ob man das Angebot der Leihe überhaupt akzeptieren kann oder ob es etwa Korruption ist, wenn die Polizei diese Leistung unentgeltlich annimmt. „Das wird immer automatisch geprüft“, sagte Polizeisprecher Thomas Neuendorf am Donnerstag.

Auch aus anderen Quellen kommen weitere Poller und Quader. „Einen Teil hatten wir selbst noch auf unserem Gelände gelagert, und es gibt private Anbieter“, sagt Neuendorf. Weihnachtsmarkt und Altstadt in Spandau seien bereits ausgerüstet, dazu der Alexanderplatz und der Potsdamer Platz, als nächstes seien die Märkte an der Wilmersdorfer Straße und am Schloss Charlottenburg dran.

"Wir können Berlin aber nicht komplett einbetonieren"

Lohnt sich das überhaupt noch für die paar Tage? „Es bietet jedenfalls etwas Schutz für eine derartige Form des Anschlages“, sagt Neuendorf. „Wir können Berlin aber nicht komplett einbetonieren, und gegen andere Formen des Anschlags helfen die Poller auch nicht.“ Es gehöre ja auch der subjektive Schutz dazu, sagt der Polizeisprecher: „Wie fühlen wir uns? Und wie würden wir uns ohne diese Maßnahmen fühlen?“

Anruf in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. Chefin Isabella Heuser weiß genau, wie sie sich fühlt: „Veräppelt. Ich habe hier in der Klinik eine nicht repräsentative Umfrage unter den verschiedensten Mitarbeitern gemacht“, berichtet Heuser. „Keiner hat gesagt: Das ist gut, jetzt fühle ich mich geschützt.“ Später, in der Oberarztrunde, sei man einig gewesen: „Es wäre wesentlich beruhigender für uns, wenn es dort eine gescheite Videoüberwachung gäbe.“ Es sei doch ein Armutszeugnis, wenn die Polizei hinterher Bürger fragen müsse, ob sie vielleicht zufällig was auf Video aufgenommen hätten. „Das ist reine Symbolpolitik und bringt überhaupt nichts“, konstatiert Heuser. „Es ist ja das Prinzip des Terrors, dass er immer wieder Wege findet.“

Das nächste große Event ist die Silvesterparty am Brandenburger Tor – ein perfektes „weiches Ziel“. Ob die Feier mit Betonklötzen gesichert wird, steht laut Polizei noch nicht fest. Der Nachteil an den Beton-Ungetümen ist nämlich, dass sie im Weg stehen, wenn mal schnell Rettungswagen im Inneren gebraucht werden. Dann kann sich der Schutz, den die Klötze vielleicht bieten, ganz schnell in ein Hindernis umwandeln.

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