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Bei einer Razzia in Göttingen wurden im Februar 2017 Waffen und anderes Material sichergestellt und zwei Islamisten verhaftet.

© Swen Pförtner/dpa

Islamisten in Niedersachsen: Behörden streiten über „Gefährder“

Polizei und Staatsanwaltschaft in Göttingen sind uneins über Anschlagspläne von einem Algerier und einem Nigerianer - abgeschoben sollen die beiden in jedem Fall werden.

Im Fall der Anfang Februar in Göttingen unter Terrorismusverdacht festgenommen Männer gelangen die damit befassten Behörden und Gerichte zu unterschiedlichen Bewertungen. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle sieht keine belastbaren Hinweise auf konkrete Anschlagsvorbereitungen und lehnt deshalb die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen ab. Die Polizei widerspricht: Ihr seien sehr wohl Tatsachen bekannt gewesen, „dass die Gefahr eines Anschlags jederzeit konkret bevorstehen könnte“, erklärte die Göttinger Polizeidirektion gestern. Polizeichef Lührig kritisierte gleichzeitig die Celler Behörde scharf. Von dieser habe sich die Polizei eine „akzentuiertere Berichterstattung“ in der Causa gewünscht.

Am 9. Februar hatten mehrere Hundert Polizisten zwölf Wohnungen in Göttingen und Kassel durchsucht und die beiden Verdächtigen zunächst in Gewahrsam genommen.

Der 27 Jahre alte Algerier und der 23-jährige Nigerianer, die in Deutschland geboren wurden und schon lange in Göttingen lebten, sollen nun als „Gefährder“ abgeschoben werden. Sie sitzen in Hannover in Abschiebehaft.

„In der Gesamtschau aller uns bekannten Umstände ergab sich die Gefahr, dass ohne Einschreiten der Polizei ein Anschlag verübt worden wäre“, sagte Polizeipräsident Uwe Lührig. Die Polizei habe daher „zeitnah, schnell und konsequent vorgehen“ müssen. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Einschätzung der Polizei Göttingen „bezüglich eines bevorstehenden terroristischen Anschlages vollumfänglich bestätigt.“

Ob und wie Waffen und Verhaftete zusammengehören, ist unklar

Bei den Durchsuchungen seien unter anderem Waffen und Munition gefunden worden, sagte Lührig. Die Ermittlungen hinsichtlich der Zuordnung der Waffen seien noch nicht abgeschlossen. „Richtig ist, dass in den Wohnungen der Gefährder keine Waffen gefunden wurden. Allerdings hätten sie jederzeit Zugriff auf die Waffen gehabt.“

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte am Donnerstag mitgeteilt, bei dem Algerier und dem Mann aus Nigeria seien keine Waffen gefunden worden. Das betreffe auch sonstige Gegenstände, „die auf die Vorbereitung eines Anschlags deuten könnten“. Mehrere Medien hatten zuvor hingegen berichtet, die Waffen seien bei den als „Gefährdern“ eingestuften Männern gefunden worden.

Die Celler Ermittlungsbehörde bestätigte Angaben der Göttinger Rechtsanwältin Susanne Themann, die den Mann aus Algerien vertritt. „Es gab bei ihm weder Waffen noch Anschlagspläne“, sagte die Juristin dem Tagesspiegel und berief sich dabei auf die Ermittlungsakten der Polizei. Abgehörte telefonische Äußerungen ihres Mandanten „mit religiösem Bezug“ seien von den Beamten als „salafistisches Gedankengut“ interpretiert worden. Mit dem Nigerianer sei ihr Mandant nur flüchtig bekannt gewesen, „die haben sich auch nicht zu einem Attentat verabredet.“

Das Niedersächsische Innenministerium hat zwischenzeitlich die Abschiebung der in Deutschland geborenen Männer verfügt. Es wandte damit erstmals den Paragrafen 58a im Aufenthaltsrecht an, der bei „besonderer Gefahr“ Abschiebungen ohne vorherige Ausweisungsverfügung ermöglicht. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte in einem Eilverfahren die Anordnung des Ministeriums, das Urteil wurde am Donnerstag veröffentlicht.

Nach Angaben von Landesinnenminister Boris Pistorius sollen die Abschiebungen möglichst bis Ostern erfolgen. „Wir senden damit bundesweit ein klares Signal an alle Fanatiker, dass wir ihnen keinen Zentimeter für ihre menschenverachtenden Pläne lassen“, sagte der SPD-Politiker. „Sie haben jederzeit mit der vollen Härte der uns zur Verfügung stehenden Mittel zu rechnen, völlig egal, ob sie hier aufgewachsen sind oder nicht.“

Wer ein "Gefährder" ist, ist juristisch nicht klar

Rechtsanwältin Themann bezeichnet den Paragrafen 58a hingegen als „schwammig“. Dass er jetzt zu Ungunsten ihres Mandanten ausgelegt werde, sei „eventuell auch eine politische Entscheidung“. Themann will nun mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Abschiebung vorgehen. Aufschiebende Wirkung hat die Beschwerde aber nicht. Die Anwältin hat zuletzt am Donnerstag mit ihrem Mandanten telefoniert. „Er ist total in Panik“, sagte sie. „Er hat Angst, dass er in Algerien misshandelt und gefoltert wird.“

Weitere Abschiebungen werden vorbereitet

Derweil prüft Niedersachsen, ob weitere mutmaßliche Islamisten abgeschoben werden können. Es würden alle vorliegenden Fälle überprüft, so ein Sprecher des Innenministeriums. Wie viele der rund 50 sogenannten Gefährder in Niedersachsen betroffen sein könnten, sei unklar. Personen mit deutscher oder doppelter Staatsbürgerschaft könnten nicht abgeschoben werden. Auch lägen nicht bei allen übrigen „Gefährdern“ die Voraussetzungen für eine Abschiebung vor. Dazu zählt, dass ihnen keine Folter oder „unmenschliche Behandlung“ droht.

Auch Bremen will zwei Islamisten abschieben. Ein 36-jähriger Algerier und ein 18-jähriger Russe befänden sich in Abschiebehaft, sagte ein Sprecher des Bremer Innensenators Ulrich Mäurer (SPD). Sie sollen eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet haben.

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