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Bundeskanzlerin Angela Merkel wird ihr Verhalten in der Politik nicht mehr ändern - allen Forderungen zum Trotz.

© John MACDOUGALL/AFP

Im politischen Sturm: Merkel, wie wir sie kennen

Auch die ungeheuren Provokationen durch die Türkei bringen Angela Merkel nicht aus der Ruhe. Sie denkt in anderen Kategorien - und ist ganz bei sich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Glaubt einer, dass sich Angela Merkel, 62 Jahre alt, Bundeskanzlerin seit 2005, noch ändern wird? Sowohl in ihrem Verhalten als auch in ihrer Politik? Das kann keiner glauben. Wenn sie sich bisher schon nicht geändert hat, bei alledem, was sich in der Welt und in Deutschland verändert hat, dann ist das jetzt auch nicht zu erwarten. Und da war schon eine ganze Menge, was man ohne Übertreibung grundstürzend nennen kann.

So viel Disruptives gab und gibt es in Merkels Amtszeit: Fukushima und die Folgen, die Abschaffung der Wehrpflicht, Pegida, die andauernden außergewöhnlichen Belastungen der Europäischen Union mit Grexit, Brexit – Exit(us)? Dazu immer härter werdende Provokationen gegen Merkel in ihrer Funktion als Kanzlerin durch die türkische Führung, noch verbunden mit unverschämten Angriffen auf sie als Person. Was wiederum an den ungewöhnlichsten US-Präsidenten der neueren Geschichte erinnert, der Merkel zumindest auf Twitter auch nicht gerade schont – nur sie tut, als sei nichts.

Merkel ist Sachwalterin, selten Gestalterin

Von wegen „Kein Mensch badet im selben Flusse zum zweiten Mal“, wie der griechische Philosoph Heraklit behauptet hat. Bei ihr, bei Angela Dorothea Merkel, wirken noch die verstörendsten Ereignisse wie ein stehendes Gewässer. Da ist sie wirklich ein Phänomen. Das ist nicht nur Kalkül. Sie ist einfach so. Und nach derart vielen Jahren im Amt ist das keine Mutmaßung, sondern Empirie. Ein Mal wollte Merkel anders sein, damals, 2004 auf dem CDU-Parteitag in Leipzig, als sie die turboneoliberale, vorausschauende Reformerin gab. Aber als das krachend danebenging, muss sie beschlossen haben: Politik mit Konzept – das passiert mir nie wieder.

Und es passierte ja auch nie wieder. In ihrer Flüchtlingspolitik wurde auch vor allem permanent nachjustiert, mit wechselnden Begründungen. Nun gibt es in ihrer Partei viele, die diese Art Politik bitter beklagen. Aber es ändert nichts. Merkel regiert, wie es ihr gefällt. Schritt für Schritt, Punkt für Punkt, nicht rechts, nicht links. Visionen sind ihre Sache nicht. Sie ist zuerst Sachwalterin, selten Gestalterin. Rhetorisch schon mal gar nicht. Warum auch? Die Deutschen haben Merkel lange Zeit auch so verstanden. Unvergessen der Satz: „Sie kennen mich.“ Der ist Programm. Bis heute. Aber reicht er auch fürs Morgen? Es gibt durchaus eine Merkel-Müdigkeit; sie macht den Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz erst möglich.

Ja, kann sie denn nicht ein einziges Mal auf den Tisch hauen? Oder sagen, wofür sie steht und notfalls fallen würde, wenn es nicht käme? Lässt sie sich – als Bundeskanzlerin! – wirklich alles gefallen von einem wie Recep Tayyip Erdogan? Neben der zu wahrenden Ehre des Landes: Wo bleibt da die Selbstachtung?

Die Zurückhaltung der Kanzlerin wirkt angestrengt

Das sind Kategorien, die mit Merkel nichts zu tun haben. Oder anders, sie hat damit nichts zu tun. Nach dem Motto: Jeder disqualifiziert sich, so gut er kann, lässt sie Erdogan laufen. Auch Trump wird sie so behandeln: gar nicht mal ignorieren. Das hat lange Eindruck gemacht; nur jetzt wirkt es, als sei sie nicht mehr diejenige, mit der die neue Zeit zieht. Die ist entschieden härter und verlangt klare Ansagen. Die Zurückhaltung der Kanzlerin dagegen wirkt oldschool und ein bisschen zu angestrengt.

Aber: Merkel hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie sich darin nicht ändern wird. Schon vergessen? Sie hat die erneute Kanzlerkandidatur der Union angenommen mit der Forderung, ihr zu helfen, wenn man sie schon nicht aus der Verantwortung lässt. Hilfe findet bis auf eine Ausnahme, Wolfgang Schäuble, nicht statt.

Ironie der Geschichte: Freunde und Weggefährten hatten der jungen Angela Merkel immer geraten, „ins Offene zu gehen“, Risiken zu wagen. Am Ende ihrer dritten Amtsperiode als Bundeskanzlerin geht sie nun erkennbar ins Innere. Jeder Tag dokumentiert, dass die Wähler das nur bekommen oder behalten können, was sie kennen. Angela Merkel ist da ganz bei sich. Sie ist – frei. Das bedeutet aber auch: frei, zu verlieren.

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