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Der CSU-Parteivorsitzende Horst Seehofer bei einer Pressekonferenz am Montag in Berlin.

© AFP/ Odd Andersen

Update

Kritik an Parteichef und Flüchtlingskompromiss: Münchner CSU will Neuanfang ohne Horst Seehofer

Auch der Münchner Bezirksverband ist nun mehrheitlich auf Distanz zu CSU-Chef Horst Seehofer. Und in der Landtagsfraktion hagelt es Kritik am ausgehandelten Flüchtlingskompromiss.

Nach den Widersachern in der Oberpfalz und in Oberfranken ist nun auch der Münchner Bezirksverband der Christsozialen zu Parteichef Horst Seehofer mehrheitlich auf Distanz gegangen. Laut "Bild"-Zeitung forderten acht von neun Kreisverbänden der Landeshauptstadt bei einem Treffen einen „personellen Neuanfang“ an der Spitze von Partei und Staatsregierung. „Sonst verlieren wir nächstes Jahr mit der Landtagswahl in Bayern auch die dritte Wahl", hieß es. Die Kreisverbände hätten Seehofer sowie der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Schuld an der jüngsten Wahlschlappe in Bayern gegeben.

Nach Tagesspiegel-Informationen verlief das Treffen konspirativ und in kleinem Kreis. Der Vorsitzende des Kreisverbandes München-Ost, Vize-Generalsekretär Markus Blume, war gleich gar nicht eingeladen, weil er bekanntermaßen zu seinem Parteichef steht. Loyale Bundestagsabgeordnete wie Wolfgang Stefinger ebenso wenig. Die Münchner CSU wolle in der kommenden Woche ein Positionspapier mit den wichtigsten Thesen ihres Treffens veröffentlichen, hieß es.

Stefinger ärgert sich über den Hinterzimmer-Vorstoß der Kreisverbände. "Ein solches Vorgehen ist genau das, was die Menschen von Politik abstößt und kein guter Umgangsstil", sagte er dem Tagesspiegel. Eine lückenlose Aufarbeitung des Wahldesasters sei zwar unerlässlich. Sie müsse aber "fair, mit der Parteibasis und nicht in Hinterzimmern passieren". Die CSU müsse sich "um gute Politik für die Menschen kümmern und nicht um Posten".

Münchner CSU vor den Kopf gestoßen

Erklärbar ist der Vorstoß der Münchner auch durch kommunale Streitereien. Vor knapp drei Monaten hatte Seehofer die CSU-Funktionäre der Landeshauptstadt mächtig gedemütigt. Über ihre Köpfe hinweg stimmte er überraschend der Forderung von SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter zu, Münchens zentrale Grünanlage "Englischer Garten" künftig per Straßenbahn durchqueren zu lassen.

Dieses Projekt war von der Rathaus-CSU und Bezirkschef Ludwig Spaenle seit vielen Jahren vehement abgelehnt worden. Auch Landesfinanzminister Markus Söder hatte die Stadt damit bisher abblitzen lassen, Seehofer fiel damit also seinem seit Jahren als Kronprinz gehandelten Rivalen ebenfalls in den Rücken - und fand es nicht einmal nötig, seine Münchner Parteifreunde vor Reiters Triumphmeldung über den Kurswechsel zu informieren.

"Kontraproduktiv und unfair"

Der neue Chef der CSU-Landesgruppe in Berlin, Alexander Dobrindt, kritisierte die Rücktrittsforderungen. Er halte "solche Beiträge in der jetzigen Phase einer historischen Situation für die CSU mit schwierigsten Verhandlungen in Berlin für kontraproduktiv und in Teilen auch unfair geführt", sagte der noch amtierende Bundesverkehrsminister der "Rheinischen Post".

Die CSU habe sich mit einem "schwierigen Wahlergebnis" auseinanderzusetzen und schwierige Gespräche über eine Jamaika-Koalition zu bewältigen. Konkurrenzsituationen seien Normalität, so Dobrindt. Dabei müsse es aber "fair und transparent" zugehen. "Daran sollten sich alle halten."

Auch Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, die gleichzeitig Chefin des mitgliederstärksten Bezirksverbands Oberbayern ist, wandte sich gegen Personaldebatten vor den Koalitionsverhandlungen. Es sei ein Unterschied, ob man in Talkshows Positionen aufstelle oder ob man im Angesicht der Kanzlerin etwas durchsetzen müsse, sagte sie in unüberhörbarer Anspielung auf Söder. „Wenn irgendjemand weiß, wie er in Berlin verhandeln kann, dann ist das Horst Seehofer.“

Attacken in der Landtagsfraktion

Doch Seehofer hat nicht nur Ärger mit seinen Kreis- und Bezirksfürsten. In der Landtagsfraktion am Mittwoch stieß auch der von ihm federführend ausgehandelte Kompromiss zur Flüchtlingspolitik auf heftige Vorbehalte. Und pikanterweise wurde der Parteichef dort auch wieder von eigenen Regierungsmitgliedern attackiert.

Der Münchner Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich etwa habe die Einigung als "Existenzsicherung für die AfD" bezeichnet, berichteten Teilnehmer. Es sei "valentinesk", wenn die Zahl von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr jetzt sogar noch erhöht werden dürfe. Die Verhandlungen hätten deutlich gemacht, dass die CSU die Grenzen ihrer Durchschlagskraft erreicht habe. 

Ärger auch über "Maulkorb" durch Parteispitze

Auch Kultusminister Spaenle habe sich kritisch zur Wirksamkeit der Vereinbarungen geäußert, hieß es. Der Oberpfälzer Landtagsabgeordnete Harald Schwartz habe "Hintertürchen und Scheinlösungen" moniert. Andere hätten die Einigung als "Wischiwaschi" bezeichnet und über einen "Maulkorb" durch die Parteispitze geklagt.

Fraktionschef Thomas Kreuzer, der selbst in Berlin mitverhandeln durfte, erteilte seinen Parteifreunden dem Vernehmen nach den „dringenden Rat, dem Volk nicht zu erzählen, dass das alles nichts ist". Wenn man selber alles schlecht rede, brauche man sich über Ablehnung beim Wähler nicht nicht zu wundern. Und der frühere bayerische Justizminister Alfred Sauter warnte die Seehofer-Kritiker, einen CSU-Erfolg bei der Landtagswahl 2018 zu gefährden. "Wir führen die Debatte so, dass andere davon profitieren", schimpfte er. (mit dpa)

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