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Das Thema Familiennachzug von Flüchtlingen ist einer der größten Streitpunkte bei den Jamaika-Sondierungen in Berlin.

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Update

Jamaika-Sondierungen: Familiennachzug für Flüchtlinge bleibt der Knackpunkt

Ob die Jamaika-Unterhändler bei Flucht, Migration, Integration einen Kompromiss finden, ist völlig offen. Grund ist weniger die Sache selbst, sondern ihre politische Überfrachtung.

Von Robert Birnbaum

Die CSU war schon mal weiter. Die deutsche Autoindustrie, befand der Generalsekretär, sei zu träge, sie brauche ein Ultimatum, also: „Ab dem Jahr 2020 dürfen nur noch Autos zugelassen werden, die über einen umweltfreundlichen Antrieb verfügen!“ Das war 2007, der Generalsekretär hieß Markus Söder. Heute nennt der Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt solche Enddaten, sofern sie von Grünen kommen, gerne „Schwachsinnstermine“. Aber Söder darf ohnehin nicht mitverhandeln in den Jamaika-Runden in Berlin, und die Verkehrspolitik wird am Donnerstag auch nicht der allergrößte Knackpunkt auf dem Tisch der Chefs sein.

Knackpunkt ist und bleibt „Flucht, Migration, Integration“. Die zuständige Fach-Arbeitsgruppe kam am Dienstagnachmittag zusammen, die Verhandlungen dauerten am Abend noch an. Daher verschoben die Chefs ihre Debatte über das Streitthema Migration auf Mittwoch. Grund sei zudem die starke Verzögerung der Diskussion über Themen wie Verkehr, heißt es in Verhandlungskreisen.

Viel zu bereden, das war vorher schon klar, würde es nicht geben. Volker Kauder bekräftigt im „Morgenmagazin“ der ARD im Namen der Gesamtunion die „Meinung“, dass der Familiennachzug für subsidiär Geschützte ausgesetzt bleiben müsse. Claudia Roth moniert in der gleichen Sendung, dass die andere Seite darüber gar nicht erst verhandeln wolle. „Ich glaube, so kommen wir nicht weiter“, sagt die Grüne.

Am Mittwoch sieht das nicht anders aus: "Jetzt macht euch doch mal locker", lässt Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt über die "Rheinische Post" ausrichten, vor allem der CSU. "Schließlich ist doch gerade für die Union die Familie ein Wert an sich." Die FDP hingegen will von Lockerungen nichts wissen. Der Familiennachzug müsse auf wenige Härtefälle beschränkt bleiben, solange es kein Regelwerk für die Einwanderung und Rückführung von Migranten ohne Aufenthaltsrecht gebe, sagt Christian Lindner der "Passauer Neuen Presse". Eine Ausweitung würde die Akzeptanz einer neuen Regierung sofort zunichtemachen.

Wer macht Abstriche?

Tatsächlich erscheint völlig offen, ob auf diesem Feld überhaupt ein Kompromiss möglich ist. Bis zum Donnerstag hatten die Unterhändler fast nur Standpunkte austauscht. Das liegt weniger an der Sache selbst als an ihrer politischen Überfrachtung. Die CSU erklärt bisher das Konzept, auf das sie sich nach langem Gezerre mit der CDU geeinigt hatte, für unantastbar. Die anderen sehen zwar auch ein, dass der schwer angeschossene CSU-Chef Horst Seehofer hier kaum Spielraum hat. Aber dass ein Grünen-Parteitag und eine Grünen-Basis keine „Obergrenze light“ ohne vorzeigbare grüne Abstriche mitmachen würde, liegt genauso auf der Hand.

Dabei ließen sich Kompromisse in der Sache sachlich gut begründen. Beispiel Familiennachzug: Betroffen von der Aussetzung, die derzeit bis Frühjahr 2018 gilt, sind 230.000 subsidiär geschützte Flüchtlinge. Wie viele engste Verwandte sie nachholen würden, weiß niemand genau. Aber die Warnungen aus der CSU vor einem „zweiten Jahr 2015“ haben auch keine Basis in der Realität. Denn die deutschen Konsulate stellen ein enges Ventil dar. Das Auswärtige Amt beziffert die Zahl der Familien-Visa nach Angaben von Unterhändlern auf 120.000 Visa im Jahr – mehr schaffen die Beamten nicht.

Da Asylberechtigte und Flüchtlinge nach der Genfer Konvention ein Recht auf Nachzug haben, bleiben für die dritte Gruppe der Subsidiären somit ohnehin nicht mehr viele Termine. Statt einer Welle von Nachzüglern käme also nur ein steter Fluss. Und selbst der ließe sich mit gutem Willen noch weiter regulieren. NRW-Integrationsminister Joachim Stamp, der für die FDP das Thema verhandelt, hat etwa vorgeschlagen, den Nachzug für alle Flüchtlinge freizugeben, die für sich selbst sorgen können. Auch humanitäre Kriterien wären denkbar. Roth deutet hier jedenfalls Kompromisswillen an: Der Familiennachzug lasse sich „in einem geordneten Verfahren organisieren“.

Diskussion um Zahlen

Für die Union scheint das nach wie vor ein schwieriger Gedanke. Das liegt zum Teil daran, dass sie dort den Familiennachzug so lange als Schreckensszenario ausgemalt haben, dass es jetzt schwerfällt, das Bild zu korrigieren. Zum Teil liegt es aber auch an der Logik der Unionseinigung: Um zu garantieren, dass nicht mehr als 200.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Deutschland kommen, ist der Familiennachzug dort eins der ganz wenigen Stellventile, das die Bundesrepublik im Alleingang betätigen könnte.

Allerdings ist diese Zahl auch bisher nur selten überschritten worden. Die Grünen wollen sie gleichwohl nicht als Quasi-Obergrenze akzeptieren. Auch hier hat FDP-Mann Stamp einen Mittelweg vorgeschlagen: Man könne doch einen flexiblen „Richtwert“ von 150.000 bis 250.000 Flüchtlingen festlegen. Aber gegen „Richtwerte“ wehrt sich wieder die Union – die könnten, sagt ein CSU- Unterhändler, allzu leicht zu einer faktischen Untergrenze werden. So sind sich die vier Parteien nur in einem völlig einig: Gelöst wird dieser Streitpunkt erst in den allerletzten Chef-Runden bis zum Freitag. Wenn überhaupt. (mit Reuters)

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