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Was wird eigentlich aus den Opfern von Naturkatastrophen wie der aktuellen Dürre in Thailand, die nicht genug Geld haben, um ihre Heimat zu verlassen? Das fragt sich Susanne Melde von der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

© Rungroj Yongrit/dpa

Gibt es Klimaflüchtlinge?: Rette sich, wer kann

Viele Umweltflüchtlinge sind zu arm, um weit wegzugehen. Für diese Menschen wird noch viel zu wenig getan. Zumindest sind sie aber in den Pariser Klimaverhandlungen angekommen - unter der Überschrift: Verluste und Schäden.

Für den neuen Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep), Erik Solheim, steht fest, dass der Klimawandel beim Austrocknen des Tschadsees eine Rolle spielt. Und dass diese dramatische Umweltveränderung, die hunderttausende Fischer arbeitslos gemacht hat, bei der militanten Auseinandersetzung mit der Terrororganisation Boko Haram ein Krisenfaktor ist. Mariam Traore Chazalnoel von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist da vorsichtiger. Studien gebe es dazu noch keine, sagt sie. Aber einen plausiblen Zusammenhang erkennt sie auch. Dass der Klimawandel ein Verstärker für Krisen und Konflikte ist, darüber ist sich die Forschung inzwischen ziemlich einig. Der Thinktank Adelphi listet in einem vom Auswärtigen Amt bezahlten Projekt in einer stetig wachsenden Datenbank Konflikte mit und ohne Bezug zu Umweltveränderungen wie dem Klimawandel auf. Der Tschadsee-Konflikt, der den Norden Nigerias, den Niger, den Tschad und Kamerun betrifft, ist dort auch zu finden.

Weiter umstritten ist hingegen die Frage, inwieweit Umweltveränderungen wie der Klimawandel auch Migrationsbewegungen auslösen können. Das Thema wird auch beim ersten Migrationsgipfel, zu dem der scheidende UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Mitte September eingeladen hat, intensiv diskutiert werden. Susanne Melde, Leiterin des vor fast einem Jahr in Berlin gegründeten Datenzentrums Umwelt und Migration, nennt für die Zahl der Binnenvertriebenen - also Menschen, die flüchten mussten, aber im eigenen Land geblieben sind - 8,6 Millionen neu Vertriebene durch Konflikte und 19,2 Millionen durch Naturkatastrophen nur im Jahr 2015.

Über Klimaflüchtlinge will niemand reden

In der UN-Flüchtlingskonvention sollen Klimaflüchtlinge allerdings nicht thematisiert werden. Die Angst, bisher anerkannte individuelle Fluchtgründe könnten im Zuge einer solchen Debatte wieder infrage gestellt werden, ist bei allen Akteuren der Flüchtlingspolitik viel zu groß.

Im Pariser Klimaabkommen dagegen hat die Debatte ihren Platz gefunden - unter der Überschrift „Verluste und Schäden“ werden die nicht mehr vermeidbaren Klimaschäden diskutiert. Migration als Strategie zur Anpassung an den Klimawandel ist da ein Thema unter vielen, aber Mariam Traore Chazalnoel ist zufrieden, dass es überhaupt irgendwo diskutiert wird. Susanne Melde weist darauf hin, dass umweltbedingte Migration in den seltensten Fällen nach Europa führt. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum die Bundesregierung nicht nur das IOM-Datenzentrum fördert, sondern auch zu den aktiven Regierungen der sogenannten Nansen-Initiative gehört, die sich darum bemüht, den Rechtsstatus von Umweltflüchtlingen, die die Landesgrenzen überschreiten, zu verbessern.

Auf der Flucht vor Naturkatastrophen

Susanne Melde sieht in Opfern von Naturkatastrophen, die so arm sind, dass sie gar nicht flüchten können, das größere Problem. Sie gehören nicht zu den weltweit rund 244 Millionen von gut sieben Milliarden Menschen, die ihre Heimat aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen. Die Zahl der politisch, wegen ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität Verfolgten, ist im Vergleich dazu klein. Diese werden unter der UN-Flüchtlingskonvention geschützt. Weniger Rechtsschutz genießen diejenigen, die vor Kriegen flüchten. Wer wegen eines Wirbelsturms, eines Erdbebens, einer Flutkatastrophe oder einer Dürre flüchtet, hat keinen Schutzstatus. Dabei sind die Umweltbedingungen, die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die oft genug auch damit zu tun hat, ob jemand zu einer ethnischen und oder religiösen Minderheit gehört, oder aus anderen Gründen diskriminiert wird, immer nur ein Faktor. Menschen machen sich auf in die Fremde, wenn sie anderswo eine Lösung für zumindest einen Teil ihrer Probleme erwarten - und wenn sie es sich leisten können.

Anpassung an den Klimawandel

Melde ist an Studien beteiligt, die untersuchen, ob Migration eine Anpassung an den Klimawandel sein kann. In Vietnam sind bereits zehntausende Fischer umgesiedelt worden, um dem steigenden Meeresspiegel zu entgehen. In den neu gebauten Dörfern im Inland fanden die Fischer aber keine Arbeit. „Viele sind deshalb in ihre gefährdeten Dörfer zurückgekehrt“, berichtet Melde. In Haiti dagegen lasse sich zumindest statistisch nachweisen, dass diejenigen, die nach dem großen Erdbeben oder nach einem der großen Wirbelstürme ihre Häuser verlassen haben, auch wirtschaftlich besser dran waren als jene, die geblieben waren.

Für Melde werden die Fragen, die sich aus den Forschungen des IOM-Datenzentrums ergeben, bisher nicht gestellt. Wie können die Menschenrechte derjenigen, die wegen Naturkatastrophen oder sich verschlechternden Umweltbedingungen wie Wüstenbildung oder dauerhafte Dürre ihre Region verlassen müssen, geschützt werden? Womöglich wird im Rahmen der Klimaverhandlungen in den kommenden Monaten auch darüber beraten, wie die Grundsätze der Nansen-Initiative, also das Recht, eine Grenze zu überschreiten und dort ein Mindestmaß an Versorgung zu erhalten, auch für Binnenvertriebene gelten könnte. Wichtig ist aber nicht zuletzt die Frage, was mit denen passiert, die nicht gehen können.

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