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Der russische Präsident Wladimir Putin reitet auf einem Pferd in Südsibirien.

© REUTERS/RIA Novosti/Pool/Alexei Druzhinin

Münchner Sicherheitskonferenz: Die Anziehungskraft Wladimir Putins

Der US-Politikwissenschaftler Joseph Nye spricht im Interview über die schwindende "soft power" der USA - und darüber, wie Russland sanfte und harte Macht ausübt.

Von Anna Sauerbrey

Der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye befasst sich mit der Frage, wie Staaten in den internationalen Beziehungen Macht ausüben. Er hat den Begriff der „soft power“, der weichen Macht, geprägt. Nye versteht darunter die Fähigkeit, durch Anziehungskraft zu wirken, „durch die Attraktivität der Kultur, der politischen Ideale, der Politik eines Landes“. Staaten können durch ihre weiche Macht etwa Einfluss auf Demokratisierungsprozesse haben, indem sie als Vorbild gelten. Nye schreibt: „Verführung ist immer effektiver als Zwang. Werte wie Demokratie, Menschenrechte, individuelle Chancen sind zutiefst verführerisch.“

Herr Nye, die USA gelten als Paradebeispiel für die Ausübung von „soft power“ – von weicher Macht. Donald Trump ist nun ein Jahr Präsident. Hat er die „soft power“ verändert?

Donald Trump hat auf die „soft power“ der USA einen sehr negativen Effekt, das zeigen Umfragen. Eine Umfrage des amerikanischen Instituts „Gallup“ zeigt zum Beispiel, dass sich die Bewertung der amerikanischen Führungsstärke in über 130 Ländern verschlechtert hat. Im Index „Soft Power 30“, der von der Londoner Beratungsfirma Portland herausgegeben wird, standen die USA im letzten Regierungsjahr Obamas auf Platz eins. Jetzt stehen sie auf dem dritten Platz.

Wer steht jetzt ganz oben?
Frankreich, glaube ich.

Wie genau kam es zu diesem Absturz?
Die USA haben schon einmal, 2003, stark an „soft power“ verloren. Das war eine Reaktion darauf, dass die Regierung George W. Bush ohne UN-Resolution eine Invasion im Irak startete. Das ist unter Trump noch nicht passiert. Aber Trumps America-First-Strategie und die Art und Weise, wie er regelbasierte, multilaterale Systeme unterwandert, etwa durch seinen Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen, haben einen sehr negativen Effekt auf das Ansehen der USA – auch ganz ohne Krieg.

Sie schreiben, dass auch politische Kultur und politischer Stil dazu beitragen, dass ein Land „soft power“ ausüben kann ...

Trumps Stil ist ganz klar ein großes Problem und schadet der amerikanischen „soft power“. Auf Twitter versucht er, politische Ideen auf 280 Zeichen darzulegen. Er legt den Schwerpunkt auf Gefühle und Empörung – das ist nicht präsidial.

Der russische Präsident Wladimir Putin bei einer Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad.
Der russische Präsident Wladimir Putin bei einer Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad.

© Sputnik/Reuters

Welchen Effekt hat der Verlust von „soft power“ auf die Rolle der USA in der Welt?

Wer sich, wie Donald Trump, aus multilateralen Organisationen zurückzieht, setzt ein Zeichen, dass er an Kooperation nicht interessiert ist. In der Folge werden auch andere Staaten weniger gewillt zur Zusammenarbeit sein.

In Deutschland breitet sich schon Amerika-Skepsis aus. Außenminister Sigmar Gabriel sagte, die transatlantischen Beziehungen würden nicht wieder dieselben …

Ja, aber die zentrale Allianz zwischen Europa und den USA, die Nato, wird das nicht gefährden. Bündnisse, auch die Nato, gründen sich auf starken Eigeninteressen. Der strukturelle Druck – die potenzielle russische Aggression – ist groß genug. Aber der Grad der Kooperationsbereitschaft innerhalb der Allianz wird abnehmen. Und die Einstellungen junger Deutscher und junger Europäer gegenüber den USA wandeln sich. Unter Obama wurde das Land sehr positiv gesehen – das wird unter Trump abnehmen.

Sie haben den Begriff „soft power“ in den 80er Jahren geprägt, in Abgrenzung zur „harten“, militärischen oder ökonomischen Macht eines Staates. In jüngerer Zeit sind neue Formen der Machtausübung hinzukommen. Russland hat mit bei Cyberangriffen erbeuteten Daten Einfluss auf den US-Wahlkampf genommen und setzt auf Desinformationskampagnen. Christopher Walker und Jessica Ludwig vom „National Endowment for Democracy“ haben diese Strategie kürzlich als „sharp power“, scharfe Macht bezeichnet. Was genau ist der Unterschied zur „weichen Macht“?

„Scharfe Macht“ ist das irreführende Verwenden von Informationen in feindseliger Absicht. Die russische Kampagne im amerikanischen Wahlkampf 2016 hat zwar funktioniert. Aber es ging ja darum, mit Gewalt Zwang auszuüben, die freie Entscheidung von Bürgern in einer Demokratie zu beeinflussen. „Soft power“ hingegen entsteht dann, wenn jemand aus freien Stücken sagt: Ich finde es gut, was du machst, und ich will es auch tun. Die „soft power“ Russlands hat dieses Vorgehen übrigens nicht vergrößert, im Gegenteil. Durch den Einsatz von „sharp power“ wird das internationale Ansehen eines Staates untergraben, das zeigen auch die Umfragen.

Aber auch Russland übt doch „soft power“ aus. Der autoritäre Regierungsstil eines Wladimir Putin scheint eine gewisse Anziehungskraft auf Gruppen in westlichen Ländern zu haben. „Einen starken Anführer“ befürworten laut „Pew Research Center“ beachtliche Minderheiten von sechs bis 25 Prozent in vielen westlichen Ländern.

Ob ein Land weiche Macht ausüben kann, hängt immer von den Einstellungen der Zielöffentlichkeiten ab. Wenn Russophile in Deutschland, Ungarn oder Tschechien sich zu Putins autoritärem Stil hingezogen fühlen, ja, dann ist das „soft power“. Aber wenn Russland, wie im „Fall Lisa“ in Deutschland, die Falschmeldung verbreitet, eine junge Frau aus der russischen Community sei von Migranten vergewaltigt worden, hat das mit „soft power“ nichts zu tun. Das ist die disruptive, aggressive Verbreitung von Desinformation, sie ist nicht darauf ausgelegt, Anziehungskraft zu entwickeln.

Wie sollte der Westen auf die russische oder chinesische „sharp power“ reagieren?

Der Westen muss an seinen Werten festhalten. Wir müssen die russische und chinesische Strategie offenlegen, um die Öffentlichkeit dagegen zu immunisieren. Man kann auch versuchen, die Social-Media-Unternehmen dazu zu bringen, härter gegen Bot-Netze und andere Versuche vorzugehen, Falschmeldungen massenhaft zu verbreiten. Das Wichtigste aber ist, dass wir unsere eigene Anziehungskraft pflegen, unsere „soft power“. Das sollten wir nie vergessen.

Joseph Nye ist Professor emeritus der Harvard Kennedy School. Unter Bill Clinton war er Vize-Verteidigungsminister, er beriet auch John Kerry. Das Gespräch führte Anna Sauerbrey.

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