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Kirchen vorn, hier während eines ökumenischen Kreuzwegs in Lübeck an diesem Karfreitag. Die Grünen wollen auch anderen Religionen und nichtreligiösen Weltanschauungen Platz schaffen.

© Markus Scholz/ dpa

Grüne wollen Privilegien der Kirchen beschneiden: Jenseits von Kopftuch und Kruzifix

Deutschland wird auch religiös immer vielfältiger. Über politische Konsequenzen wird kaum geredet. Die Grünen machen jetzt einen Versuch.

Die Woche vor Ostern ist womöglich ein guter Zeitpunkt, über Glauben zu reden. Die Grünen haben’s getan. Vor ein paar Tagen ist der Abschlussbericht ihrer Kommission "Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat" erschienen, die sie im Oktober 2013 eingesetzt hatten, um eigene Positionen zum Verhältnis von Staat und Religion zu entwickeln.

Staatsgeld für die Domherren

Das Thema blitzte in den letzten Jahren immer einmal kurz und heftig auf - als es um muslimische Kopftücher und christliche Kruzifixe im Klassenzimmer ging - doch eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte wurde nie daraus. Entsprechend hoch ging zunächst es in der Kommission her, in der praktizierende Christinnen, Atheisten und – sowohl gläubige wie säkulare - Juden und Musliminnen saßen. “Wir brauchten anfangs erst einmal ein halbes bis dreiviertel Jahr, um Grund in unsere Diskussion zu bekommen”, erinnert sich Bettina Jarasch, Berliner Landesvorsitzende und Chefin der Religionskommission. Nicht in allen Punkten schafften sie am Ende Konsens. Was der Bericht auf 38 Seiten versammelt, lässt sich aber auch gut als kleines Handbuch darüber lesen, wie wenig in Deutschland Gott und der Staat getrennt ist und wie stark die Kirchen noch immer bevorzugt und andere Religionen und Weltanschauungen ausgeschlossen sind – vom Kirchensteuereinzug durch die staatlichen Finanzämter und den Strafrechtsparagraphen, der Gotteslästerung bestraft, über die Friedhofsordnungen bis zum Arbeitsrecht. In Kirche, christlichen Kitas und Sozialstationen wird nicht gestreikt, die katholische Kirche kann ihren Angestellten sogar eine zweite Ehe verbietet. Auch Kuriosa aus dem großen und teuren Feld der übrigen "Staatsleistungen" an die Kirchen sind versammelt. Bis 2010 zum Beispiel musste der Freistaat Bayern den Domkapitularen Wohnungen finanzieren.

 Gleiches Recht für Kirchenangestellte - auch im Privatleben

Der Bericht betont an vielen Stellen, dass auch die Grünen am inzwischen 100 Jahre alten deutschen Kooperationsmodell festhalten wollen. Seine grundlegenden Regeln stammen aus der ersten demokratischen deutschen Verfassung, der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Es ist nicht laizistisch, verbannt Religion nicht ins Privatleben, sondern fördert die Zusammenarbeit von Staat und Religionsgemeinschaften, bisher die Kirchen, etwa durch kirchliche Krankenhäuser, im Religionsunterricht an staatlichen Schulen oder in der  Sozialarbeit. “Neutralität und Trennung von Religion, Weltanschauung und Staat bedeuten kein Kooperationsverbot“, heißt es im Bericht, man wolle das Modell  aber „weiterentwickeln“. Sogar die Kirchensteuer hat Fans unter den Kommissionsgrünen. „Dieses solide Finanzierungssystem (hat) die Kirchen für die Gesellschaft geöffnet, statt sie zu radikalisieren“, heißt es in ihrem Bericht. Nicht zufällig seien christliche Fundamentalisten seine härtesten Kritiker. Ohne Steuern könnten die Kirchen von reichen Gönnern abhängig werden oder etwa ihre Hilfe für Menschen ohne Papiere nicht mehr finanzieren. Der Bericht enthält zwar auch die Gegenposition, aber: “Wir haben kein Kirchenkampfpapier geschrieben”, betont Jarasch, die selbst praktizierende Katholikin ist. "Das Papier ist ein Angebot zum Dialog." Die grünen Vorschläge zum kirchlichen Arbeitsrecht freilich, das gibt auch die Chefin  zu, “werden den Kirchen nicht gefallen: Die Kommission will zum Beispiel, dass das Betriebsverfassungsgesetz grundsätzlich auch für Angestellte der Kirche, von Diakonie und Caritas gilt. Schließlich seien sie mit 1,2 Millionen Beschäftigten nach dem Staat der größte Arbeitgeber, in vielen Gegenden hätten sie ein Monopol. Außerdem sollen die Kirchen, wie Unternehmen auch, ihre Finanzen offenlegen. Bisher sind Religionsgemeinschaften per Gesetz nicht zur Rechnungslegung verpflichtet.

Staatliche Trauerfeiern noch immer stark religiös

Für Einschnitte in die Privilegien der Kirchen sieht Jarasch allerdings sogar Verbündete in den Kirchen und ihren Sozialverbänden. “Da ist der Leidensdruck bereits groß”, sagt sie, vom Personal bis in die Chefebene. Schon jetzt müssten sie Abstriche machen, um an gutes Personal zu kommen. “Wenn dann der evangelische Chefarzt im Caritaskrankenhaus nach einer Scheidung wieder heiraten darf, der katholische aber nicht, ist das ein Dilemma.”

Während die Grünen-Kommission Einschnitte in die alten Vorrechte der Kirchen vorschlägt, will sie die Rolle der anderen Religionen und auch der nicht- oder antireligiösen Weltanschauungsvereine stärken. Staat und Gesellschaft seien „nicht hermetisch voneinander getrennt“. Zu zivilgesellschaftlichem Engagement, das der Staat unterstützen solle, gehörten „selbstverständlich auch die Arbeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“, heißt es im Text. Gemeint sind damit ausdrücklich nicht nur Muslime oder Buddhisten, sondern auch Religionskritiker, Atheisten und Säkulare wie der „Humanistische Verband“, der in Berlin Ethik-Unterricht organisiert. Es gelte auch, Konfessionslose „nicht einfach zu verneinnahmen“, sagt Jarasch. Aktuell sind das etwa 40 Prozent der Bevölkerung; als die Bundesrepublik 1949 gegründet wurde, gehörten noch 95 Prozent  der katholischen oder evangelischen Kirche an. Die Grünen-Kommission regt deshalb an, unter anderem die Rolle der Kirchen in offiziellen Gedenkritualen zurechtzustutzen. Der Staat könne nicht mehr bei jeder Trauerfeier für Katastrophenopfer oder tote Soldaten ausschließlich an sie „Sinnstiftung delegieren“.

Grüne sehen muslimische Verbände kritisch

Wie die Kirchen dürften auch die deutschen Muslime, deren wachsende Präsenz in den letzten Jahren Anfänge einer Debatte übers deutsche Religionsverfassungsrecht erst angestoßen hat, ihre Probleme mit dem Grünen-Papier bekommen. Die Grünen, traditionell auf Seiten muslimischer Emanzipation, sprechen den vier großen islamischen Verbänden nämlich ihre Kerneigenschaft ab: Ditib, Islamrat, Zentralrat der Muslime und VIKZ „erfüllen aus Sicht der Mehrheit der Kommissionsmitglieder zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die vom Grundgesetz geforderten Voraussetzungen an eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Religionsverfassungsrechts“. Im November waren bereits Grünen-Chef Cem Özdemir und Kommissionsmitglied Volker Beck mit einem entsprechenden Papier an die Öffentlichkeit gegangen. Der Jurist Engin Karahan, ein Kenner des deutschen Religionsverfassungsrechts, attestierte ihnen danach ein „eher katholisches Verständnis“ von dessen Regeln; ihr Erkenntnisstand sei zehn Jahre hinter der Zeit. Die Verbände selbst schwiegen dazu – wie bisher auch die Kirchen. Die freilich könnten andere Gründe haben, sind sie doch die Nutznießerinnen des bisherigen Systems. „Die Kirchen haben sich in der Debatte um ihre Rechte in letzten Jahren immer defensiv verhalten“, sagt Bettina Jarasch. „Das ist zwar verständlich, aber ganz falsch. Aus der Vertrauenskrise kommt die Kirche nur offensiv heraus, dazu gehört die Bereitschaft, über Reformen zu sprechen.“

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