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Immer leerer. Der Mitgliederschwund in den beiden großen Kirchen hält an.

© Federico Gambarini/dpa

Kirchenaustritte in Deutschland: Wieder eine halbe Million weniger Christen

Die Zahl der Kirchenaustritte hat sich verringert. Doch auch im vergangenen Jahr kehrten hierzulande Hunderttausende ihrer Religionsgemeinschaft den Rücken.

Die beiden großen Kirchen in Deutschland verlieren weiter Mitglieder, die Zahl der Austritte hat sich im vergangenen Jahr aber deutlich verringert. Dies ist den Zahlen zu entnehmen, die am Freitag von der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bekanntgegeben wurden. Demnach kehrten 2016 etwas mehr als 162.000 Katholiken ihrer Kirche den Rücken – das waren rund 20 000 weniger als im Jahr zuvor. Die EKD meldete 190.000 Austritte, was ebenfalls einen Rückgang von etwa 20.000 gegenüber dem Vorjahr bedeutet.

Mitgliederschwund trifft vor allem die Evangelische Kirche

Insgesamt haben folglich binnen eines Jahres mehr als 352.000 Menschen die Kirchen bewusst verlassen. Eingetreten sind dagegen nur rund 31.000. Im Gesamtsaldo, also auch durch Sterbefälle, verlor die evangelische Kirche mit rund 350.000 Gläubigen fast doppelt so viele Mitglieder wie die katholische. Diese verbuchte ein Minus von rund 180.000.

Zur katholischen Kirche und ihren 27 Diözesen bekennen sich damit hierzulande noch knapp 23,6 Millionen Menschen, das sind 28,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die evangelischen Kirchen kommen auf gut 21,9 Millionen, was einem Bevölkerungsanteil von 26,5 Prozent entspricht. Somit gehören derzeit nur noch gut 55 Prozent der Deutschen einer der beiden großen Kirchen an. Die Orthodoxen und kleinere Gemeinschaften eingerechnet, beträgt der Christenanteil an der Bevölkerung momentan 58,3 Prozent.

Auch der demografische Wandel macht sich bemerkbar

„Wir freuen uns, dass fast ein Drittel der Bevölkerung unseres Landes zur katholischen Kirche gehört“, sagte der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer. Es sei aber nötig, die Beweggründe für Kirchenaustritte zu verstehen und das Handeln der Kirche „kritisch zu überprüfen, um es da – wo notwendig – auch neu auszurichten“. Ein EKD-Sprecher betonte, dass die Menschen über die Zugehörigkeit zu christlichen Kirchen inzwischen „in völliger Freiheit“ entschieden. Und im vergangenen Jahr hätten immerhin „mehr als 99 Prozent der Mitglieder ihrer evangelischen Kirche die Treue gehalten“.

Tatsächlich ist der Mitgliederschwund der evangelischen Kirche vor allem auf den demografischen Wandel zurückzuführen. Sprich: Die Lücke durch verstorbene Kirchenmitglieder wurde nicht wieder aufgefüllt. Die Zahl der Austritte dagegen konnte in der EKD erstmals seit drei Jahren wieder durch Neueintritte übertroffen werden.

180.000 Kinder und Erwachsene ließen sich der Statistik zufolge im Jahr 2016 evangelisch taufen. 15.000 traten wieder ein. Und 10.000 bereits Getaufte kamen von anderen Kirchen. Bei den Katholiken war die Zahl der Kircheneintritte deutlich niedriger. 2016 lag sie bei 2574, im Jahr davor waren es 2685. 6461 Menschen ließen sich wieder aufnehmen. Und die Zahl der Taufen stieg mit 171.531 um 2,5 Prozent.

Im Erzbistum Berlin stieg die Zahl der Katholiken

Gegen den Trend verlief die Entwicklung im Erzbistum Berlin. Hier stieg die Zahl der Katholiken um rund 0,6 Prozent auf 412.250. Die Zahl der evangelischen Christen in der Region dagegen rutschte erstmals unter eine Million. Ende 2016 wurden in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz noch 980.670 Protestanten gezählt. Das entspricht einem Rückgang um fast 21.000 Mitglieder, zeitgleich zu einem Bevölkerungsanstieg um fast 80.000.

Aus welchen Gründen Menschen ihre Kirche verlassen, haben die Professoren Ulrich Riegel von der Universität Siegen und Tobias Faix von der CVJM-Hochschule Kassel untersucht. Fast keiner trete aus der Kirche aus, weil sie ihm egal geworden sei, lautet ihr Fazit. Oft handle es sich um das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses. Der am häufigsten genannte Grund sei Entfremdung oder fehlende Bindung zur Kirche gewesen. Erst danach folgten Gründe wie Kirchensteuer, Kritik an rückständigen Positionen, Glaubenszweifel, persönliche Verletzungen und kirchliche Skandale.

Viele Eltern erziehen ihre Kinder nicht mehr religiös

Auch der Religionssoziologe Detlef Pollack aus Münster sieht als Ursache des Mitgliederschwundes eher tieferwurzelnde Probleme als Ärger über Kirchensteuer oder Affären. „Der entscheidende Punkt ist, dass Eltern ihre Kinder heute viel weniger religiös erziehen und taufen lassen“, sagte er .

Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ sprach von einem schleichenden Auszug aus der Kirche. Es gelte jetzt, die Werte für christliches Leben in zeitgemäßem Sinne weiterzugeben und die vielen Pfarreizusammenlegungen und -schließungen zu stoppen.

Die kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Kerstin Griese, sprach von einem gesellschaftlichen Wandel. Zum einen werde Deutschland religiös vielfältiger, zum andern steige der Anteil derer, die gar keiner Religionsgemeinschaft mehr angehörten, sagte sie dem Tagesspiegel. Die Kirchen müssten sich damit „offensiv auseinandersetzen“.

Steuereinnahmen der Kirchen dennoch auf neuem Rekord

Dass die Austritte bei den Kirchenoberen größeres Umdenken befördern, ist aber eher unwahrscheinlich. Schließlich sprudeln die Kirchensteuern, dank der guten Konjunktur kletterten sie im vergangenen Jahr sogar auf neue Höchstwerte. Die katholische Kirche verbuchte die Rekordsumme von 6,15 Milliarden. Und die evangelische kam mit 5,45 Milliarden ebenfalls auf nie da gewesene Einnahmen. (mit KNA/epd)

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