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Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Gianni Pittella.

© Mathieu Cugnot/DPA

Krise von Europas Sozialdemokratie: "Die Angst ist zum Mantra geworden"

Der Chef der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Gianni Pittella, analysiert die europaweit schlechten Ergebnisse seiner Parteigenossen. "Auch einige unserer Stammwähler wählen inzwischen rechts", sagt er im Interview.

Herr Pittella, wie bewerten Sie als Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament das schlechte Abschneiden Ihrer Parteigenossen bei Wahlen in Europa in den letzten Monaten? Hat die Sozialdemokratie in Europa derzeit nur mit Gegenwind zu kämpfen oder mit einem ausgewachsenen Sturm?
Wir haben es eindeutig mit einem Rechtsruck zu tun. Auch einige unserer Stammwähler wählen inzwischen rechts. Diese Verschiebung kommt zu Stande, weil die Leute das Gefühl haben, sie seien nicht mehr genügend geschützt. Die Angst ist zum Mantra der Politik geworden. In dieser Situation sollte sich die Linke konkret auf drei Bereiche konzentrieren: Sicherheit, Bildung und Gesundheit.
Stichwort Sicherheit: Heißt das, dass die Sozialdemokratie in Zeiten der Terrorbedrohung neben der sozialen Gerechtigkeit eine weitere Kernkompetenz entwickeln muss?
Natürlich. Die Geheimdienste müssen auf EU-Ebene bei der Prävention von Terrorakten stärker zusammenarbeiten. Es geht auch darum, die Verbreitung von Terrorpropaganda in den sozialen Medien zu verhindern. Aber der Begriff der Sicherheit reicht noch weiter: Es geht einerseits darum, anständige Lebensumstände für alle zu sichern. Und andererseits müssen die Menschen wissen, dass es die Sozialdemokraten sind, die sie vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung schützen.
Wie die Wahl in Österreich gezeigt hat, spielt auch das Thema der Migration in den Augen vieler Wähler eine große Rolle. Deshalb hatten die Sozialdemokraten in Österreich keine realistische Chance, ihre bisherige Spitzenposition bei der Parlamentswahl zu verteidigen.
Die SPÖ hat sich in Österreich trotz des Drucks von Rechts und Rechtsaußen gut geschlagen. Für uns Sozialdemokraten ist das dortige Ergebnis gar nicht so schlecht. Die Wahlkampagne war von Angst geprägt. Man darf aber die Angst vieler Wähler nicht einfach abtun, sondern man muss versuchen zu verstehen, worin sie ihren Ursprung hat. Unsere Antwort lautet: Je dichter das soziale Netz geknüpft ist, umso weniger verfangen Angstkampagnen wie in Österreich.
In Österreich denken einige Sozialdemokraten auch über ein mögliches Regierungsbündnis mit den Rechtspopulisten von der FPÖ nach. Was halten Sie davon?
Ich kann dazu nur sagen, wie sich die Sozialdemokraten auf europäischer Ebene positionieren: Wir stellen eine eindeutige Alternative zur Rechten und zur Rechtsextremen dar.
In Deutschland scheint die SPD nach der Bundestagswahl noch unentschlossen, ob sie sich demnächst weiter nach links bewegen soll oder nicht. Wie lautet Ihr Ratschlag?
Die deutsche Sozialdemokratie braucht meinen Ratschlag nicht. Die SPD hat eine stolze Geschichte und eine historische Rolle. Ich gehe davon aus, dass die Sozialdemokraten ihre Positionierung nach der Bundestagswahl überdenken werden. Die Entscheidung von SPD-Chef Martin Schulz, nach der Wahl die große Koalition aufzukündigen, wird zur Erneuerung der Partei beitragen. Und die SPD ist ja weiter gefragt, wie das gute Ergebnis in Niedersachsen gezeigt hat.
Einen Rechtsruck könnte es auch bei den Parlamentswahlen in Italien im kommenden Frühjahr geben. Erwarten Sie ein starkes Abschneiden von Parteien wie der ausländerfeindlichen Lega Nord und der konservativen Forza Italia um Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi?
Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Bei der Europawahl 2014 haben wir mit der Partito Democratico 41 Prozent erreicht. Die beiden sozialdemokratischen Regierungschefs Renzi und Gentiloni haben gute Arbeit geleistet. Ich bin zuversichtlich, dass die Wähler dies bei der Parlamentswahl im Frühjahr auch honorieren werden.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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