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Was unser Bild prägt. In der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland steht Israel oft als gewaltausübende Partei da, während die Palästinenser nur als zivile Opfer dargestellt werden. Dafür sprechen auch selektiv ausgesuchte Bilder wie dieses aus dem Jahr 2000, auf dem ein israelischer Polizist und ein Palästinenser im Konflikt zu sehen sind.

© REUTERS

Interview mit Volker Beck: „Es fehlt das Verständnis für Israels Lage“

Volker Beck über Deutschlands Verhältnis zum jüdischen Staat, die Bedeutung des Völkerrechts und Regierungschef Netanjahu.

Herr Beck, welche Note würden Sie den deutsch-israelischen Beziehungen geben?

Eine drei – befriedigend.

Das klingt 50 Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen ernüchternd. Wo hakt es?

Die politischen Beziehungen sind gut. Und die Israelis sind begeistert von Deutschland. Umgekehrt ist es das Gegenteil: Das Image Israels in Deutschland ist eher mangelhaft.

Liegt das womöglich an Israels Premier Benjamin Netanjahu?

Die Politik der aktuellen israelischen Regierung ist in vielen Punkten kritikwürdig und nicht immer für das Image des Landes hilfreich. Aber selbst mit einer linken Regierung stünden wir vor ähnlichen Problemen. Es fehlt hier ein grundsätzliches Verständnis für die Lage, in der sich das Land befindet.

Inwiefern?

Israel gehört zu den ganz wenigen Staaten, dessen Bürger ihre Heimat nicht auf dem Landweg verlassen können. Einige Nachbarländer sind noch im Kriegszustand mit Israel. Es gibt auch kein anderes Land, dessen Existenz tagtäglich infrage gestellt wird. Das ist eine Situation, die sich hierzulande kaum jemand vorstellen mag. Dieser Kontext wird häufig leider auch von den Medien nicht vermittelt.

Die Medien tragen also die Schuld am schlechten israelischen Leumund?

Nein, das wäre zu einfach. Sie tragen aber eine Mitverantwortung. Der Nahostkonflikt besitzt eine überdurchschnittliche Prominenz in der täglichen Berichterstattung. In anderen Konflikten kommen hunderttausende Menschen um, die Schlagzeilen aber dominieren sie nicht. Wer nur deutsche Medienberichte über den jüdischen Staat liest, muss sich schon sehr anstrengen, um ein realitätsnahes Israelbild zu bekommen. Und wer über Jahrzehnte hinweg erzählt bekommt, dass die Israelis nur schießen und die Palästinenser nur beschossen werden, wird ein verzerrtes Bild bekommen – auch ohne Antisemit zu sein.

Das klingt, als litten die Deutschen an einer Obsession, wenn es um Israel geht?

Verallgemeinerungen bringen uns nicht weiter. Deutschland ist eine pluralistische Gesellschaft. Aber ja, es gibt Deutsche mit einem obsessiven Verhältnis zu Israel. Das heißt aber nicht, dass dies für alle gilt.

Woher kommt diese Besessenheit?

Es gibt einige, die eine Schuld den Juden gegenüber fühlen. Und sie versuchen sich zu entlasten, indem ständig auf Fehler in der israelischen Politik hingewiesen wird. Das ist eine ungute Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Schuld tragen wir Heutigen nicht mit uns herum. Wir haben aber eine Verantwortung.

Auch die Politik scheint sich obsessiv mit Israel zu beschäftigen. Bei der Bundestagswahl 2013 machten alle großen Fraktionen in ihren Programmen einen Vorschlag zur Lösung des Nahostkonflikts.

Deutschland hat nun mal ein besonderes Verhältnis zu Israel. Schließlich hat die Lehre aus der Schoa eine zentrale Rolle bei der Gründung des jüdischen Staates gespielt. Und sie gehört auch unveränderbar zu unserer Geschichte. Ich finde es von daher richtig, dass sich auch die deutsche Politik dazu positioniert, wie die Sicherheit Israels gewährleistet werden kann.

Die Christdemokraten haben die deutschisraelischen Beziehungen sogar zum Bestandteil ihrer Migrationspolitik gemacht: Geht es nach der CDU, soll auch von den Flüchtlingen ein Bekenntnis zum Staat Israel eingefordert werden. Gut so?

Es ist absurd, wenn ausgerechnet die Deutschen von ihren Einwanderern ein Bekenntnis zu Israel einfordern.

Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen).
Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen).

© picture alliance / dpa

Warum?

40 Prozent der Deutschen sind der Meinung, Israel führe einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Palästinenser; und fast 30 Prozent sind der Auffassung, dass man beim Blick auf Israels Politik gut verstehen könne, dass man etwas gegen Juden hat. Das sind erschreckende Befunde, die uns nicht das Recht geben, selbstgerecht einseitige Bekenntnisse von Flüchtlingen zu verlangen. Oder soll das künftig auch für „biodeutsche“ Transferzahlungsempfänger gelten? Die Politik hat die Aufgabe, unsere Werte zu vermitteln. Das funktioniert aber nicht durch Lippenbekenntnisse.

Bei jungen Deutschen scheint die Vermittlung nicht funktioniert zu haben. Gerade diese Gruppe bringt Israel wenig Sympathie entgegen.

Bei den Jüngeren ist die Zeit des Nationalsozialismus gefühlt ähnlich weit weg wie der Erste Weltkrieg oder die Gründung des Kaiserreiches. Was junge Menschen über die Grausamkeiten der Schoa hören, hat eine derart irrationale Dimension, dass sie die Vorstellungskraft von vielen sprengt. Gleichzeitig wachsen Jugendliche heute in Deutschland mit Schulbüchern auf, in denen Israel nur als kriegsführendes Land thematisiert wird. Da gibt es eine große Kommunikationsaufgabe, die aber nicht nur die Politik, sondern auch Lehrer, Medien und andere Teile der Gesellschaft fordert.

Wäre die Aufgabe ohne einen Benjamin Netanjahu leichter?

Sicherlich, manche Aussagen des israelischen Premier und der seit Jahren fortschreitende Siedlungsbau sind nicht hilfreich. Netanjahu konterkariert mit Worten und Taten vieles, was eigentlich als selbstverständlich gilt. Denken Sie zum Beispiel an die Zweistaatenlösung. Die Vorbehalte gegenüber Israel würden mit einer anderen Regierung aber auch nicht verschwinden. Ebenso scheint klar, dass auch eine linke Mehrheit in der Knesset nicht ohne Weiteres eine Friedenslösung zustande bringen würde.

Wieso nicht?

Auf der Gegenseite hat sich im Konflikt zwischen Hamas und Fatah eine palästinensische Führung in einem korrupten System eingenistet, die das Leid der eigenen Bevölkerung verwaltet, Demokratisierung verhindert und entweder nicht willens oder in der Lage ist, einen tragfähigen Frieden auszuhandeln.

Und daraus folgt?

In Israel sieht kaum jemand einen gangbaren Weg Richtung Frieden. Die Menschen sind enttäuscht, dass sie zum Beispiel als „Gegenleistung“ für den Rückzug aus Gaza die Raketen der Hamas bekommen haben. Deshalb ist derzeit auch niemand bereit, das Westjordanland einfach zu räumen. Das wäre nur denkbar, wenn es ein schlüssiges, überzeugendes Sicherheitskonzept geben würde.

Was schlagen Sie vor?

Wer will, dass die israelische Armee sich aus dem Westjordanland zurückzieht, muss die Entmilitarisierung des Gebietes auf Dauer gewährleisten. Da könnten Amerikaner und Europäer ein konkretes Angebot machen. Das heißt aber auch, es muss tatsächlich Präsenz gezeigt werden. Mit Worten allein ist es da nicht getan.

In Israel ist die EU derzeit nicht gerade wohl gelitten. Die Kennzeichnungspflicht für Siedlerprodukte gilt als eine Art Boykott. War Brüssel da gut beraten?

Nicht jedes Argument in dieser Debatte ist auch richtig und fair. Generell ist nichts gegen korrekte Herkunftsangaben einzuwenden. Das ist deshalb auch kein Boykott Israels. Ein solcher wird von der EU genauso abgelehnt wie von allen im Bundestag vertretenen Parteien. Merkwürdig ist es allerdings, wenn diese Pflicht nur für ein Land gelten soll. Bei der Kennzeichnung der Erzeugnisse aus dem Westjordanland oder von den Golanhöhen nimmt es Brüssel offenbar ganz genau. Aber was ist mit Sekt von der Krim? Oder mit Produkten aus der Westsahara, die Marokko besetzt hat? Da gibt es offenkundig eine Unwucht. Die EU sollte deshalb das Völkerrecht überall und konsequent anwenden, nicht nur bei Israel.

Soll womöglich über die Kennzeichnungspflicht politischer Druck auf Jerusalem ausgeübt werden, von der Siedlungspolitik Abstand zu nehmen?

Wenn das die Intention war, wofür es in den Papieren der EU keine Hinweise gibt, dann ist das gründlich schiefgegangen. Ich war gerade mit Bundespräsident Joachim Gauck in Israel und habe noch nie eine derartige einheitliche Front der Ablehnung erlebt. Diese einseitige Maßnahme hat Linke wie Rechte geeint, die Opposition hinter der Regierung versammelt.

Was sollte die Bundesregierung tun?

Sie muss darauf achten, dass Israel nicht allein an den Pranger gestellt wird, sondern diese Richtlinien auch bei anderen, ähnlich gelagerten Fällen angewendet werden.

Volker Beck (Grüne) ist seit 2013 Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Der Zentralrat der Juden hat ihn vor Kurzem mit dem Leo-Baeck-Preis geehrt.

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