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Die Bronzeskulptur "Unbearable" des dänischen Künstlers Jens Galschiot im Rheinaue-Park in Bonn.

© AFP/Patrik Stollarz

Gipfel in Bonn: Warum auch Europa beim Klimaschutz hinkt

In Bonn muss sich auch und gerade die europäische Politik für ihre Strategie beim Klimaschutz rechtfertigen. Lasche Ziele, der Emissionshandel und der Einfluss der Autolobby stehen im Mittelpunkt der Kritik.

„Es wird nicht der Rückwärtsgang bei der Energiewende eingelegt. Es gibt kein Zurückweichen vom Pariser Abkommen.“ Diese Sätze stammen vom Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker. Sie fielen in Brüssel in diesem Juni, als die USA gerade ihren Austritt aus dem Abkommen erklärt hatten. An gefälligen Worten mangelt es nicht. Aber die Zweifel daran, dass die EU Ernst macht mit der Klima- und Energiewende, sind in den vergangenen Monaten gewachsen.

Immerhin: Auf der Weltklimakonferenz in Bonn ist die EU mit ihren wichtigsten Politikern vertreten, zum Beispiel dem für Klimaschutz und Energie zuständigen Kommissar Miguel Arias Cañete. Anwesend ist auch der Vizepräsident für die Energieunion, Maroš Šefcovic. Die EU werde auf der Konferenz für Transparenz werben, ist von Experten zu hören. Im Klimaschutz spielt sie eine entscheidende Rolle. Denn nur wenn man genau weiß, wie viel Treibhausgas einzelne Staaten produzieren, kann es verbindliche Regeln für alle geben, die auch eingehalten werden. Zudem wirbt die EU dafür, dass die Länder ihre nationalen Beiträge zum Klimaschutz verschärfen werden.

Experten halten die Ziele der EU für zu lasch

Da müsste sie selbst jedoch beginnen. Die EU hat sich das Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Bis 2050 sollen es um 80 bis 95 Prozent sein. Gerade das 2030-Ziel scheint zu lasch zu sein. Die Umweltorganisation WWF fordert eine Reduzierung von etwa 55 Prozent bis 2030. „Die EU behauptet, Führung im Klimaschutz zu übernehmen. Aber leider verhält sie sich nicht so, dass sie diese Rolle erfüllen kann“, sagt auch Ulrikka Aarnio von der Klimaschutzorganisation CAN Europe.

Die Welt im Blick: Auf der Klimakonferenz in Bonn stellt sich auch die Frage, ob Europa genug für das Klima tut.
Die Welt im Blick: Auf der Klimakonferenz in Bonn stellt sich auch die Frage, ob Europa genug für das Klima tut.

© dpa/Oliver Berg

Erwähnenswert ist, dass die EU erstmals Energie- und Klimaziele nur deshalb vereinbarte, weil Deutschland darauf drängte. Das war 2007, Deutschland bekleidete damals den Vorsitz des Europäischen Rates. Gerade Deutschland könnte seine eigenen Klimaziele allerdings verfehlen. Schon seit Jahren wird befürchtet, dass die Zielmarke von 40 Prozent minus bis 2020 deutlich – womöglich um acht Prozentpunkte – verpasst wird. Bei der EU sieht es ebenfalls nicht gut aus, obwohl die Ziele niedrig angesetzt sind. Die Vereinten Nationen kamen in ihrem „Emissions Gap Report“ erst vor Kurzem zu dem Ergebnis, dass die EU Gefahr laufe, die selbst gesteckten Ziele zu verfehlen.

Es geht um Emissionen, Zertifikate und Überschüsse

Ein zentrales Instrument, um die Emissionen in Europa zu reduzieren, ist der europäische Emissionshandel. Er begrenzt die Menge an CO2-Emissionen im Stromsektor dadurch, dass er Kraftwerken und Industrieanlagen nur eine bestimmte Anzahl an Emissionsrechten – sogenannte Zertifikate – gibt. Ein Zertifikat entspricht einer Tonne CO2 Liberale Ökonomen befürworten an diesem System, dass es dem Markt überlassen bleibt, wie Energieversorger und Unternehmen ihre Emissionen senken. Reduzierungen würden so zu den geringsten Kosten für die Wirtschaft vorgenommen.

So lautet die Theorie. In der Praxis besteht seit vielen Jahren das Problem, dass zu viele Zertifikate auf dem Markt sind – zuletzt knapp drei Milliarden. Grund für diese Überschüsse waren das geringe Wirtschaftswachstum und die Anrechnung vermeintlicher Emissionsminderungen außerhalb Europas. Der Zertifikate-Preis dümpelt deshalb bei fünf bis sieben Euro. Mit diesem Preis haben Unternehmen kaum einen Anreiz, ihre Emissionen zu senken. Laut Experten müsste die Tonne CO2 dafür mindestens fünfmal so teuer sein.

Gabriel versuchte, Interessen der Autobauer durchzusetzen

Schwierig sind Kompromisse bei der Energiepolitik in der EU zum einen, weil die Energiemärkte der Mitgliedsstaaten so unterschiedlich gestaltet sind. Während Frankreich massiv auf Atomkraft setzt und es leichter hat, recht strenge Klimaziele zu erfüllen, hat Polen viel Kohlekraft im System und es dementsprechend schwer. Zum anderen hat jeder Mitgliedstaat ein Interesse daran, die eigene Wirtschaft zu schützen. Noch-Außenminister Sigmar Gabriel lieferte dafür kürzlich ein Paradebeispiel. In einem Brief an Energiekommissar Cañete bat er darum, von strengen CO2-Grenzwerten bei Pkw abzusehen, da die deutsche Automobilindustrie diese nur schwer verkraften würde.

Am vergangenen Donnerstag erzielten die Chefunterhändler aus den verschiedenen Gremien der Europäischen Union trotzdem einen Kompromiss darüber, wie das Problem der überschüssigen Zertifikate in den Griff zu bekommen sein soll. Dass die Einigung genau jetzt kommt, ist der Weltklimakonferenz in Bonn geschuldet. Zentraler Punkt der Reformen ist, dass überschüssige Zertifikate in einer Art Reserve geparkt werden und zudem eine große Menge endgültig gelöscht wird. Experten schätzen, dass es sich dabei um mehr als zwei Milliarden Zertifikate handelt. Die Löschung soll verhindern, dass CO2-Einsparungen in einem Land es anderen EU-Ländern ermöglichen, mehr zu emittieren.

Auch Konzerne fordern radikalere Maßnahmen

Eine radikalere Maßnahme wäre beispielsweise ein CO2-Mindestpreis, den die Mitgliedsstaaten jeweils beschließen würden. Einen solchen Preis fordern mittlerweile nicht mehr nur Umweltverbände, sondern auch große Konzerne. So plädieren die deutschen Energieversorger Eon und EnBW für die Einführung eines CO2-Mindestpreises von 30 Euro. Wenn schon Teile der Wirtschaft für strengeren Klimaschutz sind, könnte man meinen, dass die Politik es auch langsam schaffen sollte, Ernst zu machen.

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