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Die britische Regierungschefin Theresa May am Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel

© AFP

Gipfel in Brüssel: EU will intern über Handelsbeziehungen zu Großbritannien beraten

Beim Gipfel beschließen die 27 EU-Staaten, schon einmal intern über die künftigen Handelsbeziehungen zu Großbritannien zu beraten - eine Geste des Entgegenkommens.

Auf Fragen von Journalisten ließ sie sich nicht ein, als Theresa May am Freitagmorgen das Sitzungsgebäude in Brüssel betrat. Der kurz angebundene Auftritt der britischen Regierungschefin zu Beginn des zweiten Tages des EU-Gipfels muss aber nicht bedeuten, dass May als Verliererin vom Gipfel wieder nach London zurückkehrt. Denn als sie sich am Freitagvormittag von ihren Amtskollegen verabschiedete, berieten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden EU-Staaten im inzwischen bewährten 27er-Format weiter. Anschließend verabschiedeten sie eine Erklärung, der zufolge sie immerhin intern mit ihren Beratungen über die künftigen Handelsbeziehungen zum Vereinigten Königreich beginnen wollen.

Erst im Dezember wird mit einem Durchbruch gerechnet

Das war zwar nicht der große Durchbruch, auf den manche in London möglicherweise gehofft hatten. Noch am Vorabend hatte May beim Dinner in Brüssel an ihre Kollegen appelliert, bei den Brexit-Verhandlungen zu einer Einigung zu kommen, die sie hinterher auch gegenüber der britischen Bevölkerung vertreten könne. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings klar, dass die wichtigste Forderung der Briten erst einmal nicht erfüllt wird: der rasche Beginn von Verhandlungen zwischen London und den EU-27 über eine Übergangsperiode nach dem Austritt aus der EU im März 2019 sowie die künftigen Handelsbeziehungen zwischen beiden Seiten.

Bevor möglicherweise beim nächsten EU-Gipfel im Dezember ein Beschluss über den Beginn der nächsten Verhandlungsphase fallen kann, muss der EU-Chefverhandler Michel Barnier einen „ausreichenden Fortschritt“ bei den laufenden Verhandlungen über die Austrittsvereinbarung mit London feststellen. Allerdings kann Barnier bislang nicht Vollzug melden. Dies liegt vor allem an der Weigerung Londons, beim Streit ums Geld die Karten aufzudecken.

May: Kein EU-Land muss bis 2020 zusätzlich in europäische Kasse einzahlen

Vor ihrer Abreise aus Brüssel wiederholte May am Freitag bei ihrer Pressekonferenz die Zusage, dass in der laufenden EU-Haushaltsperiode bis 2020 wegen des Brexit kein EU-Land zusätzlich in die europäische Kasse einzahlen muss. Weil der britische EU-Beitrag pro Jahr bei rund zehn Milliarden Euro liegt, ergibt sich für die Jahre 2019 und 2020 – also nach dem Brexit – die Summe von 20 Milliarden Euro. Diese Zahl war auch bereits in britischen Medienberichten als mögliche britische Zahlung genannt worden.

Allerdings scheint klar, dass damit noch nicht die gesamte britische EU-Austrittsrechnung beglichen ist. May versicherte am Freitag erneut, dass Großbritannien zu sämtlichen finanziellen Verpflichtungen aus seiner EU-Mitgliedschaft stehen werde. In Brüssel geht man davon aus, dass die Schlussrechnung – wenn man beispielsweise auch Pensionszahlungen an EU-Beamte mit einbezieht – sich auf 60 bis 100 Milliarden Euro belaufen dürfte.

May machte am Freitag deutlich, dass vor einer Einigung noch eine Menge Detailarbeit bei den Verhandlungen zu leisten sein wird. Man werde im Interesse der britischen Steuerzahler „Zeile für Zeile“ bei den Verhandlungen über Londons Zahlungsverpflichtungen durchgehen, erklärte sie. Die Frage, ob man dann anschließend bei der Summe von 60 Milliarden Euro landen könnte, ließ sie allerdings offen.

Tusks Fahrplan für die Zeit bis 2019

Während sich die EU Schritt für Schritt von Großbritannien verabschiedet, gehört vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu denjenigen, die den Brexit für eine sichtbare Weiterentwicklung der EU nutzen wollen. Wie es mit der EU in den kommenden eineinhalb Jahren weitergehen könnte, skizzierte EU-Ratschef Donald Tusk in einem Fahrplan, den er den Gipfelteilnehmern am Freitagmorgen beim Arbeitsfrühstück vorlegte. Darin ist unter anderem vorgesehen, dass die Staats- und Regierungschefs im Dezember den Startschuss für die neue Kooperation im Rahmen der EU-Verteidigungsunion geben und im Juni 2018 Beschlüsse zur Reform der Euro-Zone fassen.

Kanzlerin Angela Merkel machte vor laufender Kamera im Gespräch mit Macron derweil keinen Hehl daraus, dass in ihrer Heimat die Gespräche zur Bildung einer neuen Regierung „kompliziert“ seien. Merkel hatte ihr eigenes Thema nach Brüssel mitgebracht, das sozusagen noch ein Überbleibsel aus der Wahlkampf-Diskussion um das angemessene Vorgehen angesichts der Rechtsstaats-Verstöße durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan war. Von ihrer damaligen Ankündigung im TV-Duell, über einen möglichen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit den europäischen Partnern zu reden, blieb beim Gipfel nur Merkels Feststellung übrig, dass ein solcher Abbruch im Kreis der 28 EU-Mitgliedstaaten nicht zur Debatte stehe. Ohnehin würde man für einen solchen Schritt die Einstimmigkeit aller EU-Mitglieder benötigen.

Vorbeitrittshilfen für Ankara sollen gekürzt werden

Durchsetzen konnte sich Merkel dagegen mit ihrer Forderung, die so genannten EU-Vorbeitrittshilfen für die Türkei zu kürzen. Die EU-Kommission hat nun den Auftrag, die Vorbeitrittshilfen „in verantwortbarer Weise“ zu mindern, wie Merkel erklärte. Allerdings ist seit 2014 lediglich die Summe von 260 Millionen Euro an Vorbeitrittshilfen Richtung Ankara geflossen – ein kleiner Betrag im Vergleich zu jenen insgesamt sechs Milliarden Euro, mit denen die Türkei im Rahmen der EU-Flüchtlingsvereinbarung weiterhin rechnen kann.

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