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Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin der Linken für die Bundestagswahl, in ihrem Bundestagsbüro.

© Mike Wolff

Linke-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht: "SPD springt über jedes Stöckchen, das ihr hingehalten wird"

Die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wirft SPD und Grünen vor, gar keinen Politikwechsel zu wollen und begründet, warum Donald Trump mit seiner Kritik an Deutschland recht hat.

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Frau Wagenknecht, als Donald Trump gewählt wurde, sagten Sie: „Ich kann beim besten Willen nicht sagen, dass das jetzt eine Totalkatastrophe ist.“ Gilt der Satz?

Die US-Politik ist schon lange eine Katastrophe. Das war der Hintergrund des Satzes. Donald Trump ist besonders rüpelhaft und in vielen Fragen – etwa beim Klimaschutz, wie man an der Kündigung des Pariser Abkommens sehen kann – besonders reaktionär, aber man sollte nicht so tun, als sei alles neu. Obama hat ebenfalls aufgerüstet, Kriege geführt, Drohnenmorde in Auftrag gegeben und auf Fracking-Gas statt auf erneuerbare Energien gesetzt.

Haben Sie Verständnis dafür, dass Kanzlerin Merkel erklärt, die USA seien kein verlässlicher Partner mehr?

Das hat die Linke schon vor fünf Jahren gesagt. Gut, dass es die Kanzlerin jetzt auch verstanden hat.

Die USA waren schon vor Trump kein verlässlicher Partner?

Ein Partner, der die Bundeskanzlerin abhört, die europäische Industrie ausspioniert – also das würde ich jetzt nicht unter „verlässlich“ verstehen.

Hat Trump recht mit seiner Kritik an den Deutschen?
Die extremen Exportüberschüsse Deutschlands sind ein Problem. Und wenn die Regierung behauptet, ihre Politik habe damit nichts zu tun, beweist sie nur ihre ökonomische Inkompetenz. Die schlechte Lohnentwicklung in Deutschland seit der Agenda 2010, der große Niedriglohnsektor sind entscheidende Gründe.

Trump hat also recht?
Eine richtige Aussage wird nicht dadurch falsch, dass sie der Falsche sagt. Deshalb: ja. In dieser Kritik sind sich übrigens Macron und Trump einig. Für Frankreich und Italien und andere Euroländer ist das Problem allerdings noch größer als für die USA, weil sie keine eigene Währung haben, die sie abwerten könnten.

Muss Deutschland denn mehr für Europa zahlen?

Deutschland muss seinen Bürgern höhere Löhne ermöglichen, mehr investieren und bessere Renten zahlen. Das wäre der beste Beitrag für Europa. Warum importieren wir so wenig, warum ist der Pro-Kopf-Konsum so niedrig? Weil die Renten gekürzt und die Arbeitnehmer durch prekäre Jobs und Hartz IV wehrlos gemacht wurden. Das zu ändern, würde das außenpolitische Ungleichgewicht überwinden helfen.

US-Präsident Donald Trump spricht im Rosengarten des Weißen Haus in Washington (USA) zum Pariser Klimaabkommen.
US-Präsident Donald Trump spricht im Rosengarten des Weißen Haus in Washington (USA) zum Pariser Klimaabkommen.

© Pablo Martinez Monsivais/AP/dpa

Wie stellen Sie sich eine neue Weltordnung vor?
Wir brauchen Abrüstung und Entspannung statt steigender Rüstungsausgaben, Konfrontation und immer mehr Krieg. Die USA waren nicht allein verantwortlich, spielten aber eine führenden Rolle, den Nahen Osten durch Waffenlieferungen und Rohstoffkriege immer mehr zu destabilisieren. Das hat ganze Länder zu failed states gemacht, den islamistischen Terrorismus gestärkt und Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.

Schwerter zu Pflugscharen.

Aber ja, wir brauchen eine neue Friedenspolitik. Die Opfer unserer Bomben in Syrien und anderswo sind in erster Linie Zivilisten. Das schürt Hass. Und Hass ist der Nährboden für die Terroristen. Der IS wäre ohne den Irakkrieg nie entstanden. Wir müssen zurück zu den Traditionen der Entspannungspolitik. Das bedeutet auch die Einsicht, dass es Frieden und Sicherheit in Europa nur mit Russland gibt.

Mit Russland?
Auch, wenn man ernsthaft den Terrorismus bekämpfen will, ist Moskau ein wichtiger Partner. Die Sanktionen lösen kein Problem, und der Ausschluss Russlands aus der G8 schon gar nicht.

Gibt es an Moskau nichts zu kritisieren?
Doch, viel. Das ist ein autoritär regierter Oligarchen-Kapitalismus, der mit meinen Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft nichts zu tun hat.

Aber…

Nicht wir Deutschen, sondern die Russen müssen entscheiden, in welcher Gesellschaft sie leben wollen. Aber unser gemeinsames Interesse muss es sein, in guter Nachbarschaft zusammenzuleben. Friedlich, ohne Gefahr eines militärischen Konflikts. Immerhin ist Russland Atommacht. Und wir sollten akzeptieren, dass auch Russland seine Interessen gewahrt sehen will. Gerade weil der verheerendste aller Kriege gegen Russland von Deutschland ausging, müssen die Russen es als Bedrohung empfinden, wenn deutsche Soldaten heute wieder vor der russischen Grenze stehen.

Gibt es einen geopolitischen, also strategischen Unterschied, den wir zwischen Moskau und Ankara machen sollten?
Also Gespräche über einen Beitritt zur EU fände ich mit Russland ebenso abwegig wie mit der Türkei, mit der sie leider immer noch geführt werden. Aber die russische Kultur gehört zur europäischen, Tolstoi und andere haben sie mitgeprägt. Es gibt zwar auch eine pro-europäische, aufgeklärte Türkei, aber deren Protagonisten werden heute massiv unterdrückt. Wer mit Erdogan paktiert, unterstützt nicht die progressive Türkei, sondern die reaktionär-islamistische.

Putin, Erdogan, Trump – drei mächtige Staatsführer, mit denen man nicht so viel zu tun haben möchte...

Da gibt es sicherlich andere, die noch unsympathischer sind. Zum Beispiel die mittelalterliche Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien, die islamistische Terrorbanden in aller Welt finanziert und hochrüstet. Aber während man gegen Russland Sanktionen verhängt, geben sich Trump und Merkel bei den Saudis die Klinke in die Hand, um wirtschaftliche Zusammenarbeit und militärische Deals anzubieten.

Soll man nicht mit allen reden?

Wir sollten mit allen reden. Aber reden oder Waffen liefern – das ist ein gewaltiger Unterschied. Es ist doch absurd, ausgerechnet die Terror-Unterstützer in Riad zum bevorzugten Partner in der Region zu machen.

Beim Verzicht auf Kampfeinsätze der Bundeswehr – sehen Sie da Bewegung von Rot-Grün in Richtung Linke?

Nein. Wer von der SPD bezeichnet den Afghanistan- oder Syrien-Einsatz als Fehlschlag? Nicht mal der Abzug deutscher Soldaten aus Incirlik wird bisher durchgesetzt, obwohl jeder Tag, den wir auf diesem Stützpunkt bleiben, grundgesetzwidrig ist. Der schmutzige Deal mit Erdogan wird auch von der SPD mitgetragen.

Sie meinen auch den Flüchtlingsdeal?

Ja. Indem man Erdogan zum Türsteher Europas geadelt hat, hat man sich erpressbar gemacht. Der Flüchtlingsdeal war Merkels Idee, weil sie unfähig war, eine gemeinsame europäische Lösung und einen fairen Ausgleich zu organisieren. Herrn Erdogan zum europäischen Flüchtlingsbeauftragten zu machen, wurde von nicht wenigen unserer europäischen Partner nur mit Unwillen mitgetragen.

Was wäre eine bessere Flüchtlingspolitik?

Eine humane Flüchtlingspolitik muss sich vor allem um die Menschen kümmern, die es nicht nach Europa schaffen. Das ist die übergroße Mehrheit. Die drei Milliarden Euro, die Erdogan bekommt, kommen allerdings kaum bei den Flüchtlingen an. In vielen Lagern herrscht das blanke Elend. Zweiter entscheidender Punkt ist, endlich die Ursachen für Flucht und Vertreibung zu bekämpfen.

Wie denn?

Wir dürfen keine Waffen mehr in Kriegsgebiete oder an Staaten liefern, die Terroristen hochrüsten. Wir müssen aufhören, ärmere Länder dadurch zu ruinieren, dass wir sie zwingen, ihre Märkte für unsere subventionierten Produkte zu öffnen. Denn so zerstören wir, was es dort an eigenständiger Wirtschaft gibt.

Mehr Hilfe vor Ort heißt weniger Flüchtlinge in Deutschland?

Ja. Es geht doch darum, dass die Menschen zu Hause eine Zukunft haben. Für die große Mehrheit, vor allem für die Ärmsten der Armen, für die Millionen vom Hungertod Bedrohten ist Deutschland ohnehin keine Perspektive, weil sie überhaupt keine Chance haben, hierher zu kommen.

Im Leitantrag zum Parteitag steht, dass im Zentrum der Flüchtlingspolitik das Recht stehen müsse, „nicht migrieren zu müssen“.

Richtig. Es geht um eine Perspektive im Heimatland. Aktuell sind Deutschland und die EU mitverantwortlich dafür, solche Perspektiven zu zerstören. Das muss sich ändern.

Wagenknecht: Menschlich kann ich Gerhard Schröder verstehen

Altkanzler Gerhard Schröder sagt, die Familie Lafontaine wolle die SPD nur vorführen. Sahra Wagenknecht, hier mit Ihrem Ehemann Oskar Lafontaine, sagt, sie könne menschlich verstehen, dass Schröder angefasst sei.
Altkanzler Gerhard Schröder sagt, die Familie Lafontaine wolle die SPD nur vorführen. Sahra Wagenknecht, hier mit Ihrem Ehemann Oskar Lafontaine, sagt, sie könne menschlich verstehen, dass Schröder angefasst sei.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Die Außenpolitik wird immer als Argument genannt, warum Rot-Rot-Grün nicht funktionieren kann.

Das stimmt, solange SPD und Grüne Interventionskriege befürworten und die aktuelle Aufrüstung mittragen. Mit Zustimmung der SPD steigen die Rüstungsausgaben in diesem Jahr um acht Prozent. Das ist tatsächlich mit unseren Positionen unvereinbar.

Ist Rot-Rot-Grün tot?

Es sieht so aus, aber der Killer wurde nicht von der Linken beauftragt. Wir wünschen uns eine andere, eine sozialere und friedlichere Politik. Aber die Grünen und auch die SPD signalisieren doch jeden Tag, dass sie eigentlich gar nichts Wesentliches ändern wollen.

Schuld sind immer die anderen?

Die Präferenz der grünen Spitzenkandidaten für Schwarz-Grün ist bekannt. Die SPD unter Martin Schulz redet zwar gern von sozialer Gerechtigkeit. Aber sie hat ein mutloses Wahlprogramm vorgelegt, das selbst hinter ihren Forderungen aus dem Wahlkampf von 2013 zurückbleibt. Wer an Hartz-IV, Niedriglöhnen und Armutsrenten nichts ändern will, kann sich allerdings auch das Gerechtigkeitsgerede sparen. Im privaten wie im politischen Leben ist es nicht ratsam, jemanden als Partner zu umwerben, der erkennbar gar kein Interesse zeigt. Ich höre nur Stimmen, die Rot-Rot-Grün ausschließen und zwar von Seiten der SPD und der Grünen. Stalking ist nicht meine Sache.

Sie sind beleidigt?

Es geht um Politik und nicht um Eitelkeiten. Die Linke ist in Opposition zum Sozialabbau der Agenda 2010 gegründet worden. Diese Tradition schließt aus, sich Parteien als Partner anzudienen, die die Kernelemente der Agenda 2010 unverändert verteidigen.

Sehen Sie sich von Schulz getäuscht?

Herr Schulz gehörte nie zur SPD-Linken. Trotzdem haben seine ersten Ankündigungen die Hoffnung geweckt, er würde die SPD wieder zu einem sozialeren Kurs führen. Das fanden wir gut. Aber nach kurzer Zeit ist er leider schon wieder eingeknickt, seither lässt sich die SPD von der Union treiben und springt über jedes Stöckchen, das ihr hingehalten wird.

Warum?

Nach der Saarland-Wahl ist der Druck auf Schulz größer geworden, dem hat er nicht standgehalten. Dabei war diese Wahl, bei der die SPD offen für Rot-Rot war, die einzige in diesem Jahr, bei der sie keine katastrophalen Verluste verbuchen musste.

Gerhard Schröder sagt, dass Sie und Oskar Lafontaine die SPD nur vorführen wollen.

Ach was. Schröder steht für die Politik, gegen die die Linke sich gegründet hat. Ist doch klar, dass das nicht miteinander kompatibel ist. Politisch sind die Sozialdemokraten immer noch auf Schröder-Kurs, vielleicht nicht in Bezug auf Russland, aber in Bezug auf prekäre Jobs oder die ungerechte Steuerpolitik. Ihr früherer Vorsitzender Lafontaine erinnert sie daran, dass die SPD auch mal etwas anderes war als eine Sozialabbau-Partei. Das schmerzt.

Jetzt drehen Sie den Spieß nur um.

Dass Schröder angefasst ist, kann ich menschlich verstehen, immerhin hat es ihn die Kanzlerschaft gekostet, dass Lafontaine 2005 zur Wahl angetreten ist.

Willy Brandt würden Sie zum Kanzler wählen, oder?

Klar. Ich wünschte, wir hätten einmal wieder die Chance auf einen Kanzler mit dieser politischen Ausrichtung.

Ist eine Wiedervereinigung von SPD und Linken noch Utopie oder schon unmöglich?

Das ist eine abwegige Frage. So wie die SPD sich entwickelt, könnte sie sich aktuell eher mit Merkels CDU vereinigen.

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