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Udo Bullmann ist Europa-Beauftragter des SPD-Vorstands und Vize-Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament.

© promo

Kursdebatte in der SPD: "Wir müssen uns in europäischen Zukunftsfragen eindeutiger positionieren"

Der Europabeauftragte des SPD-Parteivorstandes, Udo Bullmann, ist der Auffassung, dass die SPD die Europapolitik nutzen muss, um ihr Profil zu schärfen - gegen eine Kanzlerin, die aus einer "anti-europäischen AfD eine fremdenfeindliche, wenn nicht rassistische Partei gemacht hat".

Herr Bullmann, der Sozialist Benoît Hamon hat bei der französischen Präsidentschaftswahl im vergangenen Frühjahr gerade einmal einen Stimmenanteil von sechs Prozent erreicht. Droht der SPD irgendwann ein ähnliches Schicksal?

Nein, ganz sicher nicht. Die deutsche Sozialdemokratie ist nicht nur über 150 Jahre alt, sondern auch extrem stabil in der Bevölkerung, in den Kommunen, in den Regierungen der Bundesländer und auf Bundesebene verankert. Wir werden uns nicht aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verabschieden - ganz im Gegenteil.

Was sind die Gründe für das schlechte Wahlergebnis der SPD bei der Bundestagswahl?

Wenn Sie mit einem Wahlergebnis nach Hause kommen, das Ihnen nicht gefällt, dann sollten Sie nicht die Wählerinnen und Wähler dafür beschimpfen. Vielmehr stellt sich die Frage: Was hat an unserem Politikangebot nicht hinreichend überzeugt? An welchen Stellen hat unser Wahlkampf nicht überzeugt? Und wie können wir unsere Inhalte - soziale Gerechtigkeit, moderne Wirtschaft, Zusammenhalt in einem sich positiv entwickelnden Europa - so präsentieren und so zuspitzen, dass wir beim nächsten Mal ein besseres Ergebnis erzielen?

Ist das Europa-Thema im Wahlkampf zu kurz gekommen?

Es ist traditionell in der deutschen Politik als ein Thema angesehen worden, das so mitläuft und an dem die Geister sich nicht scheiden. Ich halte diese Einstellung für falsch. Ich glaube, dass Merkels Stillhalten bei der Diskussion über europäische Streitfragen aus einer anti-europäischen AfD eine fremdenfeindliche, wenn nicht rassistische Partei gemacht hat. Wenn wir nicht klar sagen, was wir in Europa wollen, dann darf es uns nicht wundern, dass unsere Wähler nicht verstehen, was in Europa passiert.

In Frankreich wurde Hamon auch wegen der schlechten Bilanz des sozialistischen Präsidenten François Hollande abgestraft. Ist Regieren also doch manchmal Mist?

Wenn wir uns die französischen Gesellschaft näher anschauen, dann können wir Dinge lernen, die uns auch weiterhelfen bei der Ausgestaltung der europäischen, aber auch der deutschen Politik. Erstens: Man darf nicht zu lange zuwarten, bis sich ein fester rechtsextremistischer Block bildet, wie dies in Frankreich inzwischen geschehen ist. Zweitens: Wir sind dem jetzigen Präsidenten Macron sehr dankbar dafür, dass er mit einer pro-europäischen Kampagne die politische Kultur seines Landes wieder so gestärkt hat, wie es sich für einen Gründungsstaat der Europäischen Union gehört. Gleichzeitig zeigt sowohl das Beispiel Macrons als auch seines Vorgängers Hollande, wie eng verwoben die Frage nationaler Souveränität mit der Bereitschaft zur transnationalen Kooperation ist. Mit anderen Worten: Die Modernisierung Frankreichs wird nur in der Partnerschaft mit Deutschland gelingen. Sie wird nur gelingen in einem Europa, das nach vorne schaut. Hollande hat auch darunter gelitten, dass Merkel und Schäuble ihm Antworten schuldig geblieben sind. Hollande ist zum Teil auch ein Opfer von Merkel und Schäuble geworden. Diese Diskussionsverweigerung von CDU und CSU hat ihr Ende gefunden - und zwar unabhängig von der Frage, wer in einigen Monaten Deutschland regieren wird.

Wie soll sich die SPD zwischen großer Koalition, Minderheitsregierung und Neuwahlen entscheiden?

Die SPD ist in einer Situation, in der es entscheidend darauf ankommt, in die eigene Stärke zu wachsen und das eigene Politikangebot so zu schärfen, dass wir für jeden denkbaren Weg gut vorbereitet sind. Das bedeutet, dass wir uns darauf besinnen, was uns ausmacht. Dies erfordert eine Diskussion über die Inhalte, die wir den Menschen anbieten wollen, unabhängig davon, ob wir tolerieren, regieren oder opponieren.. Ob wir eine Minderheitsregierung unterstützen würden, ist eine völlig offene Frage.

Ist die Situation heute anders als Ende 2013, als bei einer SPD-Mitgliederbefragung eine Mehrheit von 76 Prozent dem damaligen Vorsitzenden Gabriel folgte und sich für eine große Koalition aussprach?

Es ist uns gelungen, wesentliche sozialpolitische Errungenschaften in den letzten vier Jahren durchzusetzen. Denken Sie beispielsweise an das Eintrittsalter bei der Rente oder den Mindestlohn.. Und diese Diskussion wird bei zentralen sozial- und innenpolitischen Fragen nun weitergehen. Falls wir uns für Gespräche mit der Union entscheiden sollten, werden beispielsweise die Beseitigung von Kinderarmut, eine bessere Ausstattung des Bildungssystems oder die Absicherung in neuen Berufen im Digitalbereich, in denen die soziale Schutzrechte ungeklärt sind, eine zentrale Rolle spielen müssen. Aber anders als beim letzten Mal müssen wir uns in den entscheidenden europäischen Zukunftsfragen eindeutiger positionieren. Ein ‚Weiter so' kann es nicht geben.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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