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Politik: Georgi Dimitroff: Held und Schurke

Er war für viele Jahre ein Held des Antifaschismus, dazu einer der umtriebigsten Funktionäre der kommunistischen Partei in ihrer stalinistischen Epoche, ein "Steuermann" der gedachten Weltrevolution und einer der einflussreichsten Ideologen. Mit dem Bulgaren Georgi Dimitroff ist die Geschichte der Komintern eng verbunden.

Er war für viele Jahre ein Held des Antifaschismus, dazu einer der umtriebigsten Funktionäre der kommunistischen Partei in ihrer stalinistischen Epoche, ein "Steuermann" der gedachten Weltrevolution und einer der einflussreichsten Ideologen. Mit dem Bulgaren Georgi Dimitroff ist die Geschichte der Komintern eng verbunden.

In Berlin wurde er einige Tage nach dem Reichstagsbrand 1933 unter dem falschen Namen Dr. Steiner verhaftet. Er sollte den Brandstifter Marinus van der Lubbe unterstützt haben. Im Gefängnis begann er Notizbücher zu füllen. Diese Texte sind Gedächtnisstütze, Rechenschaftsbericht, Protokoll, Aktenersatz und Tätigkeitsbericht. Dimitroffs Stunde als Held schlägt mit dem ersten Verhandlungstag vor dem Reichskammergericht. Als Angeklagter zieht er die Zuhörer durch seine messerscharfen Zwischenfragen in den Bann. Er tritt als Anwalt in eigener Sache auf, als Gegenspieler Görings, der nichts unversucht lässt, den politischen Feind zu kriminalisieren. Die Absicht misslingt, Dimitroff wird freigesprochen. Aber er bleibt, unter Aufsicht der Gestapo, in "Schutzhaft".

Ende Februar 1934 wird er nach Moskau ausgewiesen: "Es ist schwer sich vorstellen, grandiosere Empfang und Sympathie und Liebe. Wie ist alles geändert!" Bei den Feierlichkeiten zum 1. Mai in Moskau wurde er auf die Ehrentribüne gehievt. In den Tagebüchern häuft sich die Bemerkung "photographiert". Ein unvermeidlicher Aufstieg. 1935 wurde er Generalsekretär der Komintern, und er verwickelte sich tief in die verbrecherischen Praktiken Stalins. Gleichzeitig war er einer von vielen: durch Angst vor dem Terror gezeichnet.

1935 tauchen die handelnden Großfiguren auf: hinter Stalin Molotow und Kaganowitsch, Jagoda, Woroschilow, Mikojan, Bulganin, Chrustschow, Berija. Der Mord am ZK-Sekretär Kirow im Dezember 1934, das Fanal für die Säuberungswelle, findet sich im Tagebuch nur als erstaunter Ausruf wieder. Im August 1936 ausschließlich ein dürres Notat über den Beginn des Schauprozesses gegen Stalins alte Kampfgefährten Kamenew und Sinowjew. Da lobt Stalin seinen Generalsekretär und dessen Umarmungskurs, der 1935 gegenüber den Parteien im Westen eingeschlagen worden war. Ein Jahr später überliefert Dimitroff dann dessen Ausspruch: "Die Erfolge der Volksfront, das ist ihr Verdienst. Sie haben, als sie hier ankamen, den europäischen Geist mitgebracht."

Dimitroff selbst stellt eine Gruppe zusammen, die zu den Moskauer Prozessen die Informationen zensiert. Mit sich allein wagt er versteckte Kritik: "Belastend ist der Eindruck, den die unflätige Beschimpfung der Angeklagten hervorruft." Dimitroff wird seine Zweifel an dem Geschehen, das er mit seinem globalen Apparat rechtfertigt, nie ganz loslassen. In der Nähe des Diktators sind die Fronten unabsehbar. Bei den Revolutionsfeierlichkeiten 1937 exerziert die Nomenklatura ein mächtiges Besäufnis. Als Dimitroff einen Toast ausbringt, macht Stalin einen seiner tückischen Ausfälle. Einerseits betont er die Freundschaft zum Generalsekretär der Komintern, andererseits wird behauptet, sein Lobredner habe sich "sogar auf nichtmarxistische Weise ausgedrückt". Ein Todesbote geht durch den Raum.

Die Verhafteten und Verschwundenen schwinden auch aus den Seiten des Tagebuchs: keine Fragezeichen hinter den Namen, kein Erinnern an sie. Stalin zeigt hinter seinen vielen Masken bisweilen die Fratze des unverblümten Mörders: "Und wir werden jeden dieser Feinde vernichten, sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten." Dimitroff fällt, bei mehreren Anlässen nicht in der Presse erwähnt, in einen Abgrund aus Befürchtungen. Zum Schlimmsten gehört, dass man nicht handeln kann: "Was tun? Welche Schlussfolgerungen daraus ziehen? Haben uns entschieden, abzuwarten, nachzudenken!" Ein ohnmächtiger Mächtiger.

Die Einschläge kommen näher. Dimitroffs enger Mitarbeiter Morkwin wird zum NKWD bestellt und kehrt nicht mehr zurück. Zwei Tage später lakonisch: "Habe Morkwins Funktionen übernommen." Ab 1937 ändern sich die Notizen. An die Stelle des Tagebuchs tritt das politische Journal. Die weitschweifigen Direktiven, die Trinksprüche und Tiraden Stalins werden verzeichnet und wirken durch die Berichtstreue wie Ergebenheitsadressen und Rückversicherungen, falls das Tagebuch in die Hände des NKWD fallen und auf Belastungsmaterial hin durchforstet würde. Dabei hätte allein die Existenz der Aufzeichnungen ausgereicht, ihn an den Galgen zu bringen.

Als der Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und Deutschem Reich im August 1938 geschlossen wird, bedeutet das eine Kehrtwendung der sozialistischen Politik. Der "Internationalismus" und die Komintern sind unnütz geworden. Aber kein einziges Wort des Protests finden sich in den Notaten Dimitroffs.

Eine Woche nach Beginn des Zweiten Weltkriegs übernahm er bereits eine Liste von Thesen, die sich der neuen Lage nicht nur anpassen sollten, die sie vielmehr neu deuten sollten. Hitler erscheint dabei als unbewusster Handlanger Stalins: "Nicht schlecht, wenn Deutschland die Lage der reichsten kapitalistischen Länder (vor allem Englands) ins Wanken brächte. Hitler selbst zerrüttet und untergräbt, ohne es zu verstehen und zu wollen, das kapitalistische System." Eine haarsträubende Fehleinschätzung Stalins wird damit überliefert.

Dimitroff konzentriert sich in dieser Zeit auf die Verstärkung der Propagandaarbeit, befasst sich mit der Umerziehung der Kriegsgefangenen, mit der Schulung von Partisanen- und Widerstandsbewegungen, mit ihrer technischen Ausrüstung und ihrer finanziellen Ausstattung. Ein weit gespanntes Netz zieht sich über die einzelnen Staaten. Überall werden die Parolen Dimitroffs verbreitet und nachgebetet. Der Lautsprecher Stalins ist in diesen ersten Kriegsjahren vielleicht auf dem Höhepunkt seiner publizistischen Macht, obwohl die Komintern in den Hintergrund rückt. Der Bürgerkrieg in China spielt eine zentrale Rolle, die westeuropäischen Parteivertreter brauchen Direktiven über den politischen Kurs, Losungen für die Emigrantengruppen werden ausgegeben, die syrischen und libanesischen Genossen sollen in ihrem Kampf gegen die Achsenmächte gestärkt werden, um die iranische KP kümmert sich Dimitroff genauso wie um den unbotmäßigen Tito.

Die Komintern wird im Mai 1943 aufgelöst. Mit diesem Einschnitt in Dimitroffs Tätigkeit endet der erste Band seiner Tagebücher. Da er seine persönliche Sphäre weitgehend ausklammert, bleibt er beinahe ein unbekanntes Wesen. Aber um so farbiger wird die internationale Bühne, auf der er agiert: Frankreich, Spanien, China, der Balkan vor allem. Die Historiker erhalten eine Unzahl von Einzelhinweisen, die zu neuer Deutung anregen: Über den Verrat Stalins an Ernst Thälmann, über die Machenschaften im Spanischen Bürgerkrieg. Man wartet gespannt auf den zweiten Teil.

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