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Ein unterernährtes Baby im Südsudan wird gewogen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen versorgt dort viele Kinder mit Spezialnahrung.

© Siegfried Modola/MSF/dpa

Kriege und Dürren: In diesen Ländern drohen Millionen Menschen zu verhungern

Im Südsudan sterben die Menschen bereits wegen Unterernährung, in Somalia, im Jemen und im Nordosten Nigerias stehen rund 20 Millionen Menschen kurz davor. Warum müssen die Menschen hungern? Und warum passiert so wenig, um ihnen zu helfen?

Südsudan

Knapp sechs Millionen der neun Millionen Südsudanesen hungern. Rund zwei Millionen sind intern vertrieben, eine weitere Million Menschen hat in den Nachbarländern Uganda, Kenia, Äthiopien und Sudan Zuflucht gesucht. Nach den aktuellen Zahlen des Nothilfe-Koordinators der Vereinten Nationen (Ocha) erreichen die Hilfsorganisationen aktuell lediglich 1,9 Millionen der Bedürftigen. Das liegt zum einen am Geldmangel. Um alle Hungernden zu versorgen, wären nach UN-Angaben 1,6 Milliarden Dollar nötig. Eingegangen sind bisher 428,2 Millionen Dollar. Doch das ist nicht das einzige Problem.

Die Arbeit im Südsudan ist gefährlich. Im Juli 2016 haben die meisten Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe, die Johanniter, Care oder auch Oxfam ihre ausländischen Helfer abgezogen, als die Kämpfe wieder losgingen. Die meisten unterstützen aber ihre südsudanesischen Kollegen vor Ort weiter. Aber die Risiken sind zu hoch, um zurückzukommen. Allein in dieser Woche kamen drei Mitarbeiter des Welternährungsprogramms der UN ums Leben.

Das größte Lagerhaus in der Hauptstadt Juba ist schon im Juli 2016 von Regierungssoldaten geplündert worden. Hilfskonvois werden regelmäßig überfallen – von Regierungssoldaten oder von oppositionellen Milizen. Helfer verschiedener Organisationen sind entführt, vergewaltigt und ermordet worden. Erst vor wenigen Tagen verzichtete Präsident Salva Kiir nach intensivem internationalem Druck darauf, für jeden ausländischen Helfer ein „Eintrittsgeld“ von 10.000 Dollar zu verlangen.

Im Februar haben die UN in zwei Provinzen eine Hungersnot ausgerufen. Das passiert dann, wenn bereits täglich Menschen verhungern und ein gewisser Prozentsatz der Kinder und Erwachsenen akut unterernährt ist. Viele Menschen verstecken sich in den Sümpfen aus Angst vor den bewaffneten Milizionären und sind für die Helfer, die noch da sind, nicht mehr zu erreichen.

Bürgerkrieg seit 2013

Im jüngsten Land der Welt – erst 2011 ist der Südsudan vom Sudan unabhängig geworden – herrscht schon seit 2013 eine politische Dauerkrise. Präsident Salva Kiir und sein ehemaliger Vize Riek Machar, inzwischen im Exil, leisten sich einen rücksichtslosen Machtkampf. Der Südsudan verfügt über Erdöl, dessen Förderung allerdings seit Beginn der Kämpfe immer wieder eingestellt werden musste. Der Staatshaushalt wird zu mehr als 90 Prozent aus den Öl-Einnahmen gedeckt, die bürgerkriegsbedingt ausbleiben. Seit der Ölpreis noch dazu dramatisch gefallen ist, können beide Seiten ihre bewaffneten Einheiten nicht mehr bezahlen. Das ist einer der Gründe für die anhaltenden Plünderungen.

Beide Seiten nehmen keinerlei Rücksicht auf die Bevölkerung. Wird eine Stadt erobert, müssen die Angehörigen der jeweils anderen Ethnie mit Massenmorden rechnen. Aktuell gab es in der Zentralprovinz Wau erneut ethnische Säuberungen mit Hunderten Toten. Die Verbrechen sind straflos. Das hat auch damit zu tun, dass sich die südsudanesische Politik-Elite bisher der Unterstützung durch die USA ziemlich sicher war.

Der Südsudan steht in allen Länderlisten weit hinten: Im Korruptionsindex von Transparency International auf dem vorletzten Platz, im Index menschlicher Entwicklung (HDI) auf Platz 181 von 188. Im Militarisierungsindex des Bonner Friedensforschungsinstituts BICC steht er dafür mit Platz 66 weit vorne – als Land mit unvernünftig hohen Militärausgaben.

Saida Mousseh Mohammed Hassan steht zwischen den Skeletten ihrer toten Ziegen nahe dem Ort Uusgure im Nordosten Somalias.
Saida Mousseh Mohammed Hassan steht zwischen den Skeletten ihrer toten Ziegen nahe dem Ort Uusgure im Nordosten Somalias.

© Anna Mayumi Kerber/dpa

Somalia

Rund drei Millionen Menschen in Somalia hungern. Weitere gut fünf Millionen Menschen kommen im Norden Kenias und im Süden Äthiopiens noch dazu. Die gesamte Region am Horn von Afrika leidet nicht nur unter dem Dauerkonflikt in Somalia, sondern auch unter einer schweren Dürre, die von dem Klimaphänomen El Niño ausgelöst worden ist. Die Dürre trifft diesmal nicht nur den Süden Somalias – wie 2011, als rund 260.000 Menschen in der Hungersnot gestorben sind. Diesmal ist auch der Norden mit Somaliland und Puntland betroffen.

Dass Saudi-Arabien Viehexporte aus Somalia verboten hat, trifft gerade die Viehhirten im Norden massiv. Etwa ein Drittel der Menschen lebt in Gebieten, die von der Terrororganisation Al Schabaab beherrscht werden. Sie sind für die Hilfsorganisationen überhaupt nicht erreichbar. Der UN-Appell, 883,5 Millionen Dollar für die Versorgung der Hungernden in Somalia zur Verfügung zu stellen, hat bisher 375 Millionen Dollar eingebracht. Zu wenig. Im übrigen bahnt sich die Katastrophe schon seit mehr als einem Jahr an. Passiert ist trotzdem wenig.

Neue Regierung, mehr Stabilität?

Im Februar ist Mohamed Abdullahi Mohamed, genannt Farmajo, zum Präsidenten Somalias gewählt worden. Die Wahl fand nach einem komplizierten, teils direkten und teils indirekten Verfahren statt. Die Wahl gilt als Aufbruchsignal. Somalia ist derzeit stabiler als die Jahrzehnte davor. Das neue Parlament besteht zur Hälfte aus Abgeordneten mit zwei Pässen, weil viele zurückgekommen sind, um beim Wiederaufbau zu helfen. Mithilfe der gemischten Friedenstruppe der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen ist es der Vorgängerregierung gelungen, auf rund zwei Drittel des Staatsgebietes wieder Zugriff zu bekommen. Nun haben auch die USA angekündigt, wieder Soldaten nach Somalia zu schicken.

Seit 2016 sind Zehntausende Somalis aus Kenia zurückgekehrt, weil die Regierung in Nairobi das größte Flüchtlingslager der Welt, Dadaab, schließen wollte. Das hat das oberste Gericht Kenias verboten, und durch die Dürre sind erneut Hunderttausende nach Dadaab geflüchtet. Doch dort ist die Lage kaum besser. Die Bevölkerung im gesamten Norden Kenias hungert wegen der Dürre selbst.

Weil Daten fehlen, taucht Somalia in kaum einem Index auf. Lediglich Transparency International führt das Land – auf dem letzten Platz.

So viel Not und so wenig Geld: Im Jemen hungern etwa sieben Millionen Menschen. Am schlimmsten trifft es die Kinder, die die geringsten Reserven haben.
So viel Not und so wenig Geld: Im Jemen hungern etwa sieben Millionen Menschen. Am schlimmsten trifft es die Kinder, die die geringsten Reserven haben.

© Naif Rahma/Reuters

Jemen

Jemen ist die derzeit größte humanitäre Krise der Welt. Rund sieben Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 14 Millionen haben nicht genug zu essen. Drei Millionen sind intern vertrieben. Eine Hungersnot ist kaum noch abzuwenden. Tausende Somalis und Äthiopier, die unter Lebensgefahr über den Golf von Aden nach Jemen geflüchtet waren, flüchten derzeit auf dem gleichen Weg wieder zurück. Auf die verzweifelten Appelle der Vereinten Nationen sind bisher lediglich 297,2 Millionen Dollar eingegangen, gebraucht würden 2,1 Milliarden Dollar.

Stellvertreterkrieg

Seit 2015 ist aus einem Bürgerkrieg zwischen den Unterstützern des international anerkannten Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi und den Huthi-Rebellen im Norden des Landes ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geworden. Die Huthi-Rebellen gehören der Schia-Minderheit im Islam an und werden vom Iran unterstützt. Saudi-Arabien kämpft an der Seite der sunnitischen Mehrheit um den Präsidenten. Die USA haben von Anfang an ihren Verbündeten Saudi-Arabien in der Auseinandersetzung unterstützt. Seit einigen Wochen lässt der amerikanische Präsident Donald Trump auch Angriffe auf Stützpunkte von Terroristen fliegen. Die USA begründen ihr Eingreifen damit, dass sie sowohl das Terrornetzwerk Al Qaida als auch den selbst ernannten „Islamischen Staat“ auf der arabischen Halbinsel bekämpfen wollten. Das folgt dem Versprechen Trumps, „den IS zu besiegen“.

Im Kampf um die Macht nehmen beide Seiten wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Schon seit Monaten haben die Menschen vor allem in den belagerten Städten im Süden des Landes nicht mehr genug zu essen. Die medizinische Versorgung ist katastrophal. Die wenigen Krankenhäuser, die es noch gibt, sind mit der Versorgung von Verletzten schon überfordert. Sie haben zudem keine Mittel, um dort auch unterernährte Kinder am Leben zu erhalten.

Im Index menschlicher Entwicklung liegt der Jemen auf Platz 168 von 188, beim Welthungerindex gehört er zu den akuten Krisenländern, und im Korruptionsindex liegt Jemen auf Platz 170 – von 176.

Ein Mädchen kocht in einem Flüchtlingslager in Maiduguri im Nordosten Nigerias. Die Flüchtlinge werden seit Monaten nur unzureichend versorgt.
Ein Mädchen kocht in einem Flüchtlingslager in Maiduguri im Nordosten Nigerias. Die Flüchtlinge werden seit Monaten nur unzureichend versorgt.

© Sam Olukoya/dpa

Nigeria

Im Nordosten Nigerias und in den Nachbarregionen rund um den Tschadsee in Niger, im Tschad und in Kamerun sind aktuell rund fünf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Der Grund für die Krise ist der Krieg der Terrormiliz Boko Haram gegen die Bevölkerung im Nordosten Nigerias. Millionen sind in die Nachbarländer geflüchtet oder wurden dort Opfer von Angriffen der Miliz. Um die Krise zu bewältigen, benötigen die Vereinten Nationen 1,1 Milliarden Dollar.

Tatsächlich gezahlt worden sind bisher aber nur 164,6 Millionen Dollar. Dabei fand auf Initiative Norwegens und Deutschlands erst vor wenigen Wochen eine Geberkonferenz in Oslo statt, wo rund 672 Millionen Dollar zugesagt worden sind. Die Sicherheitslage in der Region ist schwierig, weshalb nur wenige Hilfsorganisationen dort arbeiten. Die Ärzte ohne Grenzen gehören dazu und beklagen, dass die Gesundheitsversorgung der Menschen „große Lücken“ habe.

Folgen des Terrors

Als Boko Haram Anfang der 2000er Jahre in der nordöstlichen Studentenstadt Maiduguri gegründet worden ist, war das eine fromme, sunnitische Sekte. Erst als ihr Anführer Mohammed Yusuf im Polizeigewahrsam getötet wurde, als die Armee die Bewegung zu zerschlagen versuchte, wurde aus Boko Haram eine gefährliche Terrortruppe. Der Nigeria Security Tracker des amerikanischen Thinktanks CFR verzeichnet zwischen 2011 und 2017 knapp 27.000 Terroropfer. Sie starben entweder durch die Hand der Islamisten oder durch die Armee. Im Kampf der nigerianischen Armee gegen Boko Haram starben mindestens so viele Zivilisten wie durch Selbstmordangriffe oder Überfälle der Milizionäre.

Vor allem die Provinz Borno mit ihrer Hauptstadt Maiduguri leidet seit 2009 massiv unter dem Konflikt. In der Stadt allein leben mindestens eine Million Flüchtlinge, die vom Land in die Stadt gegangen sind, um nicht unter Boko-Haram-Herrschaft zu geraten, oder weil sie von den Terroristen vertrieben worden sind. Millionen sind auch in die Nachbarländer geflüchtet.

Gemeinsam mit den Armeen des Tschad, Kameruns und Nigers bekämpft die nigerianische Armee die Terroristen in der gesamten Region. Boko Haram hat seither in allen Nachbarländern Anschläge verübt. Die Bevölkerung um den seit den 1970er Jahren austrocknenden Tschadsee hat kaum noch Möglichkeiten, sich selbst zu ernähren. Nigeria ist inzwischen nicht einmal mehr Seeanrainer. Nur noch ein Zwanzigstel des einst riesigen Sees sind noch übrig geblieben. Hunderttausende Fischer haben ihre Existenzgrundlage verloren.

Der See ist zudem für Millionen Menschen die einzige Quelle für die Trinkwasserversorgung. Der Berliner Thinktank Adelphi, der klimabedingte Konfliktlagen untersucht, geht davon aus, dass die ökologische Katastrophe am Tschadsee und der Wassermangel einen Anteil am Aufstieg von Boko Haram gehabt haben. In den Indizes liegt der Ölförderstaat Nigeria überwiegend auf wenig schmeichelhaften Plätzen: im Korruptionsindex auf Platz 136, bei der menschlichen Entwicklung auf Platz 152 und bei der Militarisierung im Mittelfeld.

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