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Kanzlerin Angela Merkel vor dem NSA-Untersuchungsausschuss.

© John Macdougall/ AFP

Merkel vor NSA-Untersuchungsauschuss: Die Kanzlerin weiß, dass sie nichts wusste

Als Zeugin zum NSA-Skandal gibt sich die Kanzlerin unwissend und betont ihr Vertrauen in Ex-Kanzleramtschef Pofalla. Passt das zu einer Frau, die für ihre Liebe zu Details bekannt ist?

Von Robert Birnbaum

„Ach“, sagt die Kanzlerin, „ach, es geht nicht um 'verärgert'.“ Im Europa-Saal macht sich amüsiertes Gemurmel breit. Es hat ja schon auch seine Komik, wenn Angela Merkel Angela Merkel vorliest. Der Ach-Satz stammt aus einem ihrer Interviews im Sommer 2014, und er spielt eine gewisse Rolle in der Affäre, die hier im Paul-Löbe-Haus verhandelt wird. Der Ärger, den Merkel vor zweieinhalb Jahren nicht hatte, betraf nämlich ihr Handy. Genauer gesagt: den Umstand, dass der US-Geheimdienst NSA dieses Handy auf der Abhörliste führte.

Am Donnerstag Vormittag kommt der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Zeugenvernehmung zusammen. Die 131. Sitzung soll die Ermittlungsarbeit abschließen mit der Kanzlerin als letzter Zeugin. Im Mittelpunkt des kreisrunden Saals drängeln sich schussbereit die Fotografen. Aber Merkel, im orangen Kostüm farblich passend zum hölzernen Mobiliar, marschiert erst einmal das Rund der Ausschussbank entlang und schüttelt allen die Hände. Auch Hans-Christian Ströbele erhebt sich, obwohl das dem alten Recken sichtlich Mühe macht.

"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!"

Dann nimmt Merkel Platz. Zeugen bleiben meistens stehen, bis die Fotografen aus dem Raum müssen, damit es keine Bilder sozusagen auf der Anklagebank gibt. Merkel scheint das Bild egal. Sie gedenkt hier sowieso nicht als sozusagen Angeklagte aufzutreten.

Spätestens 25 Minuten später ist das auch ihren Zuhörern klar. Merkel liest zur Einleitung aus einer dunkelblauen Mappe eine Chronologie der NSA- und BND-Abhöraffäre aus ihrer Sicht vor. Diese Sicht enthält, wenig überraschend, keine Überraschung. Aber dass nicht nur ihr berühmtester Satz in diesem Zusammenhang gefallen ist, sondern zum Beispiel auch der Spruch vom Internet als „Neuland“, hat vielleicht nicht mehr jeder präsent.

Den berühmtesten Satz zitiert sie aber natürlich auch: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!“ Der Satz fiel sinngemäß schon im Frühjahr, als die NSA-Affäre aufkam, und in der legendären Fassung dann im Oktober 2013. Vier Tage vorher hatten ihr „Spiegel“-Journalisten das Foto einer Karteikarte gezeigt, auf der die NSA ihre Handynummer als Abhörziel vermerkt hatte. Ein halbes Jahr später musste ihr Kanzleramtschef Peter Altmaier einräumen, dass dem eigenen Geheimdienst die Freunde auch nicht heilig waren. Seither machen sich viele über den Satz lustig. Merkel nicht: „Das leitet mich bis heute.“

Fasst man die Sicht der Dinge aus der dunkelblauen Mappe zusammen, ergibt sie ungefähr folgendes Bild: Als die NSA-Spähaffäre aus Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden bekannt wurde und der Verdacht einer Massenausspähung der Bundesbürger im Raum stand, habe sie das öffentlich sofort als Unding verurteilt. So, nämlich als die Frau, die politische Vorgaben macht, verstehe sie ihr Amt. Um Details habe sich die Fachaufsicht im Kanzleramt gekümmert, an der Spitze ihr damaliger Amtschef Ronald Pofalla. Der habe sie ab und an über Sachstände unterrichtet – Merkel zählt die schriftlichen Vermerke auf, die der Ausschuss längst auch in den Akten hat. Allerdings, so klingt das, scheint Pofalla sie nicht mit allzu viel Details behelligt zu haben.

Merkel betont Vertrauen in Kanzleramtchefs

Die Kanzlerin findet daran nichts auszusetzen. Die Eigenständigkeit des Amtschefs in der Geheimdienstaufsicht sei „guter Brauch“ in dieser wie in vorigen Regierungen, wird sie später in der Befragung erläutern. Was der Minister ihr vorlege und was nicht, sei seine Ermessensentscheidung. Im übrigen habe sie allen ihren Kanzleramtschefs vertraut und vertraue ihnen bis heute.

Kann man das der Frau glauben, die auf vielen Gebieten doch gerade für ihre Liebe zum Detail bekannt ist? Im Ausschuss mögen es viele nicht glauben. Dass sich der Grad des Unglaubens nach Parteibuch abstuft, gehört zum Strukturprinzip parlamentarischer Untersuchungen, besonders wenn sie in den Vorwahlkampf fallen. Der SPD-Obmann Christian Flisek etwa will von der CDU-Kanzlerin wissen, ob sie sich nie dafür interessiert habe, was bei ihren Geheimdiensten als branchenübliche Neugier galt. „Informationen über die Gewinnung von Informationen hatte ich nicht“, sagt Merkel.

Flisek lässt nicht locker. Tatsächlich ist die BND-Spionage überhaupt nur aufgeflogen, weil damals der Untersuchungsausschuss die Liste der sogenannten „Selektoren“ sehen wollte, den Suchbegriffen, nach denen die Agenten den Daten- und Telefonverkehr überwachten. Erst dabei fiel im März 2015 im Kanzleramt auf, dass die BND-Lauscher nicht nur von der NSA untergeschobene illegale Ziele angepeilt hatten, sondern auf eigene Faust bei Freunden spähten.

SPD-Obmann wirft Kanzlerin fehlende Überprüfung vor

Da sei ein „schwarzes Loch“ von eineinhalb Jahren, wendet Flisek ein, in dem das Kanzleramt doch „proaktiv“ den Dienst hätte prüfen müssen. Merkel findet das nicht. Wenn sie die politische Vorgabe gemacht habe, dass das Lauschen bei Verbündeten nicht geht, und Pofalla den BND entsprechend angewiesen habe, dann müsse sie doch davon ausgehen, dass die Behörde sich daran hält. Und wenn's nicht mal der BND-Chef besser wusste…

So plänkelt das hin und her. Der Vorsitzende Patrick Sensburg bietet nach einer Stunde eine Pause an. Merkel spottet sanft: „Noch reichen die Kräfte.“ Es gibt eher kuriose Fragen – was das Motiv für ihren Freunde-Satz war, will CDU-Mann Sensburg wissen, und bekommt prompt zur Antwort: „Dass Ausspähen unter Freunden nicht geht.“ Es gibt interessante Fragen – ob ihr in den vertraulichen BND-Berichten zur Weltlage nie etwas aufgefallen sei, das auf befreundete Regierungen als Quellen schließen ließ? Nein, sagt Merkel. Aber ob es nicht ganz nützlich wäre, in Verhandlungen die Positionen anderer zu kennen? „Ich bin gut bis jetzt durch meine Kanzlertätigkeit gekommen, ohne dass ich das wusste“, lautet die Antwort.

Ströbele: Traute sich Merkel nicht, Snowden nach Deutschland zu holen?

Und es gibt Ströbele. Der Grüne fängt harmlos an. Im Sommer 2013, da habe sie öffentlich doch immer Aufklärung gefordert? Merkel ist auf einmal doppelt wach: „Jaaa?“ Wieso denn dann die Bundesregierung bis heute nicht darüber entschieden habe, Snowden für eine Zeugenaussage nach Deutschland zu holen? Sie habe nicht den geringsten Zweifel, dass das Justizministerium und das Auswärtige Amt alles Nötige unternommen hätten. „Ist nicht der eigentliche Grund, dass Sie sich nicht trauten?“ insistiert Ströbele. „Das andere sind doch Ausflüchte!“

Hinter der Kanzlerin zeigt jetzt Herr Wolf auf. Herr Wolf aus dem Kanzleramt achtet aufs Juristische. Er merkt an, dass diese Frage nicht vom Untersuchungsauftrag gedeckt sei. Das stimmt. Andere Fragen sind vom Auftrag gedeckt, führen aber auch nicht zu neuen Erkenntnissen. Immerhin an einem Punkt legt sich Merkel fest: Das ominöse „No-Spy-Abkommen“ mit den Amerikanern, aus dem nie etwas wurde, sei kein gezielter Trick gewesen, um das NSA-Thema aus dem Wahlkampf rauszuhalten. „Glauben Sie, dass so was Erfolg hat?“ fragt sie zurück. Pofalla habe auch nie in diesem Sinne mit ihr gesprochen.

Nicht Merkel sondern Pofalla der Schurke

Kann man das alles so glauben? Dreieinhalb Jahre lang hat das Ausschuss versucht, das Gegenteil zu beweisen. Dingfest machen konnte er seine Vermutungen nicht. Später am Nachmittag in einer kurzen Pause treten die Obleute der Fraktionen draußen vor die Kameras. Merkel, sagt SPD-Mann Flisek, habe „relativ glaubhaft versichert“, dass sie von den Machenschaften des BND nichts wusste. „Erwartungsgemäß enttäuschend“ lautet die Zwischenbilanz der Linken Martina Renner. Selbst Ströbele erklärt nicht die Kanzlerin, sondern ihren früheren Amtschef zum Schurken: Pofalla habe seine Chefin offenbar gezielt aus allen sensiblen Dingen rausgehalten.

Bleibt noch zu vermerken die falsche Aussage des Tages. Dazu muss man wissen, dass jeder Zeuge ganz am Anfang vorschriftsmäßig seinen vollen Namen nennen muss. „Mein Name ist Angela Dorothea Kasner“, sagt die Frau im Zeugenstuhl. Im Saal gucken sich viele verblüfft an: Das ist doch ihr Mädchenname? Nach der Pause stellt sie das Missverständnis klar: „Mein Name ist Angela Dorothea Merkel.“ Wenigstens das kann man also ab jetzt als endgültig gesichert betrachten in dieser komplexen Affäre.

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