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Kleiner Parteitag der SPD: 60 Prozent Rückendeckung für Sigmar Gabriel

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel setzt auf dem kleinen Parteitag die Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung durch - und kann dennoch nicht zufrieden sein.

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Mehr als 20 Minuten dauert die Rede von Sigmar Gabriel zu Beginn des SPD-Konvents am Samstag im Berliner Willy-Brandt-Haus. Zwanzig Minuten, in denen ihm das V-Wort kein einziges Mal über die Lippen kommt. Der SPD-Chef spricht über die großen Themen Europas: den Umgang mit dem Flüchtlingselend, den drohenden Grexit, die Krise der EU. Zum großen Thema der SPD an diesem Tag, dem hoch umstrittenen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, sagt Gabriel in seiner Eröffnungsansprache nichts. Wozu auch noch.

Den rund 200 Delegierten und 35 Vorstandmitgliedern, die sich am Samstagmorgen im Hans-Jochen-Vogel-Saal im fünften Stock der Parteizentrale versammelt haben, ist auch so klar, dass sie heute nicht nur über die befristete Speicherung von Telekommunikationsdaten entscheiden müssen. Zur Abstimmung steht auch Gabriel selbst – als Parteivorsitzender und mutmaßlicher SPD-Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl 2017.

Gabriel hat den Streit um die Vorratsdatenspeicherung zur Machtfrage erhoben

Mit indirekten Rücktrittsdrohungen und der Warnung vor dem Verlust der Regierungsfähigkeit hat der SPD-Chef den Streit mit dem linken Parteiflügel um die Vorratsdatenspeicherung zur Machtfrage erhoben. Alle wissen: Wer jetzt noch gegen die Vorratsdatenspeicherung stimmt, stimmt auch gegen Gabriel. Basta-Kanzler Gerhard Schröder lässt schön grüßen.

Weil sich in der SPD aber sehr viele nur sehr ungern an Schröders Friss-oder-Stirb- Führungsstil erinnern, ist am Samstag im Willy-Brandt-Haus keine Rede mehr von personellen oder machtpolitischen Konsequenzen. Es geht jetzt wenigstens vordergründig um die Sache selbst. Als Fürsprecher des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung treten neben anderen Fraktionschef Thomas Oppermann und Justizminister Heiko Maas auf. Oppermann mahnt die Delegierten, auch die SPD-Wähler wollten einen Staat, der sie schütze.

Heiko Maas (l.) war Sigmar Gabriels wichtigster Mann beim kleinen Parteitag der SPD. Der Bundesjustizminister erklärte den Delegierten seinen Sinneswandel beim Thema Vorratsdatenspeicherung.
Heiko Maas (l.) war Sigmar Gabriels wichtigster Mann beim kleinen Parteitag der SPD. Der Bundesjustizminister erklärte den Delegierten seinen Sinneswandel beim Thema Vorratsdatenspeicherung.

© dpa

Dann ist Maas an der Reihe. Der Justizminister ist Gabriels wichtigster Mann an diesem Samstag, was nicht der Ironie entbehrt. Noch vor Monaten war der Justizminister selbst ein erklärter Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Das neue Gesetz hat er erst auf Drängen von Gabriel mit der Union ausgehandelt.

Jetzt erklärt er den Delegierten den eigenen Bewusstseinswandel. Er habe sich selbst gefragt, sagt Maas, ob er seine skeptische Position auch dann aufrecht erhalten könne, wenn Deutschland von einem Terroranschlag heimgesucht werde. „Ich bitte euch darum, dass sich jeder hier und heute auch diese Frage stellt.“ Als Justizminister sei er nicht nur für die Freiheit, sondern auch für die Sicherheit zuständig; sein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sei ein guter Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit.

Maas erhält viel Applaus für seine Rede. Aber die erbittertsten Gegner kann er nicht umstimmen. Nicht den netzpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Klingbeil, nicht den Berliner SPD-Chef Jan Stöß, auch nicht die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann und die Berliner Abgeordnete Ulrike Sommer. Sie alle sehen in Maas’ Gesetz einen nicht zu vertretenden Eingriff in die Freiheit der Bürger – und sie sind nicht allein an diesem Samstag im Hans-Jochen-Vogel-Saal.

Der Beifall für die Gegner der Vorratsdatenspeicherung ist stark

So stark ist der Beifall für die Gegner während der ersten anderthalb Stunden der Debatte, dass die Parteiführung auf ein Kompromissangebot des SPD-Linken Ralf Stegner einschwenkt und eine Evaluierung des Gesetzes 2018 anbietet. Dennoch wird die Abstimmung für Gabriel zur Zitterpartie. Zweimal muss ausgezählt werden, bis kurz vor 16 Uhr das Ergebnis feststeht: Nur knapp 60 Prozent der Stimmberechtigten sind Gabriel gefolgt. Der große Rest hätte eine schwere Niederlage des SPD-Chefs in Kauf genommen, um die Vorratsdatenspeicherung zu verhindern.

Nach der Kampfabstimmung steht Gabriel im Atrium des Willy-Brandt–Hauses. Er lobt das Ergebnis als „klare Mehrheit für die Politik der Koalition und von Heiko Maas“. Von sich selbst spricht er nicht. Gabriel ist lange genug in der Politik, um zu wissen, dass 60 Prozent Rückendeckung nicht besonders viel ist. Vor allem dann nicht, wenn man als Parteichef die Machtfrage gestellt hat.

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