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Was so schön sein kann, muss auch der Verfassung entsprechen.

© Wolfgang Kumm, dpa

Gesetz zur Gleichstellung: Ist die "Ehe für alle" verfassungswidrig?

Die Gesetzesänderung verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes. Eine Verfassungsänderung ist zwingend erforderlich. Ein Gastkommentar.

Der Deutsche Bundestag hat am 30. Juni 2017 mit einer Mehrheit von 393:226 Stimmen das Gesetz zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Ehen beschlossen und damit die „Ehe für alle“ eingeführt. Der Gesetzesbeschluss enthält eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das bislang für die Ehe Partner verschiedenen Geschlechts vorschrieb. Die Gesetzesänderung verstößt eindeutig gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und erweist sich deshalb als verfassungswidrig.

Die Entstehungsgeschichte des Art. 6 weist aus, dass der Verfassungsgeber die Erwähnung, die Ehe sei die „rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“ ihrer Selbstverständlichkeit wegen für überflüssig erachtet und sich mit der Wendung begnügt hat, „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Damit ist evident, dass der Verfassungsgeber als Kennzeichen des Ehebegriffs in Art. 6 Abs. 1 GG die Geschlechtsverschiedenheit der Ehepartner bestimmt hat.

Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass in der Endfassung – im Gegensatz zu den Vorfassungen – die Geschlechtsverschiedenheit nicht ausdrücklich in das Grundgesetz aufgenommen worden ist. Einem solchen Einwand ist entgegen zu halten, dass auch die übrigen Definitionsmerkmale des Ehebegriffs in Art. 6 Abs. 1 GG – nämlich die grundsätzlich lebenslange Dauer, die Erreichung eines Mindestalters und die staatliche Mitwirkung bei der Eheschließung – nicht in die Bestimmung des Grundgesetzes aufgenommen worden ist. Ebenfalls eindeutig ist, dass eine Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern bei der Beratung des Grundgesetzes außerhalb jeder Denkmöglichkeit lag.

Der vom Verfassungsgeber vorausgesetzte Ehebegriff ist vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden. In seinem Urteil vom 17. Juli 2002 definiert das Bundesverfassungsgericht die Ehe im Sinne des Grundgesetzes als „die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft (...), begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates (...), in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen (...) und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können (...).“

Der verfassungsrechtliche Ehebegriff wurde nie in Frage gestellt

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Folgezeit mehrfach Gelegenheit gehabt, über das Verhältnis von Ehe und Lebenspartnerschaft zu judizieren. Hierbei ist stets Art. 3 Abs. 1 GG als Maßstab gewählt worden. In keinem der Urteile ist allerdings der verfassungsrechtliche Ehebegriff in Frage gestellt worden. Es ist deshalb festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Ehe als Rechtsinstitut definiert, indem Mann und Frau eine lebenslange Verbindung eingehen, die der Mitwirkung des Staates bedarf.

Grundsätzlich ist ein Verfassungswandel denkbar, weil sich Staat und Gesellschaft im Laufe der Geltung des Grundgesetzes nicht wenig gewandelt haben. Allerdings hat sich das Verständnis der Ehe keineswegs gewandelt, sondern steht bis zum Inkrafttreten der beschlossenen Novelle zum BGB nur Personen unterschiedlichen Geschlechts offen. Da ein solcher Wandel der Verfassung, der nicht zu verwechseln ist mit einer zunehmend liberalen öffentlichen Meinung, auszuschließen ist, bedarf es zur Öffnung der Ehe für Partner gleichen Geschlechts einer Verfassungsänderung. Diese könnte lauten, dass die Ehe eine auf Dauer angelegte Verbindung von Personen gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts ist und der näheren Ausformung durch die Gesetze bedarf.

Ehe und Familie werden in Art. 6 Abs. 1 GG in einem Atemzug genannt

Ein weiterer zwingender Grund für die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung liegt in der inhaltlichen Verbindung von Ehe und Familie, die in Art. 6 Abs. 1 GG gewissermaßen in einem Atemzug genannt werden. Die Vorstellung des Grundgesetzgebers ist zweifelsfrei die gewesen, dass die Ehe die Vorstufe zur Familie bildet, was auch heute noch der Regelfall ist. Gleichgeschlechtliche Partner sind aber nicht in der Lage, selbst Kinder hervorzubringen. Die Möglichkeit einer gemeinsamen Adoption ist zwar ein denkbarer Ausweg, entspricht aber nicht der Vorstellung des Verfassungsgebers.

Die überwältigende Mehrheit, mit der die Novelle zum BGB beschlossen worden ist, lässt erkennen, dass die Öffnung der Ehe für Partner gleichen Geschlechts dem „Mainstream“ unserer Gesellschaft entspricht und abweichende Auffassungen gern als konservativ oder gestrig angesehen werden. Diese Position mag politisch verständlich sein, ändert aber nichts an der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung. Sofern das Grundgesetz bestimmte Inhalte zweifelsfrei vorgibt, können diese auch nicht mit einer noch so überwältigenden Mehrheit im Parlament geändert werden, wenn eine Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes nicht beabsichtigt ist.

Es bleibt deshalb der Befund, dass die beschlossene Öffnung der Ehe für Partner gleichen Geschlechts gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstößt. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist deshalb zwingend erforderlich. Als prozessuale Möglichkeit steht allein ein Normenkontrollverfahren zur Verfügung, für das unter den gegebenen Umständen nur der Antrag einer Landesregierung in Betracht kommt.

- Jörn Ipsen ist ein deutscher Staats-, Verfassungs- und Verwaltungsrechtler. Er war bis zu seiner Pensionierung 2012 ordentlicher Professor an der Universität Osnabrück (ab1981) und seit der Gründung 1989 Direktor des Instituts für Kommunalrecht. Er fungierte von 2007 bis 2013 als Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes.

Jörn Ipsen

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