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Eine Aufnahme zeigt 105 Flüchtlinge vor der italienische Insel Lampedusa.

© dpa

Italien und die Flüchtlinge: Kurswechsel vor Lampedusa: Militär statt Seenotrettung

Einst engagierte sich Italien in der Seenotrettung, jetzt schickt es Militär nach Libyen und geht gegen NGOs vor, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer fischen. Was ist geschehen?

Italien ist immer noch stolz darauf: Ein Jahr lang, von 2013 bis 2014, finanzierte Rom ganz allein eine Mission gegen das große Sterben im Mittelmeer. Mit "Mare Nostrum", unter dem Namen, den die Römer im Altertum ihrem Mittelmeer gegeben hatten, rettete die italienische Küstenwache nach Angaben Roms 150- bis 160 000 Boat People. Die damalige Regierung von Enrico Letta hatte die Einsätze gestartet, nachdem an einem einzigen Tag fast 400 Flüchtlinge vor Lampedusa ihr Leben verloren hatten. Auch der Rest Europas schien nach jenem 3. Oktober 2013 erschüttert, kurz jedenfalls.

In diesem Jahr bisher 100000 Landungen in Italien

Im November 2014 war Schluss. Die gemeinsame EU-Mission "Triton" trat an die Stelle von "Mare Nostrum" - offiziell. Praktisch war der Stabwechsel unter Führung der EU-Grenzagentur Frontex auch ein Wechsel des Ziels: Rettung nämlich, das sagten Frontex-Offizielle offen, sei nicht das Mandat der neuen Grenzpatrouillen im Meer. Zuvor hatte nicht nur Frontex-Chef Gil Arias-Fernández gegen die Italiener Stellung bezogen und erklärt, Mare Nostrum habe die Zahl der Flüchtlinge auf den Schiffen der Schlepper-Organisationen vergrößert. Auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière kritisierte Roms Initiative damals als "Brücke nach Europa".

Auf Hilfe der Partnerstaaten kann Europas südliches Grenzland bis heute nicht rechnen. Anfang Juli lehnten die EU-Regierungen es erneut ab, Italien wenigstens einen Teil der Flüchtlinge abzunehmen, die seit Quasi-Schließung des Landwegs über die Balkanroute wieder verstärkt übers Mittelmeer und damit nach Italien kommen - in diesem Jahr bereits 100.000 Menschen. In dieser Woche nun scheint Rom damit auf EU-Linie gebracht worden zu sein, in doppelter Hinsicht: Das Parlament beschloss am Dienstag letzter Woche einen eigenen italienischen Einsatz vor der libyschen Küste.

Kurz zuvor hatten die ersten Flüchtlingsrettungs-NGOs einen Verhaltenskodex unterschrieben, der sie unter anderem verpflichtet, auch bewaffnete Polizisten an Bord zu akzeptieren, sich der afrikanischen Küste nicht stark zu nähern und aufgenommene Boat People nicht von größeren Schiffen weitertransportieren zu lassen - das womöglich stärkste Mittel, die Zahl aufgenommener Migranten zu reduzieren. Zeitgleich gingen sizilianische Staatsanwälte gegen die deutschen Flüchtlingshelfer von "Jugend rettet" vor. Ihr Schiff Juventa ist beschlagnahmt, die Ermittlungen wegen Förderung illegaler Migration laufen.

Mit Abhörprotokollen und Fotos, teils von verdeckten Ermittlern aufgenommen, wollen die Ankläger beweisen, dass "Jugend rettet" ihre Schützlinge nicht gerettet hätten, so der zuständige Staatsanwalt, sondern von ihren Schleppern "entgegengenommen". Den Verhaltenskodex hatten die jungen Leute aus Brandenburg zuvor nicht unterschreiben wollen. Was am vergangenen Freitag dann prompt eine weitere NGO tat: „Die Sache mit 'Jugend Rettet' zeigt, dass die Geschichte für Retter unangenehm zu werden beginnt“, sagte der Sprecher von "Sea Eye" der Katholischen Nachrichtenagentur zur Begründung.

Schon einmal wurde Rom verurteilt

Warum der Kurswechsel, fragte nach dem Parlamentsbeschluss zum Militäreinsatz in Libyen die Tageszeitung "Il Fatto". Mit seinen Rettungsoperationen habe Italien in der Vergangenheit ein Beispiel für Humanität gegeben", jetzt schicke man sogar Militärschiffe vor die libysche Küste. Das Blatt mutmaßt, dass auch verletzter nationaler Stolz und eine neue Konkurrenz mit Frankreich eine Rolle gespielt haben dürften: Kürzlich hatte Frankreichs Präsident Macron die Gegner im libyschen Bürgerkrieg zum Friedenschließen nach Paris geladen, ohne Italien mit an den Tisch zu bitten, das in Libyen, das es von 1934 bis 1943 als Kolonie beherrschte, seit jeher Interessen und Verbindungen hat. Als Paris danach dem italienischen Schiffbauer Fincantieri - er gehört zu 75 Prozent dem Staat - die Übernahme der Mehrheit an den Werften von St. Nazaire verbot, war die Wut in den italienischen Medien allgemein.

Der wesentliche Grund für Roms Kehrtwende bleiben freilich die steigenden Migrantenzahlen und das hartnäckige Nein der EU, Italien mehr zu geben als Geld und technische Unterstützung. Operationen gegen Migranten wie auch das Vorgehen gegen Flüchtlingshelfer sind dabei nichts ganz Neues: Vor 13 Jahren wurde Elias Bierdel auf Sizilien wegen Schlepperei angeklagt. Als damaliger Vorstand der Hilfsorganisation "Cap Anamur" hatte 38 afrikanische Migranten dort abgesetzt. Ein italienisches Gericht sprach ihn fünf Jahre später frei, weil er nur einer Pflicht des Seerechts nachgekommen sei.

Italien dagegen wurde im Februar 2012 vom Europäischen Gerichtshof zur Entschädigung an 24 afrikanische Migranten verurteilt, die die italienische Küstenwache drei Jahre zuvor vor Sizilien abgefangen und nach Libyen zurückgeschickt hatte - damals noch unter der Regierung Gaddafi -, wo einige von ihnen gefoltert wurden. Dass sie in internationalem Gewässer operiert hätten, ließ Straßburg nicht gelten: Auf einem italienischen Schiff seien die Afrikaner auf italienischem Hoheitsgebiet gewesen. Italien habe gewusst oder wissen müssen, was ihnen in Libyen drohe.

Libyens Machthaber sagen Nein

Auch der jetzt geplante Marine-Einsatz soll weit weg vom europäischen Festland stattfinden, aufgegriffene Migranten an libysches Personal übergeben werden, die Mission dient offiziell der Unterstützung der libyschen Küstenwache bei der Bekämpfung illegaler Migration. "Jesuitisch" nannte Italiens Presse den Feinsinn dieser Begründung, die das Straßburger Gericht in ähnlicher Fassung seinerzeit nicht überzeugte. Ob die neue Libyen-Mission so weit überhaupt kommt, ist unklar. Nach den Machthabern in Tobruk hat am Freitag auch ein Teil der international anerkannten libyschen Regierung in Tripolis erklärt, italienische Schiffe vor der libyschen Küste verletzten die Souveränität des Landes und würden nicht geduldet.

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