zum Hauptinhalt
Mesale Tolu sitzt zusammen mit ihrem kleinen Sohn Serkan in Untersuchungshaft.

© picture alliance / Stefan Puchne

In Türkei inhaftierte Deutsche: Mesale Tolu kann nicht auf rasche Freilassung hoffen

Diplomatischer Streit mit den USA, Anklagen gegen angebliche Terrorunterstützer: Die Krise des Westens mit der Türkei spitzt sich weiter zu.

Kurz vor Beginn des Prozesses gegen die in der Türkei inhaftierte Bundesbürgerin Mesale Tolu zeigt sich die türkische Regierung im Streit mit dem Westen kompromisslos. Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert die Ablösung des US-Botschafters in der Türkei. Dieser werde nicht mehr als Vertreter Washingtons akzeptiert. Beobachter rechnen nicht damit, dass sich der Krach bald beilegen lässt.

Washington hatte die Ausgabe von Besuchsvisa in der Türkei eingestellt, weil die türkische Justiz zwei Mitarbeiter der US-Konsulate im Land in Haft genommen hatte. Erdogan kritisierte die Entscheidung und sagte während eines Besuches in Serbien am Dienstag, falls der Visa-Stopp von Washington angeordnet worden sei, gebe es zwischen den beiden Ländern „nichts mehr zu besprechen“. Für den Fall, dass die Entscheidung auf den US-Botschafter in Ankara, John Bass, zurückgehe, müsse der Diplomat abgelöst werden.

Experten erwarten, dass der Tiefpunkt noch nicht erreicht sei

Ministerpräsident Binali Yildirim betonte unterdessen vor der Parlamentsfraktion der Regierungspartei AKP in Ankara, die Türkei gehe als Rechtsstaat gegen mutmaßliche Straftäter vor und müsse sich vor den USA nicht rechtfertigen. „Sollen wir die Herrschaften etwa um Erlaubnis bitten?“ fragte er unter dem tosenden Beifall der Abgeordneten.

Erdogans Bemerkung und Yildirims Rede verdeutlichen, wie schwer es sein wird, die derzeitige Krise zwischen Ankara und dem Westen zu beenden. Neben Tolu sitzen in der Türkei mehrere Dutzend westliche Ausländer in Haft, darunter der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner und der US-Geistliche Andrew Brunson. Erdogan hat angeboten, westliche Staatsbürger gegen türkische Regierungsgegner im Ausland auszutauschen. Das hat ihm den Vorwurf eingebracht, die westlichen Häftlinge als „Geiseln“ zu betrachten.

Alles deute darauf hin, dass der Tiefpunkt der Krise noch nicht erreicht sei, sagte der Türkei-Experte Howard Eissenstat von der Universität St. Lawrence im US-Bundesstaat New York dem Tagesspiegel. Der Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“, Ibrahim Karagül, warf den USA am Dienstag vor, einen „unerklärten Krieg“ gegen die Türkei zu führen.

Tolu sitzt seit Mai mit ihrem kleinen Sohn in U-Haft

Mesale Tolu kann deshalb nicht auf eine rasche Freilassung hoffen. Die türkischstämmige Bundesbürgerin arbeitete als Übersetzerin für die kleine Nachrichtenagentur Etha in Istanbul, als sie im Frühjahr wegen des Vorwurfs der Unterstützung der kurdischen Terrorgruppe PKK festgenommen wurde. Seit Anfang Mai sitzt sie zusammen mit ihrem kleinen Sohn Serkan in Untersuchungshaft. In dem an diesem Mittwoch in Silivri bei Istanbul beginnenden Prozess drohen Tolu bis zu 15 Jahre Haft. Tolus Vater Ali Riza sagte vor Prozessbeginn in Istanbul, die Anklageschrift gegen seine Tochter enthalte keine glaubwürdigen Vorwürfe und stütze sich in Teilen auf die Aussagen eines anonymen Zeugen. „Mesale wird als Geisel festgehalten“", sagte er.

Aus Sicht der türkischen Behörden ist Tolu trotz ihres deutschen Passes vor allem eine türkisch-kurdische Aktivistin, die für die PKK agitiert hat. Das unterscheidet ihren Fall von dem des deutschen Menschenrechtlers Steudtner, der im Juli an einem Seminar auf der Insel Büyükada bei Istanbul teilnahm und zusammen mit anderen Vertretern von Menschenrechtsgruppen in Haft kam.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die gleichzeitige Unterstützung der PKK, der linksextremen Organisation DHKP-C und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vor – obwohl diese Gruppen ideologisch Welten auseinander liegen und zum Teil miteinander verfeindet sind. In der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ war deshalb von einem merkwürdigen „Cocktail“ von Vorwürfen die Rede.

Türkische Regierung sieht Kampagne des Westens

Auch Pastor Brunson, der seit mehr als einem Jahr in Haft sitzt, soll diversen staatsfeindlichen Gruppen gedient haben. In der regierungsnahen Presse wurde Brunson, der seit 25 Jahren in der Türkei lebt und eine kleine protestantische Kirchengemeinde im westtürkischen Izmir leitet, sogar als potenzieller künftiger Chef des US-Geheimdienstes CIA bezeichnet.

Diese Hysterie und die Absurdität der Vorwürfe spiegeln die zum Teil auch in der türkischen Führung verbreitete Überzeugung wider, dass der Westen eine Kampagne gegen die Türkei führt. Menschenrechtler wie Steudtner oder Journalisten wie Yücel gelten in dieser Sichtweise als Agitatoren, die für Angriffe auf die staatliche Einheit der Türkei eingesetzt werden: Das ist der Grund dafür, dass Erdogan den inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Yücel öffentlich als „Agenten“ bezeichnet.

Zur Startseite