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Auch im Berufsrecht der Ärzte jetzt nicht mehr verboten: die Beihilfe zum Suizid.

© dpa

Gesetzentwurf verabschiedet: Bundestag verbietet organisierte Beihilfe zum Suizid

Geschäftsmäßige Sterbehilfe ist in Deutschland künftig strafbar. Was sieht der jetzt vom Bundestag verabschiedete Gesetzentwurf vor?

Was ist beschlossen worden?

Mit 360 Ja-Stimmen, 233 Nein-Stimmen und neun Enthaltungen votierte der Bundestag am Freitag mit überraschend klarer Mehrheit dafür, dass "geschäftsmäßig" betriebene Suizidbeihilfe, wie sie etwa von Sterbehilfevereinen angeboten wird, künftig unter Strafe steht. "Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft", heißt es in dem beschlossenen Entwurf. Damit bleibt die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich weiter erlaubt. Sie kann aber geahndet werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie regelmäßig erfolgt oder "auf Wiederholung angelegt" ist – und nicht nur, wenn ein kommerzielles Interesse dahintersteckt.

Mit welchen Argumenten setzten sich die Verbotsbefürworter durch?

Ihr Hauptargument war ein doppeltes. Mit der Not todkranker Menschen dürfe hierzulande kein Geschäft gemacht werden. Und: Suizidbeihilfe dürfe in unserer Gesellschaft nicht zum Normalfall und zur ärztlichen Regelleistung werden. Eindringlich warnten die am Ende erfolgreichen Abgeordneten davor, dass alte, pflegebedürftige, behinderte und depressive Menschen durch die Erlaubnis von ärztlich assistiertem Suizid, wie sie von einer Abgeordnetengruppe um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) gefordert worden war, zunehmend unter Rechtfertigungsdruck geraten könnten. Plötzlich, so brachte es die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg auf den Punkt, gebe es "für solche Fälle dann eine ganz einfache Lösung". Und das Erbe für Kinder und Enkel müsse "nicht mehr für teure Pflege aufgebraucht werden".

Wichtig für den Erfolg dürfte aber auch gewesen sein, dass die Gruppe darauf bedacht blieb, mit ihrem Vorstoß Maß zu halten. Man denke nicht daran, den Suizid von Menschen verbieten zu wollen, versicherten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) gleich zu Beginn der Debatte. Auch die Beihilfe durch Angehörige oder Vertraute bleibe straffrei. Und wenn Mediziner ihren Patienten im Not- und Einzelfall bei der Selbsttötung assistierten, bräuchten sie ebenfalls nichts zu befürchten. Man habe "genau darauf geachtet, dass der ärztliche Freiraum erhalten bleibt". Durch das angestrebte Verbot von geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe finde "keine Kriminalisierung von Ärzten" statt. Dies habe man von der Bundesärztekammer ausdrücklich bestätigt bekommen.

Es sei "richtig, dass unsere Rechtsordnung zu dem persönlichen Drama eines Suizids schweigt", betonte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Aber es mache eben "einen Unterschied, ob man dies quasi als Dienstleistung anbietet". Mit dieser Akzentuierung unterschied sich der beschlossene Entwurf entscheidend von dem einer Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU), die nahezu alle Formen von Suizidbeihilfe unter Strafe stellen wollte. In der Debatte unterschied Sensburg nicht groß zwischen aktiver Sterbehilfe und Beihilfe. Für die Selbsttötung verwendete er den Begriff "Selbstmord".

Daneben könnte für unentschlossene Abgeordnete die Positionierung von Kirchenmännern, Ärztevertretern und wichtigen Politikern eine Rolle gespielt haben. Neben Gröhe hatten Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe unterstützt. Und die Fraktionschefs von Union, SPD und Grünen hatten diesbezüglich sogar trotz aufgehobener Fraktionsdisziplin an die Parlamentarier appelliert.

Was ist an dem beschlossenen Verbot besonders umstritten?

Der Haupteinwand war, dass man Menschen in größter Not alleine lasse und durch das Verbot professioneller Hilfe möglicherweise in einen noch grausameren Suizid treibe. Der verwendete Begriff einer "geschäftsmäßigen" Suizidbeihilfe sei derart unklar, dass dadurch über jedem engagierten Krebsarzt oder Palliativmediziner "das Damoklesschwert eines Strafverfahrens" hänge, sagte Renate Künast (Grüne). Schon wenn er ein zweites Mal helfe, könne einem Mediziner unterstellt werden, sein Tun "auf Wiederholung angelegt" zu haben. Außerdem, so gab die Grünen-Abgeordnete Katja Keul zu bedenken, handelten Ärzte "im Rahmen ihrer Berufstätigkeit per se geschäftsmäßig und nicht ehrenamtlich". Eine Folge werde sein, dass kein Arzt mehr das Risiko einer Suizidbeihilfe auf sich nehme und auch die Beratungen nicht mehr ergebnisoffen seien, prophezeite Karl Lauterbach (SPD). Ex-Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) zeigte sich sicher, dass das neue Gesetz wegen solcher Unklarheiten beklagt werde.

"Über die Köpfe von Sterbewilligen zu entscheiden, empfinde ich als inhuman", sagte Kai Gehring (Grüne). Damit erinnerte nicht nur er daran, dass sich eine klare Bevölkerungsmehrheit bei der Entscheidung über ihr Lebensende nicht hereinreden lassen will. Der Bundestag dürfe nicht unter der "Flagge einer Moral" segeln, die nur von einer Minderheit vertreten werde, sagte Hintze. Der Beschluss könne aber auch unter anderer Hinsicht "historisch" sein, spottete Dagmar Wöhrl (CDU). Schließlich stelle man, so betonte sie, "die Beihilfe zu einer straflosen Haupttat unter Strafe". Einige unterstellten den Initiatoren auch religiöse Motivation. Die aber habe, sagte der Grünen-Abgeordnete Gehring, "im Strafrecht nichts zu suchen". Sie könne nicht verstehen, sagte Petra Sitte (Linke), weshalb die Politik glaube, "jahrhundertelange liberale Traditionen" über Bord werfen und "plötzlich so massiv in die Souveränität der Menschen eingreifen zu müssen".

Wie verlief die Debatte?

Gar nicht mal so heftig und emotional, wie es nach Gereiztheiten zwischen Verbotsbefürwortern und Verbotsgegnern zu erwarten gewesen war. Aber eben doch sehr polarisiert. Die einen warnten vor den Risiken eines Verbots durch die Kriminalisierung von Ärzten, die anderen vor der Signalwirkung eines Nicht-Verbots auf die Tätigkeiten geschäftstüchtiger Sterbehelfer. Die einen beschworen den Wert von Selbstbestimmung, die anderen die Schutzbedürftigkeit von  Todkranken, deren Suizidwunsch oft bloß der Wunsch nach Zuwendung und Schmerzlinderung sei. Und insbesondere von den Verbotsgegnern gab es auch wieder sehr persönlich gefärbte Schilderungen über das Elend allein gelassener Suizidwilliger. Allerdings bot die Debatte auch manche Überraschung. Der als friedlich geltende Gesundheitsminister verwahrte sich in ungewohnter Heftigkeit gegen die Unterstellung, dass er Todkranken den Staatsanwalt ans Sterbebett setzen wolle. Karl Lauterbach (SPD) vergaß angesichts des Wortgefechts und der Ablehnung des gegnerischen Vorhabens ganz, seinen eigenen Antrag auf die Erlaubnis von ärztlich assistiertem Suizid zu bewerben.

Was geht es nun weiter?

Der neue Straftatbestand soll als Paragraf 217 ins Strafgesetzbuch eingefügt werden. An dieser Stelle, zwischen der Tötung auf Verlangen (216 StGB) und dem Schwangerschaftsabbruch (218 StGB), stand bis 1998 noch die Kindstötung – ein Sonderfall des Totschlags, der milder bestraft wurde, wenn eine Mutter ihr "nicht eheliches" Kind umgebracht hat. Künftig geht es dort nun um "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung". Dabei ist Hilfe zur Selbsttötung bisher straflos und soll es auch bleiben – soweit sich diese Hilfe auf einen Einzelfall beschränkt. Ins Visier rücken nun Organisationen wie die des ehemaligen Hamburger Senators Roger Kusch, dessen Verein nach Prüfung eines Sterbewunsches Gift und Hilfe bereitstellt. Angehörige oder enge Freunde eines Sterbewilligen, die Kontakte zu solchen Organisationen herstellen, bleiben von der Strafandrohung verschont. Voraussetzung ist auch hier, dass sie nicht "geschäftsmäßig" handeln.

"Geschäftsmäßig" ist dem Entwurf zufolge jede auf Dauer angelegte, sich wiederholende Suizidförderung. Um ein Geschäft im umgangssprachlichen Sinn, also einen Erwerb oder einen Geldvorteil, geht es nicht. Verwerflich sei das "Eigeninteresse" des Anbieters, aus seiner Tätigkeit eine Art Dienstleistung machen zu wollen. Die sogenannte "Hilfe beim Sterben", etwa durch Palliativmediziner im Krankenhaus, wird demgegenüber als "eindeutig nicht strafbar" erklärt. Ebenso die Hilfe im Einzelfall aus altruistischen Motiven. Heikel ist die Frage, ob Mediziner durch die neue Regelung nicht dennoch kriminalisiert werden könnten. Denn die Begründung des Gesetzes ist später für Staatsanwaltschaften und Gerichte eine Auslegungshilfe, auch wenn sie selber nicht zum Gesetz gehört.

Der Entwurf geht davon aus, dass Unterstützung beim Sterben typischerweise nicht zum Arztberuf gehört, da hier das Heilen im Vordergrund steht. Mediziner, die sich als Sterbehelfer profilieren wollen, könnten mit dem neuen Gesetz deshalb in Konflikt kommen. Reduziert sich die Tätigkeit eines Palliativmediziners etwa auf Sterbebegleitung, könnte dies "geschäftsmäßig" und strafbar sein.

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