zum Hauptinhalt
Mit Einverständnis des Herrschers und aller Gewalt soll der Widerstand der Regimegegner gebrochen werden.

© Omar Sanadik/Reuters

Kriegsverbrechen in Syrien: Strafanzeigen gegen Assads Handlanger

Syriens Regime geht mit aller Gewalt gegen seine Gegner vor. Nun stellen Juristen in Deutschland Strafanzeige wegen Folter. Was bedeutet das? Eine Analyse.

Aus dem Krieg in Syrien, der vor fast sechs Jahren begann, dringen immer wieder Berichte von schwersten Menschenrechtsverletzungen. Für den größten Teil dieser Verbrechen wird das Regime von Präsident Baschar al Assad verantwortlich gemacht. Seine Gegner werden festgenommen, gefoltert, getötet. Menschenrechtler beklagen seit Jahren die Straflosigkeit dieser Verbrechen. Nun hat ein Team aus deutschen und syrischen Juristen bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe eine Strafanzeige wegen Folter in Syriens Militärgefängnissen eingereicht. Sieben Überlebende der Folter, von denen sechs heute in Deutschland leben, haben Anzeige erstattet und sind zugleich Zeugen der Verbrechen.

Die Opfer

Der Mann, der öffentlich nur „Zeuge 3“ genannt werden soll, hat in Damaskus Demonstrationen gegen Assad mit organisiert. Im Dezember 2011 wurde er nach der Teilnahme an einer Kundgebung festgenommen und in die Abteilung 215 des Militärgeheimdienstes in Damaskus gebracht. Diese Abteilung gehöre zu den Hafteinrichtungen mit den meisten Todesfällen in Syrien, heißt es in der Strafanzeige. „Zeuge 3“ wurde brutal misshandelt und mit Elektroschocks gefoltert.

„Bei den Verhören wurde man so lange mit einem Kabel und einer Art Rohr geschlagen, bis man alle Vorwürfe unterschrieb.“ Einmal brachten ihn seine Folterer in eine große Halle, deren Wände mit Blut verschmiert waren. Ihm und etwa 200 anderen Gefangenen wurden die Augen verbunden, sie mussten sich mit dem Gesicht zur Wand aufstellen, es hieß, sie würden gleich erschossen. Sechs Stunden lang standen die Gefangenen so da. Später zwangen die Folterer sie zuzusehen, wie andere Gefangene schwer misshandelt wurden.

Über diese traumatischen Erlebnisse hat der Zeuge dem Team aus deutschen und syrischen Juristen berichtet. Er ist einer von denen, die bereit waren, Anzeige zu erstatten. Ihre Namen sollen nicht öffentlich werden, weil sie Repressionen des Regimes gegen sich selbst oder in Syrien lebende Angehörige befürchten.

Die Anzeige

Die 110-seitige Strafanzeige, die am Mittwoch bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einging, richtet sich gegen sechs namentlich bekannte ranghohe Vertreter der syrischen Geheimdienste sowie gegen weitere unbekannte Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes und der syrischen Regierung. Ihnen wird vorgeworfen, in mittelbarer Täterschaft, also als Mittäter und Vorgesetzte für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein, darunter vorsätzliche Tötung, Folter und Vergewaltigung. Als Tatorte werden die Gefängnisse von drei Abteilungen des Militärgeheimdienstes in Damaskus genannt. Die Anzeigeerstatter hoffen auf internationale Haftbefehle gegen die Geheimdienstler.

Die Täter

Gegen folgende Männer ist Strafanzeige gestellt worden:
Ali Mamluk ist Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros (NSB) und eine der Schlüsselfiguren des syrischen Geheimdienstapparates im engen Umfeld von Staatschef Baschar al Assad. Als NSB-Chef hat er Befehlsgewalt über alle Geheimdienste und damit auch über die Folterer. Mamluk steht seit 2011 auf den Sanktionslisten von EU und USA.

Abdelfattah Qudsiyeh, Vize-Chef des NSB und zuvor Abteilungsleiter beim Militärgeheimdienst in Damaskus. Er gehöre zum „innersten Kreis“ des syrischen Sicherheitsapparates, heißt es. Wie Mamluk war er Befehlshaber über die direkten Täter.

Brigadegeneral Rafiq Shehadeh war Leiter des Militärgeheimdienstes und damit Vorgesetzter der Personen, die in den Militärgefängnissen für Verhöre zuständig waren. Außerdem beriet er Assad in strategische Fragen. Protokolle aus den Folterverhören wurden an ihn weiter geleitet.

Gleiches gilt für seinen Nachfolger, Brigadegeneral Muhamad Mahalla. In dieser Funktion war und ist er unmittelbar an der Repression gegen Regimegegner und Gewalt gegenüber Zivilisten beteiligt. Die USA bringen ihn in einen Zusammenhang mit dem Einsatz von Chemiewaffen.

Brigadegeneral Muhammad Khallouf leitet die Abteilung 235 des Militärgeheimdienstes, die in der Hauptstadt Damaskus ein unterirdisches Gefängnis betreibt, das als eines der schlimmsten Folterzentren gilt

Brigadegeneral Shafiq Masa führt die Abteilung 215 des Militärgeheimdienstes. Auch diese Hafteinrichtung in Damaskus ist für Folter und eine besonders große Zahl von getöteten Häftlingen berüchtigt.

Die Kläger

Hinter der Anzeige steht der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, mit dem von ihm geleiteten European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) seit Jahren versucht, Fälle von Menschenrechtsverletzungen vor Gericht zu bringen. International bekannt wurde die Organisation mit Strafanzeigen gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen Kriegsverbrechen in den US-Gefängnissen Abu Ghraib und Guantanamo.

Eigentlich müsse die Aufarbeitung dort passieren, wo die Verbrechen begangen worden seien, sagt Kaleck. Aber in Syrien ist daran auf absehbare Zeit nicht zu denken. Eine Verfolgung syrischer Kriegsverbrecher durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag haben Russland und China mit einem Veto im UN-Sicherheitsrat blockiert. „Im Moment müssen wir damit leben, dass eine Strafverfolgung nur in Drittstaaten erfolgen kann“, sagt Kaleck. Er fordert eine systematische Aufarbeitung von Assads „Folter-Regime“.

Unterstützt wird Kaleck von zwei syrischen Rechtsanwälten, die selbst in ihrer Heimat in Haft waren. Anwar al Bunni betont, die Strafanzeige sei „eine Botschaft der Hoffnung, nicht der Rache“. Sie gebe den Opfern der Folter die Hoffnung, dass sie eines Tages Recht bekommen, und zeige den Tätern, dass die Zeit der Straflosigkeit vorbei sei.

„Jahrelang hat die Welt den Verbrechen zugesehen, Besorgnis gezeigt und nichts getan“, sagt al Bunni, der zu den Gründern der Human Rights Association Syria zählt. Die Straflosigkeit habe die Täter ermutigt. Sein Kollege Mazen Darwish betont, eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes sei zugleich der beste Weg, um dem „Islamischen Staat“ (IS) und anderen Extremisten den Boden zu entziehen.

Die Justiz

Seit 2002 ist in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft, das eine Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermöglicht auch ohne konkreten Bezug zu Deutschland ermöglicht. Allerdings gab es bisher nur ein Strafverfahren auf dieser Grundlage: Im September 2015 verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart zwei Männer aus Ruanda zu langjährigen Haftstrafen. Für Ermittlungen nach dem Völkerstrafgesetzbuch ist die Bundesanwaltschaft zuständig.

Dort wird seit 2011 ein sogenanntes Strukturverfahren im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien geführt. „Wir schauen, ob es Anhaltspunkte für Kriegsverbrechen gibt, die dem syrischen Regime nachgewiesen werden können“, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Seit Februar 2016 liegen der Behörde die sogenannten Caesar-Fotos vor, die Folter in Assads Gefängnissen dokumentieren. „Die werten wir mit großem Nachdruck aus.“ Und: „Es geht darum, Beweise zu sichern, unabhängig davon, wo die Täter vor Gericht gestellt werden können.“ Von der Strafanzeige des deutsch-syrischen Juristenteams erhofft man sich in Karlsruhe neue Erkenntnisse- „Die Anzeige ist uns sehr willkommen, weil dadurch uns bisher nicht bekannte Beweise erhoben werden können.“

Die Folter

Die Gewalt gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle hat System. Bereits vor dem Aufstand gegen Assad war es ratsam, sich nicht politisch zu betätigen, geschweige denn das Regime in der Öffentlichkeit infrage zu stellen. Mit Beginn des Krieges im März 2011 nahm dann die Unterdrückung selbst für syrische Verhältnisse verhängnisvolle Züge an.

Misshandlungen und willkürliche Hinrichtungen sind seitdem an der Tagesordnung. Vor allem die Militärgefängnisse haben sich zu regelrechten Folterzentren entwickelt. Für Menschenrechtsgruppen steht fest, was die Machthaber mit den mörderischen Repressionen bezwecken: Es soll jede Art von Widerstand in der Bevölkerung gebrochen werden. Amnesty International spricht sogar von einer regelrechten „Politik der Vernichtung“, der vor allem missliebige Zivilisten zum Opfer fallen. Und das in einem unvorstellbaren Ausmaß.

Allein in der berüchtigten Haftanstalt Saydnaya sind zwischen 2011 und 2015 bis zu 13.000 Menschen ums Leben gekommen. Viele wurden ohne rechtsstaatliche Verfahren exekutiert. Andere starben durch Folter, Hunger oder weil man ihnen lebenswichtige Medikamente vorenthielt. Und alles spricht dafür, dass sich an dieser Praxis, die offenkundig von höchsten syrischen Regierungsstellen genehmigt ist, nichts geändert hat.

Ort des Grauens. Im Militärgefängnis Saydnaya nahe Damaskus könnten laut Menschenrechtlern zwischen 2011 und 2015 bis zu 13.000 Menschen ums Leben gekommen sein.
Ort des Grauens. Im Militärgefängnis Saydnaya nahe Damaskus könnten laut Menschenrechtlern zwischen 2011 und 2015 bis zu 13.000 Menschen ums Leben gekommen sein.

© AFP/Amnesty

Die Bundesregierung hat Berichte zu Folter und massenhaften Hinrichtungen in syrischen Militärgefängnissen bestätigt. „Die Zustände in den Gefängnissen des syrischen Regimes sind erschütternd. Wir setzen uns für eine Beendigung dieser gravierenden Menschenrechtsverletzungen ein und dafür, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, teilte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts (AA) dem Tagesspiegel mit.

Auch die Zustände in Saydnaya sind der Bundesregierung bekannt. „Dass es gerade auch in diesem Gefängnis zu schwersten Verbrechen kommen soll, wurde schon mehrfach und glaubwürdig berichtet“, sagte die AA-Sprecherin weiter. In Anbetracht einer Reihe vergleichbarer Berichte sei davon auszugehen, dass die beschriebenen Folterpraktiken und Massenhinrichtungen stattfänden. Die Bundesrepublik unterstütze Initiativen, die Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren.

Welche Dimension das Grauen hinter Gittern in Syrien hat, zeigen die Aufnahmen eines früheren Militärfotografen. „Caesar“ – so sein Deckname – hat zwischen 2011 und 2013 Bilder von Syrern gemacht, die in Assads Kerkern erst gequält und dann ermordet wurden. Über Mittelsmänner konnte das Material aus dem Land geschmuggelt werden. Zum Datensatz gehören 28 000 Fotos von Leichnamen, die bestialische Folterspuren aufweisen. Es sind 28 000 Belege für Assads Todesmaschinerie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false