zum Hauptinhalt
In Trauer vereint. Amerika steht nach dem Anschlag unter Schock.

© Steve Nesius/Reuters

Massaker in Orlando: Was über den Anschlag bekannt ist

Der Angriff auf einen Nachtclub in Orlando schockiert die USA. Es war das schlimmste Schusswaffen-Attentat in der US-Geschichte. Was man an über die Tat und ihre Hintergründe weiß - ein Überblick.

Von

Sie wollten nur tanzen und Spaß haben. Doch ein junger Mann setzt dem Leben von 49 Menschen in der Nacht zu Sonntag ein Ende. Mit einem halbautomatischen Sturmgewehr, einer Handfeuerwaffe und Munition stürmt Omar M. in den Schwulen- und Lesbenclub Pulse, nimmt Geiseln und schießt wahllos um sich. Nach drei Stunden beginnt Orlandos Polizei ihren Einsatz. Sechzig Minuten später meldet sie den Tod des Angreifers. Danach steht fest: Es war eines der schlimmsten Verbrechen eines Einzeltäters in der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten.

Wer war der Täter?

Schon kurz nach dem Massaker wird Omar M. als mutmaßlicher Schütze identifiziert. Der 29-Jährige war US-Bürger, seine Eltern stammen aus Afghanistan. Geboren in New York, wuchs er in Florida auf. Zweimal war der junge Mann verheiratet, aber beide Ehen scheiterten. Wohl auch, weil Omar M. offenbar gewalttätig war. Das berichtet zumindest eine seiner Ex-Frauen. Er sei keine stabile Persönlichkeit und psychisch krank gewesen, wird sie von US-Medien zitiert. Nach ihrer Einschätzung hatte Omar M. keine besondere Affinität zur Religion, auch wenn er offenbar mehrfach pro Woche in der Moschee betete. Sein Vater berichtet aber von starken Vorbehalten seines Sohnes gegenüber Homosexuellen. So sei er einmal extrem ärgerlich geworden, als sich zwei Männer in der Öffentlichkeit küssten.

Mit Waffen kannte sich Omar M. aus. Seit 2007 arbeitete er für eine der weltweit größten Sicherheitsfirmen und musste während des Dienstes eine Pistole tragen. Auch die Waffen, die er für seinen Angriff nutzte, hatte Omar M. kurz zuvor legal erworben. Bei Sicherheitsüberprüfungen etwa vor seiner Einstellung habe es keine Beanstandungen gegeben, erklärte sein Arbeitgeber.

Gibt es Verbindungen zum IS?

Noch ist unklar, ob der Täter in Orlando im Auftrag oder zumindest im Geiste des IS gehandelt hat. Zwar bekannte sich dessen Führung zu dem Massaker mit dem Satz: „Einer der Soldaten des Kalifats in den USA hat einen Angriff ausgeführt, bei dem ihm der Zugang zu einem Treffen der Kreuzzügler in einem Nachtklub für Homosexuelle in Orlando, Florida gelungen ist.“ Doch das könnte auch psychologische Kriegführung sein – mit dem Ziel, das weltweite Entsetzen nach der Tat noch zu steigern. Ob Omar M. tatsächlich ein religiöser Fanatiker war, ist mit Bestimmtheit noch nicht zu sagen. Laut US-Ermittlern hat sich der 29-Jährige kurz nach den ersten Schüssen unter der Polizei-Notrufnummer zum „Islamischen Staat“ bekannt und gesagt, er habe dessen Anführer Abu Bakr al Baghdadi die Treue geschworen. Womöglich um seiner Bluttat zusätzliche Aufmerksamkeit zu sichern.

Klar ist jedoch auch: Für die Bundespolizei FBI war Omar M. kein Unbekannter. Seine Kollegen hatten 2013 die Behörden informiert, weil er mit Bemerkungen über Verbindungen zum Terrorismus auffiel. Die Ermittlungen ergaben allerdings nichts Belastendes. Ein Jahr später beschäftigte sich das FBI erneut mit Omar. Es soll Verbindungen zwischen ihm und einem Selbstmordattentäter in Syrien gegeben haben. Wieder lautete das Ergebnis der Untersuchungen: keine Gefahr.

Womöglich hat sich Omar M. dennoch im Laufe der vergangenen Jahre selbst radikalisiert, vielleicht über das Internet. Damit entspräche er dem Tätertyp „einsamer Wolf“, der keine direkte Verbindung zu Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ braucht, um deren Ideologie zu verinnerlichen und ohne ein Netzwerk im Hintergrund auf eigene Faust zu handeln. Deutsche Sicherheitskreise rechnen dennoch damit, dass Al Qaida wie auch der IS nun den Anschlag in Orlando für ihre fortlaufende Serie von Aufrufen an Salafisten nutzen, sie sollten mit allen Mitteln – und sei es auch nur mit einem Messer – Ungläubige töten.

Welche Rolle spielt der Hass auf Homosexuelle in der Ideologie der Islamisten?

Homosexuelle sind des Teufels und müssen mit allen Mittel bekämpft werden – so lässt sich die fanatische Abneigung der Fundamentalisten knapp zusammenfassen. Gerade der IS ist berüchtigt dafür, dass er im Irak und Syrien auf Homosexuelle wegen ihrer angeblichen „Verderbtheit und Abartigkeit“ regelrecht Jagd macht. Immer wieder sollen die Opfer sogar hingerichtet worden sein. „Homophobie ist integraler Bestandteil des Islamismus“, sagt auch Volker Beck. Ebenso wie die Schwulenfeindlichkeit ist der Antisemitismus tief in der Propaganda der religiösen Eiferer verankert. Vor allem aus einem Grund: Beide Minderheiten gelten als Symbole des dekadenten Westens, einer freien, offenen und toleranten Gesellschaft. Und die muss aus Sicht der Islamisten vernichtet werden.

Mit Orlando könnte außerdem ein besonders perfides Kalkül zum Tragen kommen. Denn bisher hatten sich Homosexuellen-Verbände in den USA regelmäßig für die Belange von Muslimen ausgesprochen. Die Attacke von Orlando könnte nun die Muslime in der amerikanischen Gesellschaft noch weiter isolieren. Genau dazu hat der IS immer wieder aufgerufen: Anhänger der Terrororganisation sollten es Muslimen in Europa und den USA unmöglich machen, sich in westliche Gesellschaften zu integrieren.

Wie bewerten Sicherheitsfachleute in Deutschland jetzt die Gefahrenlage?

Nach dem Anschlag in Orlando befürchten deutsche Sicherheitsexperten, Islamisten könnten sich zu Angriffen auf Schwule und Lesben oder auch auf größere Menschenmengen animiert fühlen. „Wir müssen immer mit Nachahmertaten rechnen“, sagt ein Fachmann. Ein besonderer Schutz für Schwulen- und Lesbenclubs sei kaum zu machen. Dafür gebe es zu viele. „Es ist auch nicht möglich, jede Diskothek und jedes größere Restaurant zu bewachen“, heißt es in Sicherheitskreisen, „obwohl Terroristen schon Lokale angegriffen haben.“ Bei den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris hatten die Attentäter auch einen Konzertsaal und Gaststätten attackiert.

Den Anschlag von Orlando vergleichen Sicherheitsexperten mit der tödlichen Attacke des Kosovaren Arid Uka auf einen Bus mit US-Soldaten in Frankfurt am Main. Der Salafist hatte im März 2011 am Flughafen zwei Amerikaner erschossen und zwei weitere schwer verletzt. Uka wollte noch mehr Soldaten töten, doch seine Pistole hatte Ladehemmung. Der Kosovare wurde dann im Flughafen überwältigt. Vom „Modus operandi“ her seien die Taten in Orlando und Frankfurt ähnlich, sagten Experten. Ein Einzeltäter voller Hass schieße um sich und wolle möglichst viele Menschen ermorden.

Wie reagiert Amerika auf den Anschlag?

Der Angriff in Orlando gehört zu den verheerendsten in der Geschichte der USA – darüber sind sich die Amerikaner schon heute einig. Offenbar hatte der Täter gezielt das Pulse ausgewählt, da die Disko bei Schwulen und Lesben beliebt ist. Am Sonntag kamen deshalb in Dallas, Seattle, Chicago und Kansas Menschen mit Regenbogenfahnen zu spontanen Mahnwachen zusammen. Viele Prominente, darunter die Sänger Justin Timberlake und Lady Gaga, drückten ihr Mitgefühl in den sozialen Medien aus. In Orlando, nur wenige Blocks vom Tatort entfernt, standen am Sonntag hunderte Menschen an, um Blut für die Behandlung der Verletzten zu spenden. Besonders in New York nahmen Menschen Anteil am Leid der Opfer und ihrer Familien: Überall in der Stadt legten Menschen Kerzen und Blumen nieder. Die Spitze des One World Trade Center leuchtete in den Regenbogenfarben – ein besonderer Moment. Denn islamistische Terroristen hatten die beiden Türme des alten World Trade Centers am 11. September 2001 mithilfe gekaperter Flugzeuge zum Einsturz gebracht.

Auf Halbmast. Auch wenn in den USA getrauert noch wird - der Anschlag ist schon ein großes Thema im US-Wahlkampf.
Auf Halbmast. Auch wenn in den USA getrauert noch wird - der Anschlag ist schon ein großes Thema im US-Wahlkampf.

© Kevin Lamarque/Reuters

Wirkt sich der Angriff in Orland auf den US-Wahlkampf aus?

Nur wenige Stunden nachdem der mutmaßliche Täter Omar M. das Feuer eröffnet hatte, meldete sich Donald Trump per Twitter zu Wort: „Wann werden wir endlich stark, schlau und wachsam?“, fragte der Milliardär, der seit Monaten vor der Gefahr durch islamistischen Terrorismus warnt. Der Republikaner scheut denn auch nicht davor zurück, den Angriff für seinen Wahlkampf zu instrumentalisieren: „Was in Orlando passiert ist, ist nur der Anfang“, sagte Trump und bekräftigte seine Forderung nach einem generellen Einreisestopp für Muslime. Er versucht nun, seine Konkurrentin Hillary Clinton als Schwächling darzustellen – unfähig, Amerika vor Terroristen wie Omar M. zu beschützen.

Die Demokratin Clinton hingegen wandte sich an Amerikas Trans- und Homosexuelle: „Wir werden weiter für euer Recht kämpfen, frei, offen und ohne Angst leben zu können“, erklärte die 68-Jährige. Auch sprach sie sich dafür aus, den islamistischen Terror mithilfe internationaler Verbündeter zu bekämpfen. Wie so oft äußerte sie sich viel weniger drastisch als Trump und hatte damit bisher Erfolg: Einer Umfrage des „Wall Street Journals“ zufolge traute die Mehrheit der Amerikaner Clinton im Mai noch zu, die bessere Oberkommandierende der US-Truppen zu sein. Doch Trumps aggressive Reaktion auf Orlando könnten ihm die Stimmen vieler verängstigter Amerikaner einbringen.

Wird der Anschlag eine neue Debatte über die Waffengesetze auslösen?

Die Diskussion um die Verschärfung der Waffengesetze hat in den USA eine traurige Tradition: Nach jedem bewaffneten Angriff fordern demokratische Politiker, die Käufer künftig besser zu kontrollieren. Einige wollen den Erwerb von Sturmgewehren gleich ganz verbieten. Denn auch Omar M. hatte die Besucher des Nachtclubs unter anderem mit einer halbautomatischen Waffe vom Typ AR-15 getötet. Die extreme Durchschlagskraft des Sturmgewehrs wie auch die Größe der Magazine führten wohl auch diesmal zu den hohen Opferzahlen.

Barack Obama nannte das Massaker eine „weitere Erinnerung daran, wie einfach es für jemanden ist, an eine Waffe zu kommen, mit denen er Menschen in einer Schule, einem Gebetshaus, einem Kino oder einem Nachtclub erschießen kann“. Der Präsident kämpft seit Jahren für strengere Gesetze, doch er scheitert immer wieder an der Blockade-Haltung der Republikaner im Kongress. Für die Konservativen ist das Recht auf Waffenbesitz ein elementarer Teil ihrer Identität als Amerikaner. Deshalb schmettern sie seit Obamas Amtsantritt jeden seiner Vorstöße ab.

Hat Orlando Auswirkungen auf Sicherheitsvorkehrungen in Europa?

Eine weiter gesteigerte Gefahr für die Europameisterschaft in Frankreich ist laut deutschen Sicherheitskreisen derzeit nicht zu erkennen. Angesichts der deutlich sichtbaren Sicherheitsmaßnahmen bei der EM hielten vermutlich spontan handelnde Einzeltäter oder Kleingruppen das Risiko für zu groß, entdeckt zu werden, bevor der Anschlag auf viele Menschen verübt werden könne. Die Tat von Orlando könnte Fanatiker eher anregen, ein Lokal von Homosexuellen zu attackieren „oder ein x-beliebiges Ziel, an dem sich viele Ungläubige aufhalten“. Ansonsten sind die Sicherheitsvorkehrungen ohnehin seit den islamistischen Anschlägen von Paris und Brüssel europaweit sehr hoch. Der „Islamische Staat“ hat mehrfach mit Terrorangriffen gedroht und Anhänger aufgefordert, gerade jetzt im Fastenmonat Ramadan Attentate zu verüben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false