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Zu viel Kohle im Strommix. Der Kohlendioxidausstoß steigt seit zwei Jahren wieder. Kohlekraftwerke sind wegen niedriger Kohlepreise sehr wettbewerbsfähig.

© dpa

Klima und Kohle: Einstieg in den Kohleausstieg - oder doch nicht?

Wie Deutschland sein Klimaschutzziel bis 2020 noch erreichen kann, bleibt weiter umstritten. Wirtschaftsminister Gabriel will keine Kohlekraftwerke abschalten. Aber Umweltverbände und Grüne wollen genau das.

Die Debatte über einen mittelfristigen Kohleausstieg Deutschlands ist eine Woche vor der entscheidenden Kabinettssitzung über den Klimaaktionsplan der Bundesregierung in vollem Gang. Am Montag traf sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit den vier großen Energiekonzernen RWE, Vattenfall, Eon, EnBW sowie den beiden Stadtwerke-Konsortien Steag und Thüga, um über den Beitrag der Stromwirtschaft zum Klimaschutz, letztlich also die Abschaltung von Kohlekraftwerken, zu verhandeln. Allerdings sagte Gabriel vor dem Gespräch: „Ich werde keinen Vorschlag machen zur Abschaltung von Kohlekraftwerken.“

Stromerzeuger sollen mit flexiblen Lösungen den Kohlendioxidausstoß mindern

Am Wochenende war aus dem Wirtschaftsministerium ein Konzept bekannt geworden, das den Beitrag der Stromerzeugung zum Klimaschutzpaket mit 22 bis 55 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis 2020 beziffert. Ähnlich wie beim zwischen der Energieindustrie und der rot-grünen Regierung zur Jahrtausendwende erzielten Vertrag zum Atomausstieg sieht das Konzeptpapier eine für die Industrie flexible Lösung vor. Demnach sollen alle Stromerzeuger gemeinsam mindestens 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid weniger ausstoßen, das wäre auf die Jahre 2016 bis 2020 gerechnet ein jährlicher Minderungsbeitrag von 4,4 Millionen Tonnen. Den Unternehmen bliebe freigestellt, ob sie diese Minderungsmenge „gleichmäßig auf ihre Kraftwerke verteilen, auf einzelne Anlagen konzentrieren und zwischen Anlagen übertragen“, heißt es in dem Papier. Damit werde ihnen ein „Maximum an Flexibilität gewährt“ und der „Effekt auf die Preise am Großhandelsmarkt minimiert“.

Es ist der zweite Anlauf des Wirtschaftsministeriums, eine Lösung für die deutsche Klimaschutzlücke zu finden. Mit den bisher beschlossenen Gesetzen und Verordnungen kann Deutschland sein 2007 von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) formuliertes Klimaschutzziel nicht erreichen. Bis 2020 will Deutschland seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Die Klimaschutzlücke beträgt je nach Kalkulation fünf bis acht Prozentpunkte oder 62 bis 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat ein Klimaaktionsprogramm vorgelegt, das diese Lücke schließen soll. Allerdings war diese Zahl in Hendricks’ Entwurf offengeblieben. Gabriel hatte in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt, Deutschland könne nicht gleichzeitig aus der Atomenergie und der Kohleverstromung aussteigen.

Industrie warnt vor Abschaltung von Kohlekraftwerken

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hat am Montag ein Gutachten veröffentlicht, das seine Warnungen vor einer „vorzeitigen Abschaltung von Kohlekraftwerken“ stützen soll. Schon vor Monaten hatte das Bundeswirtschaftministerium die Abschaltung von etwa zehn Gigawatt Kohlekraftwerksleistung ins Gespräch gebracht. In der Energiewirtschaft ist dieser Vorschlag heftig kritisiert worden. Die Geschäftsführerin des Branchenverbands BDEW, Hildegard Müller, warnte mehrfach davor, in alte Argumentationsmuster aus der Zeit vor dem Atomausstieg zu verfallen und nun eine Kohleausstiegsdebatte zu führen. Dagegen verlangen vor allem die Umweltverbände und die Grünen genau das. Denn das langfristige Klimaschutzziel Deutschlands, bis 2050 einen Anteil erneuerbarer Energien von mindestens 80 Prozent am Gesamtenergieverbrauch zu erreichen, sei doch nichts anderes als ein Ausstieg aus der Kohleverstromung. Grünen- Chef Cem Özdemir kritisierte am Montag die Klimapolitik der großen Koalition als nicht zeitgemäß. „Es kann nicht sein, dass wir Kohlekraftwerke aus der Zeit von Sepp Herberger noch ins 21. Jahrhundert retten. Damit werden unsere Klimaschutzziele sicher nicht erreicht“, sagte er.

Der BDI wehrt sich mit seinem Gutachten allerdings gegen jeden Eingriff in den Kraftwerkspark. BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber argumentiert: „Kraftwerksstilllegungen schädigen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ganz unmittelbar, ohne Nutzen für das Klima.“ Der BDI verweist auf den europäischen Emissionshandel, der den gesamteuropäischen Treibhausgasausstoß bereits begrenze. Allerdings leidet der Emissionshandel daran, dass derzeit mehr als zwei Milliarden CO2-Zertifikate zu viel auf dem Markt sind. Deshalb hat er auch aktuell keine praktischen Auswirkungen auf die Unternehmen.

Das vom BDI beim Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) und dem Institute r2b Energy Consulting in Auftrag gegebene Gutachten warnt jedenfalls vor höheren Großhandelspreisen für Strom, die insbesondere der energieintensiven Industrie schaden würden. Der BDI warnt vor um 15,5 Prozent höheren Strombezugskosten im Jahr 2020, würden entsprechende Kohlekapazitäten stillgelegt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weist derweil darauf hin, dass höhere Großhandelspreise für Strom die Wettbewerbsfähigkeit von klimafreundlicheren Gaskraftwerken erhöhen und zugleich die Ökostromumlage sinken würde. Das würde wiederum die Industrie entlasten. (mit hmt)

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