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Jürgen Trittin, hier im Gespräch mit dem Tagesspiegel, mischt für die Grünen bei den Sondierungen mit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Jürgen Trittin und die Grünen: "Wir müssen am wenigsten Angst vor Neuwahlen haben"

Die bisherigen Jamaika-Sondierungen nennt Jürgen Trittin aus Sicht der Grünen "ernüchternd". Im Interview spricht er über Zugeständnisse, die Klimaziele seiner Partei und seine persönliche Rolle.

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Herr Trittin, seit den 80er Jahren machen Sie Politik für die Grünen. Wenn ihnen damals einer gesagt hätte, Sie würden einmal mit Union und FDP über eine Regierung verhandeln, hätten Sie ihn dann wegen übler Nachrede verklagt?

Nein, natürlich nicht. Aber ich hätte es für extrem unwahrscheinlich gehalten, dass es mal soweit kommt. Doch ungewöhnliche Zeiten und Wählervoten erzwingen nun mal, dass man miteinander redet.

Braucht eine Jamaika-Koalition ein gemeinsames Projekt?

Vor romantischen Überhöhungen kann ich nur warnen. Da kommen vier Parteien mit sehr unterschiedlichen Traditionen zusammen, die diese Koalition nicht gewollt haben. Wir müssen uns für vier Jahre auf eine halbwegs gemeinsame Politik verständigen. Ich sehe da kein überwölbendes Projekt und auch keine tolle neue Erzählung.

Die Grünen haben Anfang der Woche Zugeständnisse gemacht beim Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, bestehen nicht mehr auf ein festes Enddatum. Haben die anderen Parteien das honoriert?

Wenn man verhandelt, müssen sich alle bewegen. Wir haben das konditioniert gemacht, Union und FDP haben sich bis heute aber kein bisschen bewegt. Wir wollen einen glaubhaften Einstieg in eine emissionsfreie Mobilität hinbekommen. Das Enddatum für fossile Verbrennungsmotoren wird sowieso in China gesetzt. Es wäre auch industriepolitisch dumm, am Verbrennungsmotor festzuhalten. Wenn die Welt auf E-Mobilität umsteigt, wird Deutschland den Diesel nicht retten – sondern nur keine Autos mehr bauen.

Die Klimapolitik ist einer der härtesten Brocken in den Verhandlungen. Wo liegt die Grünen-Schmerzgrenze?

Das ist nur einer von vielen harten Brocken. Wir liegen auch noch meilenweit auseinander bei anderen Themen. Zum Beispiel bei der Modernisierung der Landwirtschaft und dem Verbot von Glyphosat. Oder nehmen wir die Frage Rüstungsexporte. Es kann nicht sein, dass wir weiter Schiffe nach Saudi-Arabien exportieren und diese dann im Krieg gegen den Jemen eine der größten humanitären Katastrophe mit anrichten, die die Welt je gesehen hat. Aber bei FDP und Union gibt es auf unsere Forderungen nach einem Rüstungsexportgesetz nur Kopfschütteln. Ich kann nur hoffen, dass das nicht das letzte Wort bleibt.

Beim Streitthema CO2-Einsparungen sagt FDP-Chef Christian Lindner, man könne die auch anderswo auf der Welt erbringen. Was stört Sie daran?

Unwissen und Unverantwortlichkeit liegen da nah beieinander. Die FDP bekennt sich formal zum Pariser Klimaabkommen, aber Herr Lindner hat es nicht verstanden. Es ist doch keine Wünsch-Dir- Was-Idee der Grünen, dass Deutschland seine Klimaziele einhält. Wir haben uns international dazu verpflichtet. Es ist auch keine vorauseilende ökologische Wohltat, wenn Deutschland mehr für den Klimaschutz tut als andere Staaten in Europa. Wir sind keine Vorreiter, sondern Verursacher. Die durchschnittlichen Pro- Kopf-Emissionen in der EU liegen bei sechs Tonnen pro Bürger im Jahr. Der deutsche Ausstoß liegt bei neun Tonnen. Wir müssen also mehr tun, als unsere Nachbarn. Das geht nicht ohne Reduktion der Kohleverstromung.

Ein zweites zentrales Thema für Ihre Partei ist die Flüchtlingspolitik. Kann ein Grünen-Parteitag einem Sondierungsergebnis zustimmen, in dem der Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge mit eingeschränktem Schutz fehlt?

Der Familiennachzug ist einer der zehn Punkte, die wir durchsetzen wollen. Die Einschränkung des Familiennachzugs läuft im Frühjahr 2018 aus. Wer dies verlängern will, braucht im Bundestag eine Mehrheit. Kommt die nicht zustande, ist es vorbei mit der restriktiven Flüchtlingspolitik in diesem Punkt. Deshalb bin ich bei diesem Streitpunkt sehr gelassen.

Würde es die deutschen Behörden nicht überlasten, wenn Zehntausende Angehörige auf einmal nach Deutschland kommen würden?

Nein. Denn erstens geht es um weit weniger Menschen, als von der Union immer behauptet wird. Zudem lässt sich die Zusammenführung von Familien sehr gut steuern, um mal ein Argument der Union aufzugreifen. Da müssen nicht alle auf einmal kommen.

Der CSU ist die Forderung nach einer generellen Begrenzung des Zuzugs nach Deutschland wichtig. Ist das mit dem Grünen zu machen?

Das ist doch ein Ablenkungsmanöver. Diese Forderung ist schlicht und einfach mit unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringen. Das weiß auch die CSU. Wir könnten den Migrationsdruck auf Deutschland erheblich mindern, wenn wir aktiv Flüchtlinge im Rahmen von sogenannten Resettlementprogrammen aufnehmen würden, also eine definierte Zahl direkt aus den Flüchtlingslagern nach Deutschland holen. Wer die Aussicht hat, in womöglich zwei Jahren nach Deutschland zu kommen, muss sein Leben nicht mehr in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer riskieren, weil er eine Perspektive hat.

Die finanziellen Spielräume der nächsten Bundesregierung sind begrenzt. Trotzdem haben alle vier Partner teure Wünsche. Wie soll der nächste Finanzminister das alles bezahlen?

Wir müssen Prioritäten setzen. Unser Vorschlag lautet: ein Drittel Entlastung, zwei Drittel Investitionen und keine strukturellen Defizite durch konjunkturellen Mehreinnahmen.

Warum halten die Grünen am Soli fest?

Die Abschaffung, so wie sie die FDP will, ist extrem teuer – und ungerecht. Allein die Abschaffung für das oberste Zehntel der Bevölkerung würde 40 Milliarden Euro über vier Jahre kosten. Das sind zehn Milliarden mehr als der der Finanzminister als seinen Spielraum identifiziert hat. Damit würde nur ein kleiner Personenkreis entlastet, der das nicht nötig hat, ohne dass man einen ökonomischen Impuls setzt. Wir haben gesagt, wir reden darüber. Aber alle vier Parteien haben auch gesagt, für uns hat die Entlastung der unteren und mittleren Einkommen und des Lebens mit Kindern Priorität. Dann muss man dazu auch stehen.

Die FDP ist beim Abbau des Soli sehr stur. Wie kommen Sie da zusammen?

Man kann ja stur sein. Aber Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Ich habe den Eindruck, das spricht sich inzwischen auch bei der FDP rum…

Klingt ja nach einem ganz guten Zeichen. Wie sieht denn die Gesamtbilanz Ende der Woche aus?

Vor einer Woche hatten wir acht Papiere mit vielen Streitpunkten. Jetzt haben wir zehn solcher Papiere und die Streitpunkte darin sind nicht unbedeutender geworden. Wenn heute Grünen-Parteitag wäre, müsste ich sagen: Von unserem Zehn-Punkte-Programm ist noch kein einziger Punkt umgesetzt. Für die Grünen steht es 0:10. Diese Woche war für uns ernüchternd. Aber noch sind die Verhandlungen nicht zu Ende.

Das klingt ganz schön pessimistisch...

Ich beschreibe nur die Fakten. In einigen Bereichen gab es sogar Rückschritte. Man hatte sich darauf verständigt, konstruktiv auf den französischen Präsidenten Macron zuzugehen, es gab Einigkeit, eine neue positive Botschaft hinsichtlich Wachstum, Beschäftigung und Investition auszusenden. All das ist am Freitag in der großen Runde von FDP-Chef Christian Lindner wieder in Frage gestellt worden. Die Grünen werden sich an keiner Regierung beteiligen, die nicht klar proeuropäisch ist.

Lassen sich Defizite bei Europa nicht durch ein deutliches Entgegenkommen etwa beim Klimaschutz ausgleichen?

Definitiv nein. Wir müssen in allen wichtigen Themen – und das sind mehr als nur zwei – einen belastbaren Grundkonsens erzielen. Sonst zerlegt sich eine Regierung über jede Einzelfrage. Dann streiten sich die Partner schnell, so wie damals zu schwarz-gelben Zeiten, als man sich als Gurkentruppe und Wildsau beschimpfte. Mit Formelkompromissen kann man nicht vernünftig regieren.

Haben Sie überhaupt noch eine andere Option, als die Koalition einzugehen? Neuwahlen, so fürchten viele, würden nur die Rechtspopulisten stärken...

Ich bin da ganz ruhig. Ich glaube, wir Grünen müssen am wenigsten Angst vor Neuwahlen haben. CSU und CDU brauchen diese Koalition viel mehr als wir.

Wenn man sich anschaut, wo die Jamaika- Parteien bei der Wahl gut abgeschnitten haben, sind das zumindest in Berlin die teuren Viertel. Entsteht gerade eine Koalition der Besserverdiener?

Nein, das wird es mit uns nicht geben. Sollte diese Koalition zustande kommen, dann nur, wenn sie dafür sorgt, dass sozial Schwächere nicht hinten runterfallen, sondern bessere Lebenschancen bekommen. Das gilt insbesondere für Familien mit Kindern, aber zum Beispiel auch bei einer besseren Absicherung für Menschen im Alter. Die muss höher sein als die Grundsicherung und ohne entwürdigende Bedürftigkeitsprüfung zugänglich sein. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Menschen Angst vor Armut im Alter haben müssen. Die Würde dieser Menschen wiederherzustellen, ist wichtig. Da kommt es auf die Grünen an.

Sie haben in den vergangenen Jahren leidenschaftlich für Rot-Rot-Grün geworben. Halten Sie an diesem Ziel langfristig fest?

Wir hatten 2013 im Bundestag 52 Prozent rechts der Mitte und 48 Prozent links der Mitte. Diesmal steht die versammelte Linke noch schlechter da, das Verhältnis ist 56 zu 44. Ich werde weiter versuchen, Mehrheiten hinzubekommen, die die Umsetzung grüner Ziele einfacher machen, als das in einer Jamaika-Koalition möglich sein wird. Aber ich muss die Realität schon anerkennen.

Können die Grünen Jamaika abschließen, ohne dass Jürgen Trittin dafür wirbt?

Wir sind 14 Mitglieder in der Verhandlungsgruppe. Wir stehen als Grüne oft allein gegen die anderen Parteien, etwa mit unserer Forderung nach einem Verbot von Rüstungsexporten in Kriegs- und Krisenländer. Wir sind aber trotzdem stark und schlagkräftig, weil wir ein gutes Team haben und uns vorgenommen haben, unserer Partei einen Vorschlag zu machen...

Nach dem Absturz der Grünen bei der Bundestagswahl 2013 galten Sie in Ihrer Partei als Buhmann, jetzt werden Sie wieder für alle möglichen Posten gehandelt, als Minister oder Fraktionschef. Versöhnt Sie das?

Glauben Sie mir: Ich habe mich selbst nie als Buhmann empfunden. Nun versuche ich, meinen Beitrag zu leisten.

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