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Unter Aufsicht. Einige Gläubige nutzten dennoch die Gelegenheit, wieder in der Al-Aksa-Moschee zu beten.

© Jack Guez/AFP

Israel erlaubt wieder Gebete: Ruhe am Tempelberg

Israel schränkt erneut den Zugang zum heiligen Ort ein: Um weitere Krawalle zu verhindern, dürfen nur Männer über 50 Jahren und Frauen das Areal betreten.

Die Behörden werden aufgeatmet haben. Die Gebete der Muslime auf dem Jerusalemer Tempelberg sind ohne Zwischenfälle verlaufen – jedenfalls bis zum Freitagabend. „Die Lage auf dem Berg ist wieder zum ursprünglichen Status zurückgekehrt“, hieß es in einem Tweet der israelischen Polizei. Mehrere zehntausend Gläubige waren laut lokalen Medien zu dem Gebet auf dem zuvor für 14 Tage gesperrten islamischen Heiligtum gekommen.

Israels Polizei und Militär hatten mit starker Präsenz, Absperrungen und Kontrollen versucht, Ausschreitungen zu verhindern. Nur Männer über 50 Jahren und Frauen jeden Alters konnten die heilige Stätte mit Al-Aksa-Moschee und Felsendom zum Gebet betreten. Viele Gläubige verrichteten ihr Gebet daher wieder auf den Zugangsstraßen, insbesondere vor dem DamaskusTor und dem Löwentor. „Wir werden allen Gläubigen den Zugang zum Gebet erlauben, aber wir werden nicht gestatten, dass der Platz zu Unordnung, Randale und Konfrontation mit der Polizei genutzt wird“, betonte die Polizei weiter. Doch keiner wollte ausschließen, dass es noch zu gewalttätigen Krawallen kommen könnte.

Denn schon am Donnerstag hatte zunächst vieles darauf hingedeutet, dass die zweiwöchige Auseinandersetzung um die Sicherheitsvorkehrungen am Tempelberg zu ihrem Ende gekommen sei. Israels Regierung hatte eingewilligt, den Status quo wiederherzustellen, also die Sicherheitsschranken und Kameras abzubauen, die sie nach dem tödlichen Attentat auf zwei israelische Polizisten vor zwei Wochen errichtet hatte.

Palästinenser feiern, rechte Israelis sehen eine Schwäche von Netanjahu

Während Israels Rechte die Entscheidung als Zeichen der Schwäche von Premier Benjamin Netanjahu wertete , kam es in Jerusalem zu Jubelszenen. Die Palästinenser feierten den „Sieg“ über die „Besatzer“. Denn Muslime hatten sich tagelang geweigert, die auf dem Tempelberg gelegene Al-Aksa-Moschee zu betreten. Gebetet wurde deshalb auf den Straßen in der Umgebung des Tempelbergs, der Muslimen wie Juden als Heiligtum gilt.

Auch Ibrahim, ein schmächtiger Pädagogikstudent Anfang 20, hatte Donnerstagnacht mit Tausenden bis drei Uhr früh gefeiert. Er wohnt am Ölberg, gleich außerhalb der Stadtmauern Jerusalems, und spricht immer wieder von einem „großen Tag“. Wann es das letzte Mal eine derartige kollektive Jubelstimmung gegeben hat, kann Ibrahim nicht sagen. Zu seinen Lebzeiten hat er so etwas jedenfalls noch nicht erlebt.

Außenstehende mag es verwundern, welche Euphorie das Entfernen von ein paar Sicherheitsschranken auslösen kann, die nach einem terroristischen Anschlag errichtet worden waren. Dabei ging es den Demonstranten von Anfang an nicht um die Metalldetektoren an sich. Diese sahen sie vielmehr als symbolischen Eingriff in die Selbstverwaltung des Tempelbergs, der unter der Kontrolle der islamischen Waqf-Stiftung steht. Also als Verletzung eines letzten Rests palästinensischer Souveränität in Jerusalem. Es war eine Bewegung zivilen Ungehorsams, in der sich religiöse Motive mit politischen mischten, Lokalpatriotismus mit Nationalstolz. Die Demonstrationen hatten denn auch keine Anführer, politische Parteien scheinen kaum eine Rolle gespielt zu haben. Wenn überhaupt. Präsident Mahmud Abbas, die islamistische Hamas und andere versuchten allenfalls, als Trittbrettfahrer die Bewegung für sich zu reklamieren, genau wie der 19-jährige Attentäter, der am 21. Juli in der Siedlung Halamish im Westjordanland drei Siedler erstach und erklärte, er habe es für die Al-Aksa-Moschee getan.

Gleich nach der Entscheidung war die Lage am Donnerstag noch einmal eskaliert

Am Donnerstagnachmittag, nach der Entscheidung der israelischen Regierung, die Sicherheitsvorkehrungen rückgängig zu machen, warten Tausende Menschen darauf, wieder auf den Tempelberg zurückkehren zu können. Zum Nachmittagsgebet soll es so weit sein. In den engen Gassen der Jerusalemer Altstadt sammeln sich Frauen, Männer jeden Alters, Kinder. Man singt, bespritzt sich mit Wasser zur Kühlung, Jugendliche springen auf und ab, stimmen Sprechchöre mit „Gott ist groß!“, und „Öffnet das Tor!“ an. Denn eines der Tore zum Tempelberg wird noch von Polizisten versperrt. Fast übermütig ist die Stimmung, ausgelassen, aber doch auch angespannt. Wird die Polizei das Tor freigeben?

Bab Hutta, jener Eingang, an dem vor zwei Wochen die beiden Polizisten erschossen wurden, bleibt weiter gesperrt. Wieder Sprechchöre mit „Öffnet das Tor!“. Es gibt Pfiffe, bis plötzlich Jubel ausbricht. „Das Tor ist offen!“, heißt es. Großes Gedränge. Die Anspannung entlädt sich. Aus dem Gedränge wird Geschubse, über die Köpfe werden Tabletts mit Süßigkeiten nach vorne gereicht, nun soll wirklich gefeiert werden. Doch es kommt anders.

Es knallt ohrenbetäubend laut, Panik bricht aus, Blendgranaten explodieren auf dem Areal des Tempelbergs. Israelischen Medienberichten zufolge haben Palästinenser Steine auf Polizisten geworfen, Letztere sich bloß verteidigt. Ein Augenzeugenbericht von Amnesty International stellt es so dar, als hätte die Polizei friedliche Demonstranten auseinandertreiben wollen und Blendgranaten eingesetzt. In den Abendnachrichten wird es später heißen: „Erneut schwere Zusammenstöße am Tempelberg“. Der Rote Halbmond meldet mehr als 100 Verletzte.

Pepe Egger

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