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Syrische Flüchtlinge warten unweit von Azaz. Weil die syrischen Kurden dieses Gebiet unter ihre Kontrolle gebracht haben, bombardiert die Türkei nun ihre Stellungen.

© Reuters

Krieg in Syrien: Türkei greift militärisch in Syrien ein

Die Türkei will die syrischen Kurden stoppen und geht im Norden des Nachbarlandes in die Offensive. Die USA sind verärgert.

„Firtina“ – Sturm – heißt die türkische Panzerhaubitze, deren Einsatz an der syrischen Grenze eine neue Wendung in dem fast fünf Jahre alten Konflikt markiert. Die Haubitzen nahmen am Samstag und Sonntag syrische Regierungstruppen und eine kurdische Miliz im Norden Syriens unter Beschuss. Regierungsnahe Medien in der Türkei melden, fast 40 Kurdenkämpfer seien dabei getötet worden.

Die Bedeutung der Bombardements ist potenziell sehr weitreichend – zum ersten Mal setzt Ankara das eigene Militär ein, um direkt in den Krieg jenseits der Grenze zu intervenieren: Die Türkei will einen Vormarsch der syrischen Kurden nahe der Grenze stoppen und einen Versorgungskorridor für protürkische Rebellen offenhalten. Da die „Firtina“-Haubitze eine Reichweite von 40 Kilometer hat, kann die Türkei auch Gebiete tief in Syrien treffen. Gleichzeitig denkt Ankara gemeinsam mit Saudi-Arabien über eine Entsendung von Bodentruppen nach.

Offiziell erklärt Ankara den Beschuss mit der Bedrohung des türkischen Staatsgebietes durch die syrischen Regierungstruppen und die Kurdenmiliz YPG. Diese hatte in den vergangenen Tagen die Offensive der syrischen Armee nördlich der Großstadt Aleppo für eigene Geländegewinne genutzt. In der Nähe der Stadt Azaz, die nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt, eroberten die Kurden einen Luftwaffenstützpunkt, der bis dahin von der zu Al Kaida gehörenden Nusra-Front und der von der Türkei unterstützten Miliz Ahrar-as Sam gehalten wurde.

Die YPG ist der bewaffnete Arme der syrischen Kurdenpartei PYD. Beide Gruppen werden von Ankara als syrische Ableger der Rebellenorganisation PKK und damit als Terrororganisationen gesehen. Von den USA werden die syrischen Kurden dagegen als Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) unterstützt. Entsprechend alarmiert reagierte Washington auf die Ereignisse in Nordsyrien. Das US-Außenministerium warnte die YPG vor einem weiteren Vormarsch und rief die Türkei auf, das Bombardement zu stoppen. Dennoch ging der Beschuss am Sonntag weiter.

Ankara strebt seit Jahren eine Schutzzone im Norden Syriens an 

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu verlangte, die YPG solle die frisch eroberten Gebiete wieder aufgeben und sich zurückziehen. Davutoglu betonte, die Türkei wolle mit ihrem Beschuss die nahe der Grenze ausharrenden Flüchtlinge sowie gemäßigte Rebellengruppen in Syrien schützen. Damit erklärte der Premier das Gebiet um Azaz indirekt zu einer türkischen „Schutzzone“ – ein Projekt, das Ankara seit Jahren anstrebt.

Türkischen Artilleriebeschuss nach Syrien hinein gab es in den vergangenen Jahren schon mehrmals. Neu ist an der jetzigen Situation, dass das NATO-Land den Norden Syriens ganz offen als Teil seines Einflussgebietes definiert: Wenn die YPG auf syrischem Boden in Azaz vorrückt, wird das in Ankara als Anlass für eine militärische Intervention gewertet.

Damit wächst das Risiko einer immer stärkeren militärischen Verwicklung der Türkei in den Syrien-Konflikt und einer direkten Konfrontation mit Russland. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sprach von einer möglichen Bodenoffensive der Türkei und Saudi-Arabien gegen den IS – auch dies dürfte von den Regierungen in Damaskus und Moskau als aggressiver Akt gesehen werden.

Davutoglu und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sind offenbar dennoch entschlossen, in Syrien stärker mitzumischen. Dabei geht es auch darum, der Türkei ein Mitspracherecht bei der Entscheidung über eine Zukunft Syriens zu sichern. Die Türkei werde in Syrien nicht den Fehler aus dem Irak-Krieg von 2003 wiederholen, sagte Erdogan.

Damals hatte Ankara den USA den Angriff auf Saddam Hussein über türkisches Staatsgebiet nicht erlaubt und sich aus dem Krieg im Nachbarland herausgehalten. Als Folge hatte die Türkei nach dem Krieg kaum Möglichkeiten zur Mitsprache. Das will Erdogan im Fall Syrien vermeiden.

In der Türkei selbst ist das Vorgehen allerdings umstritten. So ist die Armee laut Medienberichten gegen eine Truppenentsendung nach Syrien ohne UN-Mandat. Die Frage ist nun, ob sich die Generäle offen dem Willen Erdogans widersetzen werden.

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