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US-Präsident Donald Trump und Bundeskanzlerin Angela Merkel gehen in Brüssel beim Nato-Gipfel aneinander vorbei.

© dpa

Merkels Zitat und die Folgen: Wie gestört sind die Beziehungen zu Trumps USA?

Kanzlerin Merkel hat mit Blick auf Trump mangelnde Verlässlichkeit beklagt. Ist das das Ende einer Ära, und wie kann Europa sein Schicksal in die Hand nehmen? Fragen und Antworten zum Thema.

„Dies scheint das Ende einer Ära zu sein, in der die Vereinigten Staaten geführt haben und Europa gefolgt ist“, analysiert US-Außenpolitikexperte Ivo Daalder Kanzlerin Angela Merkels Aussagen zum transatlantischen Verhältnis. Für die „New York Times“ war sein Kommentar das „Zitat des Tages“ am Montag. Daalder ist seit 2013 Präsident des „Council on Global Affairs“; zuvor war er US-Botschafter bei der Nato.

Wie tief ist das Zerwürfnis zwischen den USA und Europa?

„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei“, hatte die Kanzlerin am Sonntag ihrer Enttäuschung über den Nato-Gipfel und das G-7-Treffen Luft gemacht. „Das habe ich in den letzten Tagen erlebt.“ Sie nannte US-Präsident Donald Trump und die USA gar nicht. Und doch haben alle ihre Bemerkung auf Trump und die USA bezogen. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen“, fordert Angela Merkel. Wie das geschehen soll und welche sie als die Schicksalsfragen begreift, sagte sie nicht. Deshalb ist die Antwort auf die Frage, wie tief das Zerwürfnis zwischen den USA und Europa sei oder ob gar das Ende der transatlantischen Partnerschaft bevorstehe, für Interpretation offen. Und ebenso, ob die Europäer darauf vorbereitet sind, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Erster Einwand gegen die These vom Ende einer Ära: Trump hat seine erste Auslandsreise dazu benutzt, Innenpolitik zu machen. In Saudi-Arabien schließt er milliardenschwere Rüstungsdeals ab und begründet das mit „Jobs, Jobs, Jobs“ für US-Bürger. Beim Nato-Gipfel hält er an seiner Wahlkampfrhetorik fest, dass die Europäer und ganz voran die Deutschen schlechte Verbündete seien, weil sie nicht den versprochenen Anteil zur gemeinsamen Verteidigung beitragen; sie schuldeten folglich den USA sehr viel Geld, behauptet Trump.

Als Druckmittel setzt er seine Weigerung ein, die Beistandsgarantie zu bekräftigen, wie das insbesondere die Nato-Partner in Russlands Nachbarschaft erhofft hatten. Freilich gibt Trump ein indirektes Bekenntnis zu diesem Artikel 5 des Nato-Vertrags ab. Er weiht ein Denkmal ein, das an die Solidarität der Europäer mit den USA nach dem Terrorangriff vom 11. September 2011 erinnert – der einzige Fall, in dem die Allianz den Bündnisfall erklärt hat.

Beim G-7-Gipfel wiederholt sich dieses Muster: Trump hält sich weiter offen, aus dem Klimaschutz-Abkommen von Paris auszusteigen, auch wenn er sich damit isoliert. 6 zu 1 habe es gestanden, sagt Merkel, alle anderen gegen die USA.

Freilich kann man ebenso Merkel vorhalten, dass sie außenpolitische Fragen für die Innenpolitik instrumentalisiere. In Deutschland ist bereits Wahlkampf. Die CDU-Vorsitzende möchte die Gegnerschaft zu Trump nicht der SPD überlassen, die sich da bereits weit vorwagt. Merkel besetzt dieses Feld ebenfalls.

Zweiter Einwand gegen die These vom Ende einer Ära: Das Nicht-Verlassen-Können bezieht sich nicht auf die USA generell, sondern auf Trumps USA. Bis vor wenigen Monaten, als der Präsident Barack Obama hieß, konnte sich Merkel auf die USA verlassen. Obama hat das Pariser Klimaschutzabkommen unterstützt. Gemeinsam mit den Europäern haben die USA den Atomdeal mit dem Iran ausgehandelt. Obama bekannte sich zur Nato und zur transatlantischen Partnerschaft. Ähnliche Schwierigkeiten mit den USA als Partner hatten Deutschland und Frankreich auch schon unter dem vormaligen republikanischen Präsidenten George W. Bush, wenn auch nicht in der Schärfe wie jetzt mit Trump.

Sind die Europäer in der Lage, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen?

Wenn es darauf ankommt, wird ihnen nichts anderes übrig bleiben. Andererseits würde das wesentlich mehr Aufwand und Investitionen von Europa verlangen als heute, zum Beispiel bei Verteidigung und Terrorabwehr. Ohne den US-Schutzschirm – die USA tragen mehr als 70 Prozent der Kosten der Nato – würde es für die Europäer teurer, ohne dass sie einen vergleichbaren Abschreckungseffekt erzielen. Es ist nicht die Furcht vor der Bundeswehr oder der französischen Armee, die einen Wladimir Putin davon abhält, militärisch die Wiederherstellung des ehemaligen sowjetischen Imperiums zu erzwingen. Das Projekt einer gemeinsamen Europäischen Armee ist heute Zukunftsmusik. Briten, Franzosen und andere sind skeptisch. Die Deutschen wollen ihren Parlamentsvorbehalt nicht aufgeben, die anderen sich jedoch nicht davon abhängig machen.

Und Geheimdienstkooperation aufkündigen, wie das der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann empfiehlt? Dagegen spricht die Erfahrung, dass die deutschen Dienste entscheidende Hinweise, die ihnen helfen, Anschläge zu verhindern, von den US-Diensten kommen. Diese Zusammenarbeit ist für Deutschland ertragreicher als für die USA.

Weiter muss man den krisenhaften Zustand der EU ins Kalkül einbeziehen. Die Briten scheiden aus. In Frankreich ist vorerst unklar, ob der neue Präsident Emmanuel Macron bei derParlamentswahl im Juni eine Mehrheit für seine Reformpläne erhält. Italien ist seit Jahren mit seiner inneren Krise beschäftigt. Die Schwäche der Eurozone und die Schuldenkrise sind nicht überwunden. In der Migrationspolitik und anderen zentralen Fragen ist die EU uneins.

Was können die Europäer Trump entgegensetzen?

Ein praktischer Weg wäre, in Einzelfragen, die den Europäern wichtig sind, Konsens herzustellen und ihn gemeinsam gegenüber Trump zu vertreten. Trumps Auslandsreise hat solche Themen aufgezeigt. Für Europa ist wichtig, dass die USA das Atomabkommen mit dem Iran nicht kündigen. Besser ein Iran unter internationaler Aufsicht als neues Rätseln, ob Teheran die Arbeit an Atomwaffen heimlich wieder aufnimmt. Europa kann auch nicht wollen, dass der Westen sich im Ringen zwischen Sunnis und Schiiten, zwischen Saudi-Arabien und Iran, einseitig für die Saudis erklärt, wie Trump das propagiert. Das würde die Konflikte im Mittleren Osten verschärfen.

Auch beim Pariser Klimaschutzabkommen ist es ein wichtiges Nahziel, Trump vom Ausstieg abzuhalten.

Es gibt weitere Felder, in denen geschlossenes europäisches Auftreten Trump davon abhalten könnte, Wahlkampfversprechen, die Europa schaden, durchzusetzen: zum Beispiel Strafzölle gegen europäische Produkte aus Branchen, in denen Trump keine fairen Wettbewerbsbedingungen erkennt. Oder im Umgang mit China, wo die Europäer ohnehin keinen Konfrontationskurs wollen und auch Trump nun Gründe hat, wegen Pekings Schlüsselrolle im Atomkonflikt mit Nordkorea konzilianter zu sein.

Die Strategie der Europäer sollte sein, die Trump-Zeit mit möglichst wenig Schaden zu überstehen – in der Hoffnung, dass die nächste US-Regierung wieder ein verlässlicher Partner ist. Es spricht nichts dagegen, dass die Europäer diese Zeit nutzen, um sich in die Lage zu versetzen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Heute können sie das nur begrenzt.

Wie wurde die Merkel-Rede in den USA wahrgenommen?

Die Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel über die mangelnde Zuverlässigkeit der USA werden in Washington als Grabgesang auf die Nachkriegs-Epoche verstanden. Zwischen Europa und den USA habe es immer wieder ein Auf und Ab gegeben, kommentierte Strobe Talbott, einer der angesehensten außenpolitischen Experten der USA. Doch diesmal „reicht der Riss viel tiefer“. Trump-Kritiker werfen dem Präsidenten vor, mit seinem Verhalten beim Nato-Gipfel vergangene Woche eine Säule der Sicherheitspolitik und des Zusammenhalts des Westens zertrümmert zu haben.

Ivo Daalder, ein früherer US-Botschafter bei der Nato, der heute das Politik-Institut Chicago Council leitet, sprach in der „New York Times“ vom Ende einer Ära, „in der die Vereinigten Staaten führten und Europa folgte“. Unter Trump bewegten sich Amerika und Europa in diametral entgegengesetzte Richtungen. Der Präsident habe sich bei seiner Reise aufgeführt wie „ein besoffener Tourist“, zitierte die Nachrichtenplattform „Daily Beast“ einen ungenannten Beamten im amerikanischen Außenministerium.

Wie sind die Reaktionen in Frankreich?

Merkels Zitat über die Verlässlichkeit wird in Frankreichs Medien ausführlich diskutiert und überwiegend pessimistisch interpretiert. „Le Monde“ schreibt, Merkel habe sich alle Mühe gegeben, Donald Trump zu überzeugen und sogar seine Tochter Ivanka nach Berlin eingeladen, aber das sei „vergebene Liebesmühe“ gewesen. „Noch nie sind die Unstimmigkeiten zwischen Berlin und Washington so ans Licht gekommen.“ Das Nachrichtenmagazin „Le Point“ schreibt: „Angela Merkel zieht eine bittere Lehre aus dem G7-Gipfel.“

Und „Le Figaro“ meint, Merkel habe sich bei ihrer Wortwahl wirklich nicht zurückgehalten. Der französische Präsident Emmanuel Macron dagegen blieb vorsichtig und sprach von „Fortschritt“ in der Klimadiskussion und bezeichnete den US-Präsidenten als „pragmatisch“ und „offen“. „Angela Merkel versteckte kaum ihre Frustration über den Ausgang des Gipfels“, schreibt „Le Figaro“. Und „Les Echos“ ist der Ansicht: „Sie zählt auf Emmanuel Macron, um Europa zusammenzuhalten.“ Das Wirtschaftsblatt hält Merkels Kritik „für eine historische Wende“ in den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA.

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