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Medizinisches Personal versorgt in einem Krankenhaus einen Patienten.

© dpa

Krankenhausreport: Kliniken machen Kasse mit alten Patienten

Ältere Menschen werden einer Studie zufolge in deutschen Kliniken nicht optimal versorgt. Bei der Aufenthaltsdauer gehe es den Betreibern oft stärker um Vergütung als tatsächlichen Bedarf.

In Deutschlands Kliniken liegen immer mehr alte Menschen mit mehreren Krankheiten gleichzeitig – und werden dort nicht optimal versorgt. Zu diesem Ergebnis kommt der Barmer-Krankenhausreport, den die Krankenkasse am Mittwoch in Berlin vorstellte. Die Dauer des Klinikaufenthalts älterer Patienten hänge eher von Vergütungsanreizen ab als von medizinischen Kriterien oder dem individuellem Bedarf, heißt es darin.

Immer mehr multimorbide Patienten

Den Autoren zufolge stieg die Zahl der multimorbiden Klinikpatienten über 70 Jahren zwischen 2006 und 2015 um 80 Prozent – von 1,1 auf zwei Millionen. Und das sei voraussichtlich „erst der Anfang“, sagte Barmer-Vorstandschef Christoph Straub. Schließlich gingen Statistiker davon aus, dass sich die Anzahl der über 70-Jährigen bis 2050 um weitere 46 Prozent erhöhe. Altersmedizin werde „immer mehr Raum einnehmen“, so Straub.

Doch gerade in diesem Bereich gebe es Fehlanreize, die eine gute Klinikbehandlung gefährdeten, heißt es in der Studie. So könnten die Häuser eine höhere Pauschale abrechnen, wenn sie ältere Patienten einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung (GFKB) unterziehen und sie dafür mindestens zwei Wochen lang auf Station behalten. Ein ökonomischer Vorteil, den sich offensichtlich immer mehr Krankenhäuser sichern: Im Jahr 2006 wurden 58 Prozent dieser Patienten nach 14 Tagen entlassen, 2015 waren es bereits 75 Prozent. Aus rein medizinischer Sicht dürfe man „zumindest ein großes Fragezeichen hinter diese Praxis setzen“, sagte Straub.

Komplexbehandlung im Klinikum ist teurer als klassische Reha, aber nicht unbedingt besser

Wie aus dem Report weiter hervorgeht, ist die Zahl solcher Komplexbehandlungen in zehn Jahren auf fast das Dreifache gestiegen – von knapp 80.000 auf mehr als 220.000 Patienten. Dies sei „nicht rein durch den demografischen Wandel erklärbar“, konstatierte Studienautor Boris Augurzky vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, es habe wohl auch ökonomische Gründe. Schließlich sei eine Komplexbehandlung im Krankenhaus deutlich teurer als eine klassische Rehabilitation. Bei einem Oberschenkelhalsbruch etwa, dem häufigsten Anlass für diese Behandlung, betrage die Differenz bei 14 Behandlungstagen 950 Euro.

Dummerweise ist die teurere Behandlungsform nicht unbedingt die bessere. Nach einer geriatrischen Komplexbehandlung im Klinikum, mit der sie eigentlich wieder alltagsfit gemacht werden sollten, landeten 47 Prozent der Oberschenkelhalsbruch-Patienten in der Pflegebedürftigkeit, heißt es in der Studie. Nach einer klassischen Reha seien es, bei gleichem Krankheitsbild, nur 40 Prozent. Und wenn es schon eine solche Komplexbehandlung sein soll, dann möglichst in einer großen Klinik mit mindestens fünf Fachabteilungen. Dadurch lässt sich das Risiko für Multimorbide, pflegebedürftig zu werden, um sechs Prozent verringern.

Große regionale Unterschiede bei der Versorgungsform

Medizinisch nicht nachvollziehbar sind aus Expertensicht auch die enormen regionalen Unterschiede bei den geriatrischen Versorgungsformen. Laut Report beträgt der Anteil der Geriatriepatienten mit stationärer Komplexbehandlung in Bayern nur 4,3 Prozent. In Hamburg dagegen liegt er bei 24,3 und in Berlin bei 20,2 Prozent. Offenbar spielt dabei auch die Zahl der verfügbaren Reha-Kliniken eine Rolle.

Eigentlich soll die GFKB vor allem die Lücke zwischen Klinikaufenthalt und Reha schließen. Nicht jeder alte Patient mit Vorerkrankungen ist nach einer Operation schließlich gleich zum Wechsel in eine Rehabilitationseinrichtung imstande, sondern bedarf dafür oft noch im Krankenhaus intensiver Maßnahmen etwa zum Muskel- und Knochenaufbau. "Die Dauer der Behandlung sollte sich stärker am tatsächlichen Bedarf der Patienten orientieren", sagte Straub. Starre Vergütungsvorgaben seien "nicht mehr zeitgemäß".

Patientenschützer: Kliniken sind auf wachsende Zahl Älterer schlecht vorbereitet

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wies die Vorwürfe der Studienautoren zurück. "Wer über regionale Unterschiede und die damit verbundene Unterstellung finanzieller Vorteilsnahme seitens der Kliniken spekuliert, bewegt sich argumentativ auf sehr dünnem Eis", sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum. "Die Situation der Menschen in ländlichen Regionen wie dem Bayerischen Wald ist nun einmal eine andere als in einer Großstadt wie Hamburg sowohl was das Angebot an Reha-Angeboten als auch was die Einbindung in familiäre Strukturen betrifft." Zudem sei die Ausweisung geriatrischer Fachabteilungen in den Ländern unterschiedlich.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, dass die Kliniken auf die wachsende Zahl älterer Menschen bisher kaum vorbereitet seien. „Bund und Länder haben hierauf in der Krankenhausgesetzgebung nicht reagiert“, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Aufenthalte alter Menschen im Krankenhaus glichen oft einer unfreiwilligen Achterbahnfahrt. „Betroffene sind gestresst, werden eingeengt und fühlen sich hilflos ausgeliefert. Das macht Angst. Deshalb geht es ihnen nach der Entlassung häufig schlechter als vorher.“

Linke: Es braucht sich keiner zu wundern

Wer wolle, dass Patienten die benötigte Behandlung bekommen, dürfe bei der Krankenhausvergütung "nicht alle über einen Kamm scheren", mahnte der Gesundheitsexperte der Linkspartei, Harald Weinberg. Wochenpauschalen bei der Komplexbehandlung älterer Menschen führten nun mal zu verkürzten oder zu langen Behandlungen. Die Vergütung müsse so individuell sein wie der Bedarf. „Angesichts des zunehmenden Konkurrenzdrucks zwischen Kliniken muss sich niemand wundern, wenn falsche Anreize durch pauschalierte Vergütungen auch zum Nachteil der Patientinnen und Patienten ausgenutzt werden."

Für rehabilitative Behandlung seien Strukturen und Kompetenzen erforderlich, die in den Krankenhäusern - auch wegen des Mangels an Pflegekräften - nicht ausreichend vorgehalten würden, erklärte der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe. Die Kliniken sollten sich vorrangig auf ihr Kerngeschäft, eine gute Akutversorgung, konzentrieren.

Baden-Württemberger sind am seltensten im Krankenhaus, Thüringer am häufigsten

Wie aus dem Krankenhausreport weiter hervorgeht, verbringen Patienten immer weniger Zeit im Krankenhaus. Die Verweildauer sank seit dem Jahr 2006 von durchschnittlich 8,51 auf 7,49 Behandlungstage. Das ist ein Minus von zwölf Prozent. Anders ist der Trend bei der Behandlung psychischer Krankheiten. Dort stieg die Verweildauer im selben Zeitraum um 6,5 Prozent - von 22,15 auf 23,59 Tage.

Bei der Nutzung von Kliniken gibt es allerdings große Unterschiede. Während sich im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg nur 177 von 1000 Personen in ein Krankenhaus begaben, waren es in Thüringen 247. Gründe dafür liegen aus Expertensicht in dem unterschiedlichen Angebot an ambulanter Versorgung und der Altersstruktur.

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