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300 Verhandlungstage dauerte der Prozess gegen Mitglieder des "Aktionsbüro Mittelrhein" in Koblenz (hier ein Archivbild von 2015).

© Thomas Frey/dpa

Landgericht Koblenz: Neonazi-Prozess gegen "Aktionsbüro Mittelrhein" wegen Überlänge geplatzt

Fast fünf Jahre dauerte das Verfahren gegen 17 angeklagte Neonazis. Nun wird es eingestellt. Das „Aktionsbüro Mittelrhein“ strebte einen Staat nach Vorbild des NS-Regimes an.

Von Frank Jansen

Es ist einer der größten Neonazi-Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik. Genauer: Vermutlich war er das. Die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Koblenz hat am Dienstag mitgeteilt, das Verfahren gegen zuletzt noch 17 Angeklagte sei mit Beschluss vom Montag eingestellt – „wegen des Verfahrenshindernisses der überlangen Verfahrensdauer“. Rechtskräftig ist die Entscheidung noch nicht. Zwei Angeklagte sollen entschädigt werden, da sie mit einem Freispruch rechnen konnten.

Begonnen hatte der Prozess vor knapp fünf Jahren, am 20. August 2012. Damals mussten sich 26 Rechtsextremisten verantworten. Sie sollen als „Aktionsbüro Mittelrhein“ eine kriminelle Vereinigung gebildet oder zumindest unterstützt und einschlägige Straftaten begangen haben. Doch nach mehr als 330 Prozesstagen hat sich, wie es in Sicherheitskreisen heißt, „der Rechtsstaat verhoben“.

Das Debakel zeichnete sich früh ab. Die 26 Rechtsextremen kamen mit 52 Verteidigern in den Prozess. Unter den Juristen befanden sich Szene-Anwälte, sie stehen dem „System“ der Bundesrepublik meist ähnlich ablehnend gegenüber wie ihre Mandanten. Zu Beginn der Hauptverhandlung sagte ein Verteidiger zu Oberstaatsanwalt Walter Schmengler, „wenn Sie sich vergiften, hätte ich nichts dagegen“.

Die Ankläger präsentierten im Gericht ein voluminöses Werk. Insgesamt 926 Seiten umfasst die Anklageschrift. In ihr wird bekannten Figuren wie Axel R., in der Szene einst „Hitler von Köln“ genannt, vorgeworfen, Unterstützer der kriminellen Vereinigung gewesen zu sein. Axel R. sagte jedoch im Prozess aus und hat das braune Milieu verlassen.

Laut Anklage soll das „Aktionsbüro Mittelrhein“ angestrebt haben, einen Staat nach Vorbild des NS-Regimes zu errichten. Treffpunkt der Aktionsbüro-Truppe soll ein von ihnen „Braunes Haus“ genanntes Gebäude in Ahrweiler gewesen sein. So hatte einst auch die NSDAP ihre Zentrale in München bezeichnet.

Angeklagt wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung

Die zu Prozessbeginn zwischen 19 und 54 Jahre alten Rechtsextremisten sollen äußerst aggressiv aufgetreten sein. Laut Anklage wurden Linke geschlagen, Reifen zerstochen und Hakenkreuze geschmiert. Einem Beamten des Landesamtes für Soziales soll ein GPS-Sender ans Auto montiert worden sein, um ihn zu verfolgen. Höhepunkt der kriminellen Umtriebe soll allerdings eine Attacke in Dresden gewesen sein. Bei einer Demonstration im Februar 2011 sollen die Neonazis aus Rheinland-Pfalz mit weiteren Rechtsextremisten das Haus der linken Wohngemeinschaft „Praxis“ mit Böllern beworfen haben. Mehrere Scheiben wurden mit Knüppeln zerschlagen. 17 der 26 Angeklagten sollen damals mitgemacht haben.

Den Prozess in Koblenz zogen allerdings nicht nur die zahllosen Anträge aus den Reihen der Verteidiger in die Länge. Problematisch war auch das Verhalten von Schöffen. Einer stellte am 6. Dezember 2012 den beiden Staatsanwälten je einen Nikolaus aus Schokolade auf den Tisch. Der Verteidiger des ehemaligen Anführers im „Braunen Haus“ stellte einen Befangenheitsantrag gegen den Schöffen – und hatte Erfolg. Dann musste ein Ersatzschöffe her. Im September 2015 spielte dann ein Schöffe eine halbe Stunde lang an seinem Handy herum. Wieder stellte ein Anwalt einen Befangenheitsantrag, auch diesmal widersprach das Gericht nicht. Dann war da noch die Stinkbombe. Im Oktober 2013 wurde das Gerichtsgebäude wegen eines penetranten Geruchs evakuiert. Wer die Unterbrechung des Prozesses provoziert hatte, ist allerdings bis heute ungeklärt.

Vorsitzender Richter scheidet aus Altersgründen aus

Die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Hans-Georg Göttgen ließ nach und nach Angeklagte aus der Untersuchungshaft frei. Außerdem wurde bei mehreren Rechtsextremen das Verfahren eingestellt. Zwei erhielten Bewährungsstrafen, zwei weitere Angeklagte bekamen nur einen Schuldspruch, aber keine Jugendstrafe. Doch ein klassisches Ende des Prozesses mit einem rechtskräftigen Urteil zeichnete sich nicht ab.

Dafür aber die Amtszeit von Richter Göttgen. Am 2. Mai setzte die Kammer das Verfahren aus, da Göttgen Ende Juni altersbedingt „zwingend aus dem richterlichen Dienst ausscheiden muss“. Und nun folgte die Einstellung des Verfahrens. Die Kammer verwies auf die Europäische Menschenrechtskonvention, sie benennt in Artikel 6 das Recht eines Angeklagten auf ein faires Verfahren.

Dass sich das Koblenzer Debakel auf das andere Großverfahren zu rechter Kriminalität auswirkt, den vier Jahren dauernden NSU-Prozess in München, ist unwahrscheinlich. Die Beweisaufnahme steht vor dem Ende. Und der Vorsitzende Richter ist nicht ganz so alt.

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