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Ein Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke wird es nicht geben.

© dpa

Nach Brandrede in Dresden: Was der Nicht-Ausschluss von Höcke für die AfD bedeutet

Die AfD will Höcke nach seiner viel kritisierten Rede in Dresden nicht ausschließen. Welche Folgen hat das für die Partei?

Von
  • Frank Jansen
  • Matthias Meisner

Warum wird Björn Höcke nicht aus der AfD ausgeschlossen?

Ein Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke wäre schwierig geworden – selbst wenn es im Bundesvorstand eine Mehrheit dafür gegeben hätte. Der Instanzenweg für eine solche Maßnahme ist lang – die SPD, die es im Fall von Thilo Sarrazin versucht hat, kann ein Lied davon singen.

Auch in der AfD sind die für ein Parteiausschluss zuständigen Gremien dem thüringischen Landes- und Fraktionschef Björn Höcke sehr gewogen. Im Landesschiedsgericht Thüringen genießt er großen Rückhalt. Ähnlich gilt das für das Bundesschiedsgericht, das sich womöglich beim Weg durch die Instanzen auch noch mit dem Fall befassen müsste.

Tatsächlich hätte also ein Parteiausschlussverfahren einen Dauerstreit bedeutet – der umgekehrt allerdings auch nicht beendet ist, bloß weil Höcke nach seiner Brandrede am vergangenen Dienstag in Dresden zunächst weitgehend ungeschoren davonkommt.

Hat Parteichefin Frauke Petry damit den Machtkampf innerhalb der AfD-Spitze verloren?

Zumindest geht Petry aus der Auseinandersetzung um Björn Höcke geschwächt hervor. Seine Rede mit der Forderung nach einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad hat Höcke wohl nicht zufällig in Dresden gehalten – und damit im Heimatbundesland der mit ihm verfeindeten Bundesvorsitzenden Petry. Sie ist dort auch Landes- und Fraktionsvorsitzende. In der sächsischen Landtagsfraktion wird sie klar unterstützt. Sie hat ihren Ehemann Marcus Pretzell, Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, als treuen Förderer. Das aber ist es dann auch schon weitgehend.

Bemerkenswert war der von Höcke gewählte Schulterschluss für seinen Auftritt im Brau- und Ballhaus Watzke: Der Querfront-TV-Sender „Compact“ von Jürgen Elsässer aus Leipzig sicherte die Übertragung. Höcke erschien in Begleitung des neurechten Ideologen Götz Kubitschek aus Sachsen-Anhalt. Und Pegida mobilisierte für die Kundgebung – und damit jene Bewegung, mit der Petry eine Zusammenarbeit partout nicht will.

Höcke aber schert das gar nicht: In seiner Hommage an Pegida erinnerte er in Dresden daran, dass er schon im Oktober 2014 das erste Mal bei einem der ersten „Spaziergänge“ war. Er habe sich durch „wilde Horden“ von Gegendemonstranten habe kämpfen müssen – in ihnen sah er „kreischende, verhetzte, von induziertem Irresein gekennzeichnete jugendliche Wirrköpfe“. Pegida selbst indes, so Höcke weiter, das seien „keine verschrobenen Sonderlinge, das waren keine wirtschaftlich Abgehängten und das waren auch keine grölenden Nazis“. Nein, „Dresden ist die Hauptstadt der Mutbürger“, rief Höcke unter zum Teil stehendem Applaus in den Ballsaal. Es sei ein „historisches Verdienst“ der Dresdener und Patrioten aus Sachsen, „den ersten Schritt getan zu haben“. Und: „Ihr Sachsen, ihr Dresdner seid für uns Thüringer und für uns Erfurter das große, unerreichte Vorbild!“

Wer unterstützt Björn Höcke?

Das wichtigste Pfund von Höcke: Die AfD wird nicht trotz der rechtsradikalen Positionen des hessischen Geschichtslehrers gewählt, sondern von vielen genau deshalb. Die wichtigsten Unterstützer von Höcke sind die ostdeutschen Landesverbände, neben Thüringen selbst vor allem Brandenburg mit AfD-Bundesvize Alexander Gauland an der Spitze und Sachsen-Anhalt mit André Poggenburg als Landeschef.

„Ich stehe zu Björn Höcke“, sagte Poggenburg nach der Bundesvorstandsentscheidung. Und betonte, scharfe Maßnahmen wie ein Parteiausschlussverfahren oder eine Amtsenthebung seien nicht angebracht. Die Unterstützer von Höcke fühlen sich nach dem Kompromissentscheid im Vorstand als Sieger.

Erkennbar tut Höcke nichts gegen Unterstützer, die sich im offen rechtsradikalen oder rechtsextremistischen Spektrum bewegen. Unmittelbar vor der Vorstandsentscheidung bekam er beispielsweise eine Solidaritätsadresse von der AfD im sachsen-anhaltischen Saalekreis. Der Kreisverband postete auf Facebook, der Bundestagswahlkampf solle als Chance genutzt werden, um „das System zu stürzen“. Mit dem Begriff „System“ hatten die Nationalsozialisten auch verächtlich die Weimarer Republik bezeichnet. Im Kreisvorstand der AfD Saalekreis sitzt mit Hans-Thomas Tillschneider ein zum rechten Flügel der Partei gehörender Landtagsabgeordneter, gegründet wurde der Verband mit Unterstützung von Kubitschek.

Durch die bewusste Provokation hat die AfD die vom Gericht gerade eben neu gesteckten Grenzen erfolgreich ausgelotet und sich nachdrücklich als zuverlässiges Sammelbecken aller Nazis in Deutschland empfohlen. [...] Alles nach Plan und vor allem für jeden sichtbar.

schreibt NutzerIn 0815-a

Rückt die Partei damit weiter nach rechts?

Das wird in Sicherheitskreisen bezweifelt. Höcke sei zunächst nicht mehr als „ein provozierendes Einzelereignis“, sagt ein Experte. Es werde nun interessant zu analysieren, in welchem Maße Höcke „in seiner Partei isoliert ist oder nicht“. Jedenfalls sei es derzeit zu früh für eine Prognose, „dass die ganze AfD nach rechts rückt“. Man solle mit kühlem Verstand auf die Partei schauen, anstatt emotional zu reagieren.

Andere Sicherheitsexperten bekräftigten zudem, was der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, am Freitag dem Tagesspiegel gesagt hatte – Höckes Rede reiche nicht aus, um den Nachrichtendienst zu einer Beobachtung der Partei zu veranlassen. Kramer hatte betont, nach einer ersten Prüfung der Aussagen Höckes werde noch nicht hinreichend deutlich, „dass er die Verfasstheit der Bundesrepublik und ihr demokratisches Fundament angreift“. Allerdings sei die Kritik am Umgang der Bundesrepublik mit dem Holocaust und der Erinnerungskultur „häufig ein Standardthema der rechtsextremistischen Szene“.

Welche Ordnungsmaßnahmen werden gegen ihn verhängt?

Das lässt sich so genau noch nicht sagen. Im am Montag beschlossenen Vorstandsbeschluss heißt es lediglich, der Bundesvorstand halte die Einleitung von parteilichen Ordnungsmaßnahmen für erforderlich, „derzeit prüft der Bundesvorstand alle rechtlichen und politischen Gesichtspunkte, die dabei zu bedenken sind“. Formal ist damit auch ein Parteiausschlussverfahren nicht vom Tisch – aber nach Lage der Dinge unwahrscheinlich.

Ist die Aktion ein Beispiel für die von der Partei beschlossene „Medienstrategie“?

Das wird je nach Interessenlage sehr unterschiedlich gesehen. Im Petry-Flügel wird betont, Höcke habe die vor Weihnachten vom Vorstand beschlossene Strategie fehlinterpretiert, laut der auch „vor sorgfältig geplanten Provokationen“ nicht zurückgeschreckt werden soll. Tatsache ist, dass der Auftritt im Ballhaus Watzke Höcke Aufmerksamkeit bescherte, von der andere Landespolitiker der rechtspopulistischen Partei nur träumen können. International wurde über die Kundgebung berichtet – und allein für die „New York Times“ waren drei Reporter in Dresden im Einsatz.

Nützt oder schadet der Fall Höcke der Partei?

Die Äußerungen von Höcke im Rahmen seiner Rede hätten dem Ansehen der Partei geschadet, steht im Vorstandsbeschluss – in diesem Punkt drückt sich die AfD ähnlich aus wie ihre Vorsitzende Petry unmittelbar nach der Brandrede. Ob sich diese Einschätzung als belastbar erweist, ist allerdings offen – noch ist nicht klar, ob die Radikalisierung dazu führt, dass sie in der Wählergunst verliert.

Welche Ausstrahlung hat die AfD ins rechte Spektrum – zum Beispiel auf NPD-Anhänger?

Für die NPD ist Höckes Rede ein Schlag ins Kontor. Der Volkstribun der AfD nimmt der kleinen Konkurrenzpartei Parolen und Themen weg. Da nützt es der NPD wenig, dass sie die einzige Partei in der Geschichte der Bundesrepublik ist, die ein Verbotsverfahren überstanden hat – und das gleich zweimal. „Die NPD gerät durch Höcke noch mehr in Bedrängnis, als das ohnehin schon der Fall ist“, heißt es in Sicherheitskreisen. Ein Experte schlägt einen sarkastischen Ton an: „Das Einzige, was der NPD noch helfen könnte, wäre ein Übertritt von Höcke zu ihr, sollte die AfD ihn rausschmeißen.“ Zu erwarten sei jedoch weder das eine noch das andere. Und selbst wenn Höcke die AfD verlassen müsste, „wäre es unwahrscheinlich, dass er sich mit einer Loser-Partei wie der NPD zusammentäte“. Dazu sei Höcke zu schlau. Außerdem sei zu bezweifeln, dass er trotz seiner Popularität in Teilen der AfD in der Lage wäre, im Falle eines Rauswurfs viele Mitglieder zur NPD hinüberzuziehen.

In seiner Dresdener Rede habe Höcke zudem seine Distanz zur Ideologie der NPD angedeutet, auch wenn das öffentlich kaum wahrgenommen worden sei, heißt es. Höcke hatte betont, er stehe für eine „inhaltliche Fundamentalopposition“ zur Politik der Parteien im Bundestag, nicht für eine „strukturelle“. Mit der Vokabel „strukturell“ sei offenkundig die NPD gemeint gewesen, sagen Sicherheitskreise. Die NPD wolle das politische „System“ der Bundesrepublik beseitigen, Höcke hingegen strebe radikale Veränderungen „innerhalb des gesetzlichen Rahmens“ an.

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