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Johnny Hallyday, Rocksänger aus Frankreich - und nationale Ikone. Er starb am 6. Dezember 2017.

© dpa

Helden und Ikonen: Kann Martin Schulz Deutschlands' Johnny Hallyday sein?

Ganz Frankreich trauerte um den Nationalrocker, drei Präsidenten standen Spalier, am Eiffelturm leuchtete "Merci". Welcher Tod könnte die gesamte deutsche Gesellschaft dermaßen ergreifen? Eine Kolumne

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Hinter den verschlossenen Türen der Redaktionskonferenz liefern die Großen dieser Welt sich manchmal blutige Duelle. In den Büros meiner Pariser Redaktion messen sich gerade Martin und Johnny. Martin steht für Martin Schulz, den ziemlich angespannten Chef der Sozialdemokraten. Johnny, das ist Johnny Hallyday, unser Nationalrocker. Er ist vor Kurzem in Paris gestorben.

Martin Schulz hatte nicht mal Zeit, die Pistole zu ziehen. Johnny hat ihn direkt erledigt. Und dass ich mich zwischen die beiden geworfen habe, hat auch nichts genützt. Deutschland steckt in der Klemme, und ich, eine naive Auslandskorrespondentin, hatte geglaubt, ganz Europa würde ungeduldig die Entscheidung der SPD erwarten. In Paris wurde darüber nur müde gelacht. „Martin Schulz? Machst du Witze? Johnny ist tot. Hast du das etwa nicht mitbekommen?“ Ich wies darauf hin, dass jenseits des Rheins niemand den französischen Elvis Presley kennt. Brigitte Bardot ja, auch Jean-Paul Belmondo, Mireille Mathieu und Charles Aznavour ganz bestimmt, selbst Juliette Greco... Aber wer kennt hier Johnny? Ich erinnerte meine Kollegen daran, dass das Machtvakuum in Berlin ganz Europa verstört und dass Martin, ja genau, Martin, die Dinge wieder in Bewegung bringen kann. „Nein, nein, du übertreibst doch! So ein Schwergewicht ist dein Martin auch nicht! Basta!“, war die Antwort eines Kollegen. Er gab mir zu verstehen, dass ich die Leitung blockierte. Ich legte auf. Die Hierarchisierung der Nachrichten folgt strengen Regeln. Es ist sinnlos, zu protestieren.

Die Redaktion wollte von Schulz und SPD nichts hören

Vorigen Samstag saß ich um zwölf Uhr mittags in Berlin vor meinem Fernseher. Ganz Frankreich verneigte sich vor Johnny Hallyday, 60 Jahre Karriere und ein Leben, das in den Illustrierten ausgebreitet wurde. Auf den Straßen von Paris Hunderttausende jeden Alters, unter dem Dach der Madeleine der ganze Gotha des Showbusiness und der Politik. Drei Präsidenten: Sarkozy, Hollande und Macron, der eine seiner schönen Reden hielt: „Johnny ist ein Teil von uns, ein Teil von Frankreich.“ Drei Generationen Franzosen sehen ihr Leben vorbeidefilieren. Ein Soziologe analysiert das Phänomen in der Zeitung „Le Monde“. „Es erinnert an den Trauerzug von Victor Hugo“, kommentierte anderswo ein Historiker. „Johnnys Tod hat für Frankreich eine ähnliche Bedeutung wie der Tod von de Gaulle“, sagt ein anderer noch woanders. Auf dem Eiffelturm steht in riesigen weißen Buchstaben „MERCI JOHNNY“.
Während Martin Schulz vom „Kulturwandel“ und der „Erneuerung“ spricht, die die deutsche Sozialdemokratie brauche, frage ich mich, ob etwas Vergleichbares in Deutschland möglich wäre. Welcher Tod könnte die gesamte deutsche Gesellschaft, von den Intellektuellen bis zu den breiten Volksschichten, dermaßen ergreifen? Wer könnte in Deutschland so starke Gefühle auslösen? Sicher kein Sänger. Helene Fischer? Herbert Grönemeyer? Udo Lindenberg? Nein! Kein Kanzler, kein Schauspieler und ganz bestimmt kein Sozialdemokrat könnte ein ganzes Volk über alle Schranken hinweg vereinen. Es sei denn... nach zweieinhalb Monaten Zögern, Spekulationen, Kehrtwendungen, nachdem unsere Nerven blank liegen – wenn die SPD sich jetzt eindeutig für die GroKo aussprechen würde, wäre es das Mindeste, wenn in großen weißen Buchstaben auf dem Brandenburger Tor stehen würde: DANKE MARTIN!
- Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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