zum Hauptinhalt
Harald Martenstein, Autor und Kolumnist.

© picture alliance / dpa

Harald Martenstein zur Flüchtlingsdebatte: Moral alleine hilft nicht

Nichts ist einfacher, als einen moraltriefenden Text über Flüchtlinge zu verfassen. Damit trägt man hauptsächlich dafür Sorge, selber als guter Mensch dazustehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Ein Reformvorschlag: Das Geld, das durch den Wegfall des Betreuungsgeldes frei geworden ist, sollte für Flüchtlingsfamilien verwendet werden. Da geht es auch um Kinder und ihre Zukunft.

Eine der beliebtesten Floskeln zur gegenwärtigen Völkerwanderung lautet: Man muss die Probleme in den Herkunftsländern der Flüchtlinge lösen. Schön gesagt. Aber wie soll das gehen, auf die Schnelle? Wir reden hier von Ländern wie Syrien, Irak, Mali, in Europa von Ländern wie Albanien.

Es handelt sich um Staaten, in denen Bürgerkriege herrschen, die von korrupten Eliten ausgeplündert werden oder die ganz einfach arm sind. Man kann diese Probleme lösen. Die Zielländer der Flüchtlinge müssten einfach Millionen Soldaten in all diese Länder schicken, von denen in den folgenden Kämpfen Tausende sterben würden, sie müssten die Regierungen absetzen und die Eliten entmachten, anschließend müssten sie dort neokolonialistische Regime einsetzen, die mit harter Hand für Frieden und Reformen sorgen.

In den europäischen Staaten würde es genügen, sie zu Protektoraten der EU zu machen, mit einem Sozialsystem, das von der EU finanziert wird. Diese Maßnahmen würden nicht zu paradiesischen Zuständen führen, aber doch zu besseren als heute. So ein Modell ist unmöglich durchzusetzen, es gäbe weltweit einen Sturm der Entrüstung.

Wer Verantwortung trägt, denkt anders

Besteht die Lösung also darin, unsere Grenzen zu öffnen und alle hineinzulassen? Das klingt sympathisch. Dieses Modell dürfte über kurz oder lang dazu führen, dass sich die Zustände in den Zielländern der Flüchtlinge den Zuständen in ihren Ursprungsländern annähern. Wäre damit irgend jemandem gedient?

Man kommt nicht darum herum, sich die Hände schmutzig zu machen. Es gibt keine moralisch einwandfreie Lösung, es kann nur Kompromisse geben. Ich beobachte da einen Widerspruch zwischen denen, die Verantwortung tragen, etwa dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, und vielen Kommentatoren, die hauptsächlich Sorge um ihr Image als gute Menschen tragen. Kretschmann sagt, dass man gewisse Herkunftsländer von der Zuwanderung ausschließen sollte, es geht ihm darum, die Zuwanderung zu filtern, nach humanitären Kriterien, womöglich sogar nach eigennützigen. Zu manchen Menschen, die ihr Land aus nachvollziehbaren, ehrenwerten Motiven verlassen haben, muss man sagen: Es geht nicht. Aber nichts ist einfacher, als einen moraltriefenden Text zu verfassen, der so tut, als sei das alles überhaupt kein Problem und als sei jeder, der es anders sieht, ein Helfer der Ausländerfeinde. Immer, wenn ich so etwas lese, denke ich: Ihr wollt gut dastehen. Aber wenn ihr morgen etwas von eurem Wohlstand abgeben sollt, regen die meisten von euch sich genauso auf wie alle anderen.

Zur Startseite